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Bauernproteste

Bauern müssten Linke sein

Bauernproteste: Bauern müssten Linke sein
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Hüüü, ihr (kleinen) Bauern! Hooo, ihr (kleinen) Landwirte! Wusstet ihr's schon? Ihr werdet verarscht! Im nachfolgenden Text auch von mir, das schon mal vorweg als (kleine) Treckertriggerwarnung. Aber im Wesentlichen von eurem eigenen Interessenverband.

Es heißt, ihr wollet "mehr Wertschätzung" für eure Arbeit. Könnt ihr haben! Aber dann sägt um Himmels Willen erstmal diesen Rukwied und seinen peinlichen Bauernverband ab, der euch seit jeher zum Narren hält. Denn wer sich von einer durchschaubaren Lobbytruppe wie dem Vorstand des Deutschen Bauernverbands vertreten und verraten lässt, den kann man echt nur sehr schwer wertschätzen. Angeblich sind 90 Prozent von euch da freiwillig Mitglied, weil der Verband euch vorne ein paar Serviceleistungen bietet, während er euch hintenrum die gesamte Wirtschaftsgrundlage ruiniert.

Für die Nichtbauern unter uns: Joachim Rukwied ist Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV) und spürt den Besamungshandschuh der Agrarlobby so tief in seinen Innereien, dass die Großkonzerne den Mann mühelos als Sprechpuppe benutzen können. Zum Nachteil von kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetrieben.

Rukwied ist gebürtiger Heilbronner, was mich als gebürtigen Stuttgarter nicht überrascht. Im Kessel wissen wir: Heilbronner sind die größten Bauern! Täätäää, ein Bauernwitz! Oder war das ein Heilbronnwitz? Wurscht! Selbst schuld an Bauernwitzen ist jedenfalls, wer gewaltsam Aschermittwochssitzungen verhindert, bei denen Possenreißer wie unsereiner ihre politisch-humoristischen Misthaufen üblicherweise abladen. Aus Notwehr leere ich meinen geistigen Gülletank nun eben an dieser Stelle. Zum Beispiel so: Wer nichts wird, wird Wirt, und wessen Mutter im Stand gebiert, der wird Landwirt. (Dieser Witz arbeitet mit Fallhöhe.) Jetzt aber zurück zur Wertschätzung.

Man könnte meinen, ein Berufsstand, der die Hälfte seines Einkommens aus Steuergeldern bezieht, müsste sich von uns allen bereits ausreichend gewertschätzt oder wertgeschätzt oder gewertgeschätzt fühlen. Der größte Posten im EU-Haushalt sind traditionell Agrarsubventionen, aber die Gierbauern kriegen den Hals nicht voll. Was kann man machen? Obergrenzen für Landwirte? Nur noch Sachleistungen für Agrarunternehmen? Bezahlkarte für Bauern?

Bauernverband vertritt auch Molkereien

Fairerweise muss man sagen, dass nicht wenige (kleine) Bauern ja am liebsten komplett auf die mehr als 50 Milliarden Euro Staatsknete verzichten würden, mit denen wir sie jedes Jahr europaweit düngen. Lieber wäre es den (kleinen) Landwirten, sie könnten ordentliche Preise für ihre Produkte aufrufen. Wer hindert sie daran? Der Deutsche Bauernverband. Dessen Funktionäre sind schizophrenerweise nämlich nicht nur Bauern, sondern vertreten auch Molkereien und Schlachtereien – jene Betriebe, die von den billigen Grundprodukten der Bauern profitieren

Ohne Subventionen, heißt es, stürbe die Landwirtschaft. Wobei Günther Fielmann ja kürzlich trotz Subventionen gestorben ist. Falls Sie sich jetzt fragen: "Häää, was hat Brillenschlange Fielmann mit den Landwirten zu tun?", so sei's rasch erklärt. Dabei gilt freilich der Grundsatz: "Über die Toten nur Wertschätzung". Günther Fielmann war nicht nur ein wertgeschätzter Unternehmer, der sich an unser aller Sehbehinderungen bereichert hat, sondern nebenbei auch noch Ökobauer. Bei der EU holte sich der Milliardär dafür jedes Jahr Agrarsubventionen im Wert von mehreren hunderttausend Euro ab. Ganz schön Fiel, Mann! Trotzdem: rest in Wertschätzung, Günther! Kannst ja nix dafür, wenn die in Brüssel so doof sind.

Wegen Fällen wie diesem, in dem also einer der 500 reichsten Menschen der Welt mit Millionenbeträgen vom Staat subventioniert wurde, liest man häufig, die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte sei "verfehlt". Grund und Boden werde immer teurer, sodass ihn sich nur noch Milliardäre und Großkonzerne leisten können, und die Subventionen begünstigten zuvörderst jene, die eh schon viel haben. Das stimmt auch.

Wenn Rukwied ruft, hüpfen alle auf die Mähdrescher

Allein: "verfehlt" ist an dieser Politik gar nichts. Alles so gewollt. Die Großgrundbesitzer profitieren nicht trotz, sondern gerade wegen des Einsatzes des Deutschen Bauernverbands unter Führung von Lobbyleitwolf Rukwied. Der geriert sich auf Demos zwar gerne als Gülle-Guevara, befeuert im Tête-à-Tête mit der Politik jedoch das Höfesterben, indem er die Landwirtschaft aufteilt in eine kleine wertgeschätzte Oberschicht, die die meiste Kohle einsackt, und einen großen geringgeschätzten Rest, der kaum über die Runden kommt. Nichtsdestotrotz hüpfen immer wieder auch die kleinen Bäuerlein artig auf ihre Mähdrescher, wenn der Rukwied ruft.

