Der Beginn des Ersten Weltkriegs versetzte auch der Schweizer Wirtschaft und ihrem bis dahin starken Export einen schweren Schlag. Spätestens mit dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 war die Schweiz von kriegführenden Ländern umschlossen, der Handel stagnierte und die Industrie drosselte aus Mangel an Aufträgen oder wegen fehlender Rohstoffeinfuhr die Produktion. Erschwerend kam hinzu, dass viele ausländische Arbeitnehmer die Schweiz verlassen mussten, weil man sie in ihrer jeweiligen Heimat zum Kriegsdienst eingezogen hatte. In der ganzen Schweiz brachen die Börsenkurse ein, Sparer zogen vor die Banken und wollten ihr Geld zurück, in den Lebensmittelgeschäften waren Hamsterkäufe an der Tagesordnung.
Die bedrohliche Situation entspannte sich erst, als es der Berner Regierung gelang, mit den Krieg führenden Mächten Handelsabkommen zu schließen. So erwies sich die Erklärung der Neutralität zumindest bis in den Sommer 1916 als Glücksfall für die Schweiz: Rund zwei Drittel der nun wieder steigenden Exporte bestanden aus kriegswichtigen Gütern. Unter dem Deckmantel der Neutralität trug die Schweiz zum millionenfachen Morden auf den europäischen Schlachtfeldern bei und profitierte davon. Auch am Bodensee, im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet.
Dazu hat Tobias Engelsing recherchiert, der umtriebige Direktor des Konstanzer Rosgartenmuseums, in dem die viel beachtete Ausstellung "Die Grenze im Krieg" zu sehen ist. Er verweist dabei auf die in Schaffhausen und auch im deutschen Singen am Hohentwiel beheimateten Eisen- und Stahlwerke Georg Fischer. "Der größte Abnehmer von Stahl- und Eisengussfabrikaten war das Deutsche Reich, aber auch an Frankreich, England und an die Fiat-Werke in Turin lieferte die Georg Fischer AG Teile für U-Boote, Lokomotiven, Kriegsschiffe, Haubitzen, Maschinengewehre und Minenwerfer", notiert Engelsing. Das Geschäft flaute erst wieder ab, als deutsche U-Boote auch Handelsschiffe versenkten und daraufhin die Entente Mitte 1916 die Schweizer Exporte unter strengere Kontrolle stellte.
Das bekam auch die Bevölkerung im Grenzgebiet von Konstanz und Kreuzlingen zu spüren. Laut den Kontrollvereinbarungen des Außenhandels galt beispielsweise der Verkauf von Lebensmitteln an Konstanzer Kunden als "Unterstützung einer Krieg führenden Partei" durch die neutrale Schweiz. Da, wo die Grenze fließend verlief und oft kaum mehr wahrgenommen wurde, unterband der Krieg abrupt enge geschäftliche und persönliche Beziehungen, die über Jahrzehnte hinweg entstanden waren. Konstanz, umgeben von Wasser und Grenzen, war somit fast völlig isoliert und seine BewohnerInnen laut Engelsing "Gefangene in ihrer eigenen Stadt". Passierscheine in die Schweiz wurden nur noch selten ausgestellt, Telefon- und Postverkehr über die Grenze hinweg funktionierten nur noch stark eingeschränkt, ebenso die Schifffahrt. Sogar die Berufsfischer auf dem Bodensee mussten vor Einbruch der Dunkelheit den See verlassen. Überfuhr einer versehentlich die Linien der militärischen Sperrzone, eröffneten Grenzwächter das Feuer.
Asylsuchende wurden zu überflüssigen Brotessern
Gegen Ende des Krieges entwickelte sich die deutsch-schweizerische Landesgrenze zum Zufluchtsort für viele Deserteure, die dem Massensterben entkommen wollten. Es hatte sich herumgesprochen, dass es zwischen Konstanz und Kreuzlingen noch einige wenige Grenzübergänge gab, die relativ ungesichert waren und die Chance boten, sich in die rettende Schweiz abzusetzen. Doch die anfangs praktizierte Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, schwand auch in der Schweiz, als sich dort die Versorgungslage für die Bevölkerung zunehmend verschlechterte. Asylsuchende wurden immer öfter zurückgeschickt, weil man sie als "überflüssige Brotesser" empfand.
Durch die Beschränkung des Schweizer Außenhandels blühte vor allem in der zweiten Kriegshälfte der Ausfuhrschmuggel. Deutsch-schweizerische Schieberbanden machten gute Geschäfte und schafften Waren über die Grenze, die in Deutschland kriegsbedingt kaum mehr zu erhalten waren. Aufsehen erregte eine Bande, so ein Bericht des "Thurgauer Volksfreunds", "deren Mitglieder aus dem Zürcher Zuhältermilieu stammten und die von einem Keller eines Hauses an der Grenzstrasse einen Transportstollen unter der Staatsgrenze hindurchgetrieben hatten, um säckeweise Schmuggelgut ins Deutsche Reich verfrachten zu können".
2 Kommentare verfügbar
FPopp
am 08.11.2014Also alles beinahe schon ganz so wie heute. ;-)