Wenn Psychiater:innen annehmen, dass eine unmittelbare Selbst- oder Fremdgefährdung bei einer Person vorliegt, ermöglicht das PsychKHG bereits den Einsatz von Zwangsmaßnahmen wie Freiheitsentzug, Fixierungen und Zwangsmedikation. In der ambulanten Behandlungsweisung aber soll es um Möglichkeiten für Psychiater:innen gehen, ehemalige Patient:innen, die zu Hause leben, zu einer Behandlung zu verpflichten und beispielsweise Medikamente zu nehmen.
Befürworter:innen führen an, dass die ambulante Behandlungsweisung nur sehr wenige Menschen treffen soll. "Es geht um eine ganz kleine Gruppe, bei der es immer wieder zu Eskalationen kommt", sagt Längle im Gespräch mit Kontext. Ralf Aßfalg, Pflegedirektor der Psychiatrie Zwiefalten, spricht sogar davon, es seien "keine acht bis zehn Personen", denen er in den 43 Jahren, die er in der Psychiatrie arbeitet, begegnet sei und bei denen er eine ambulante Behandlungsweisung sinnvoll gefunden hätte.
Wenn das Gesetz so wenige Menschen betreffe, warum eröffne man einen gesetzlichen Raum, der für so viele Menschen potenziell verhängnisvoll sein könne, fragt eine Frau im Publikum auf der Tagung in Zwiefalten, die Erfahrung als Psychiatriepatientin hat.
Frau X: ein Teil der "ganz kleinen Gruppe"
Einen Fall, bei dem in ihren Augen eine ambulante Behandlungsweisung sinnvoll gewesen wäre, präsentierten zwei Vertreter der Psychiatrie auf der Tagung. "Frau X" sei durch "sich zuspitzendes, herausforderndes Verhalten" immer mehr aufgefallen, berichtete Ralf Aßfalg. Sie habe "mit Tassen und Tellern geschmissen", sich in einer Metzgerei nackt ausgezogen, habe sich in das Bett einer fremden Privatwohnung gelegt, wo gerade die Türe offen stand, und sei nicht mehr herausgekommen. Sie habe in einer Bäckerei andere Kunden mit einem Messer bedroht, eine Mitpatientin auf der Klinikstation mit einem stumpfen Messer attackiert, einer anderen Haare ausgerissen. Ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten habe Frau X "nicht als Krankheit erlebt" – im Gegenteil. Sie sei jemand, die das "Leben im Krankheitsgeschehen schätzte" und habe "eher andere in Mitleidenschaft gezogen". Es habe umfängliche Bemühungen gegeben, "Frau X" psychiatrisch zu behandeln. Die mittlerweile 57-jährige "Frau X" sei dennoch schließlich in einer forensischen Klinik untergebracht worden und "wird voraussichtlich langfristig dort leben müssen", sagt Hubertus Friederich, Ärztlicher Direktor der Psychiatrie Zwiefalten.
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