Kurzum: Es läuft in der Landwirtschaft wie überall. Seien es Fielmann-Filialen, die einzelne Brillenfachgeschäfte verdrängen, oder Starbucks-Buden, H&M-Läden oder halt gleich Amazon. Ganz normaler Kapitalismus: die "Verwandlung vieler kleinerer in wenige größere Kapitale" (Marx vor gut 150 Jahren, echt nix Neues). Weltweit kontrolliert schon jetzt das obere Prozent (in Zahlen und Zeichen: 1%) der landwirtschaftlichen Betriebe mehr als 70 Prozent der Agrarflächen.

Der größte private Ackerlandbesitzer in den USA ist übrigens Microsoft-Bauer Bill Gates, weil er für die Böden regelmäßig Preise zahlt, mit denen die Farmer vor Ort nicht konkurrieren können. (Randbemerkung: Wie kann man mit Produkten wie "Microsoft Teams" eigentlich so reich werden? Ich könnte dem Mann ja noch verzeihen, wenn er mir beim Impfen heimlich einen Mikrochip verabreichen würde, aber mit "Microsoft Teams" hat er sich meine Wertschätzung für immer verspielt.)

Wie überall entlädt sich auch bei den Bauern derzeit also berechtigte Wut auf ein scheiß System – und wie überall leider in die falsche Richtung. Auf der Suche nach Wertschätzung lässt die Bauernbambule in ihrem fehlgeleiteten Frustverhalten Pappmascheemännchen in Gestalt des Bundeskanzlers vom Galgen baumeln, wirft Scheiben von Cem Özdemirs Begleitlimousine ein und flutet im totalen Meltdown die Innenstadt mit Kuhpisse, statt einfach mal dem verantwortlichen Obergalgenvogel Rukwied zuzurufen: "Wertschätz dich ins Knie!"

Solange die Bauern glauben, einem Lobbyisten nachlaufen zu müssen, der ihnen größtenteils schadet, wird's schwer mit der Wertschätzung. Solange Rukwied und sein DBV regieren, können wir für die Bauern bestenfalls auf dem Balkon klatschen, während die Äcker gejaucht werden.

Wir sind nicht das Wertschätzamt der Welt!

Wir können schließlich nicht alle wertschätzen. Wir sind nicht das Wertschätzamt der Welt. Wenn wir jetzt anfangen, jeden wertzuschätzen, der seiner Arbeit nachgeht, obwohl er ausgebeutet wird, dann müssten wir ja ab morgen auch Pflegepersonal, Reinigungskräfte, Lieferdienste, Erzieherinnen und Erzieher wertschätzen. Haha, da wären wir ja von morgens bis nachts nur noch am Wertschätzen! Vielleicht wäre langfristig sogar ein Wertschätzministerium denkbar, aber stellen Sie sich mal vor, der deutsche Wertschätzminister Anton Hofreiter stünde plötzlich bei Ihnen vor der Tür, um Sie wertzuschätzen! Dann doch lieber Ausbeutung.

Wer als Landwirt ernsthaft an Wertschätzung interessiert ist, der jammert nicht über den kapitalistischen Alltag, sondern tut was dagegen und legt sich endlich mit dem Deutschen Bauernverband an! Macht kaputt, was euch kaputt macht! Traktoren nach Heilbronn!

Und unter uns, liebe Bauern: Wir wissen, dass die meisten von euch CDU/CSU-Mitglied sind und ihr deshalb besonders gern gegen die Ampel schießt. Aber auch da leidet ihr, genau wie beim DBV, unter einem Stockholm-Syndrom. Im Kleinen mag die Mitgliedschaft in Union und Bauernverband euch Vorteile verschaffen, im Großen aber gilt: Das Geschäft des Deutschen Bauernverbands ist das Geschäft der CDU ist das Geschäft der EU-Kommission ist das Geschäft des Profitlobbyismus – Umverteilung von unten nach oben. Allen voran geht CDU-Mann Joachim Rukwied.

Tut mir leid, dass ihr's auf diesem Wege erfahrt, aber wenn man eure gegenwärtige Lage betrachtet – viele haben wenig, wenige haben viel, zudem werdet ihr verraten von den eigenen Interessenvertretern –, dann müsstet ihr doch im Grunde Linke sein. Ich weiß, das ist hart. Hört man nicht gern. Andererseits: Ihr lebt doch sowieso schon zu 50 Prozent von Steuergeldern, seid also eh schon halbe Kommunisten. Und weil ihr stets Wert darauf legt, dass ihr diejenigen seid, die uns nachhaltig mit Nahrungsmitteln versorgen: danke dafür, ganz ehrlich, alles schmaggofatz! Aber die nachhaltigste Form der Ernährung ist bekanntlich die ETR-Diät: Eat The Rich! Dann klappt's auch mit der Wertschätzung.


Cornelius W. M. Oettle schreibt u.a. für das Faktenmagazin "Titanic", die ZDF-Sendung "Die Anstalt" und den EU-Abgeordneten Martin Sonneborn. Anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums als Satiriker liest er am 7. März im Merlin in Stuttgart.

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10 Kommentare verfügbar

  • Johannes Frübis
    am 27.02.2024
    Antworten
    Warum Bill Gates wohl gerne kleine Atomkraftwerke verkaufen möchte?
    Sicherlich nicht wegen Strommangel.
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