Noch 2010 antwortete Taufer, der 1992 öffentlich der Gewalt abschwor, in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen auf die Frage nach den Gründen der mörderischen Attacke in Stockholm: "Es reicht mir nicht, einfach zu sagen: hätten wir das nicht gemacht. Das reicht mir nicht. Es gab gewichtige Gründe zu handeln, etwas zu tun. Und ich finde diese Gründe auch heute noch notwendig für ein Handeln. Ich würde aber heute anders handeln [...] Ich finde es heute nach wie vor richtig, dass wir stark beunruhigt waren darüber, dass es in diesem Land nach Auschwitz noch immer etwas gab, wo man nicht ausschließen konnte, irgendwie ist das noch nicht Vergangenheit. Leider muss man heute diese Befürchtung wieder stärker haben."
Erst im Jahr 2012 bekannte sich der Exterrorist ohne Wenn und Aber zu seiner Mitschuld am Tod von Menschen und der "Zerstörung der Hoffnung auf eine menschlichere Welt". Doch zu den theoretischen Amokläufen in seiner SPK-Zeit, der Theorie eines Klassenkampfes gegen die "Ärzteherrschaft", der versuchten Instrumentalisierung psychisch Kranker als "revolutionäre Subjekte" finden sich in Pross' Buch von Taufer nur matte und abwiegelnde Allgemeinheiten: "Infolge der Ideologisierung durch den Druck von außen (sei) die menschliche Zuwendung und Aufmerksamkeit zu den Ängsten, Nöten und Problemen der Einzelnen zu kurz gekommen." Viele in Heidelberg empfanden damals schon allein die seltsamen Theorien und die Sprache des SPK als Instrumente des Terrors, ebenso das hermetische Auftreten des "Heidelberger Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD" – unter den Studenten als "Folterkomitee" ironisiert. Diese Gruppe war für Taufer und seinesgleichen das Sprungbrett in die RAF – nicht das SPK.
Die Fragen von damals stehen wieder auf der Tagesordnung
So geht in der Chronologie SPK–"Folterkomitee"–RAF bei ihren Protagonisten gerne die Ausgangsposition verloren. Pross aber lässt sich davon nicht beirren. Im psychiatrischen Feld sieht er auch heute viele Probleme. Vielerorts sind die Ansätze sozialer Psychiatrie mehr und mehr am Verschwinden, obwohl es immer noch beispielhafte Kliniken gibt, die sich um die Menschen kümmern. Etwa die lange (und früher zu Recht) verteufelte Psychiatrie-Klinik in Wiesloch, heute "Psychiatrisches Zentrum Nordbaden". Die "biologische Psychiatrie", das heißt die generelle Verabreichung von Psychopharmaka, schreitet wieder voran. Und um die Ecke lauert die bewährte "Verwahr-Psychiatrie".
Christian Pross hat mit seinem Buch eine außerordentlich lesenswerte Geschichte über die Entwicklung einer ehemaligen Betroffenengruppe, die sich zur politischen Sekte auswuchs, geschrieben. Angenehm vor allen Dingen sein Bemühen, weder in Glorifizierung noch in Verteufelung zu enden. Er sieht in seinem Buch, das von der Reemtsma-Stiftung gefördert wurde, nicht nur eine historische Thematik, für ihn steht das alles auch heute auf der Tagesordnung: "Die Fragen, die das frühe SPK aufgeworfen hat, nämlich die Rechte gerade der psychisch Kranken zu achten, nicht unnötig Zwang anzuwenden, nicht unnötig ihre Freiheit einzuschränken, ist auch heute ein hochaktuelles Thema und muss immer wieder neu bearbeitet und erkämpft werden."
Info:
Christian Pross (unter Mitarbeit von Sonja Schweitzer und Julia Wagner): Wir wollten ins Verderben rennen. Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg; Psychiatrie Verlag 2016, 504 Seiten, 39,95 Euro.
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Sophie
am 09.11.2016