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Der Marktplatz in Stuttgart

Das Schmuckstück

Der Marktplatz in Stuttgart: Das Schmuckstück
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Fast drei Jahrzehnte lang hat die Stuttgarter Stadtpolitik an der Umgestaltung des Marktplatzes getüftelt. Inzwischen gibt es ein Resultat. Eine kleine Geschichte über Licht und Schatten, schimmelnde Bunker und Bremsspuren auf einem Boden, der sich angeblich von selbst reinigen soll.

Ach! "Tausend heitere, angenehme Stunden lassen wir, mit verdrießlichem Gesicht, ungenossen an uns vorüberziehen, um nachher, zur trüben Zeit, mit vergeblicher Sehnsucht ihnen nachzuseufzen", sinnierte einmal Arthur Schopenhauer. Doch während der Philosoph den Mensch im Allgemeinen als Trauerkloß mit Hang zum Schwermut charakterisiert, unterschlagen seine Ausführungen die lebendigen Gegenentwürfe zu dem radikal pessimistischen Weltbild: jene Art Mensch also, die keine Gelegenheit zum Genuss ungenutzt lässt und in angenehmen Stunden, mit gleißendem Frohsinn, so viel Heiterkeit versprüht, dass es die Griesgrämerei all der lethargischen Negativnasen mindestens kompensiert.

Ein Mann von diesem Schlag ist Frank Nopper, der als Oberbürgermeister von Stuttgart vor allem in seiner Paradedisziplin brilliert: der Wahrnehmung repräsentativer Aufgaben. Für die inhaltliche Arbeit hat sich der Christdemokrat zwar einen Chefstrategen von der SPD an seine Seite geholt. Wenn es allerdings, wie aktuell, das traditionelle Weindorf zu eröffnen gilt, ist klar, dass der Chef persönlich ran muss. Und schnell wird dabei deutlich: Was dem Schiffbrüchigen im Sturme der Lichtstrahl des Leuchtturms ist den unter Straßenfest-Entzug Leidenden die zur Schau gestellte Noppersche Lebensfreude. Ein Signal, dass auch auf die finsterste Nacht ein Sonnenaufgang folgt.

Auf dem gerade frisch umgestalteten Stuttgarter Marktplatz hatte Nopper schon Anfang Juni, bei der Wiedereröffnung des "von uns allen heiß und innig geliebten Wochenmarktes", eine glänzende Figur abgegeben (insbesondere beim Läuten der Marktglocke). Die Stände mit Obst, Gemüse, Eiern und Blumen, Honig, Wein und Spirituosen hatten für einige Monate weichen müssen wegen der Bauarbeiten für ein Projekt mit aufwändigem Vorlauf. Erste Ideen für eine Umgestaltung des Marktplatzes gab es bereits 1995. Im September 2020 startete die Umsetzung. Inzwischen wurde der dunkelgraue Bodenbelag durch einen helleren ersetzt und die Bauarbeiten sind beinahe abgeschlossen.

Über dem Bunker-Biotop

Passend zur Autostadt Stuttgart war der Marktplatz lange Zeit ein Parkplatz. So hatten es Gäste nicht weit bis zum fensterlosen Hotel unter der Erde, das noch bis 1985 für Übernachtungen bereitstand. Nachdem große Teile der Stuttgarter Innenstadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, gab es auch einen Mangel an Unterbringungsplätzen für den Fremdenverkehr. Der Bunker in Rathausnähe wurde kurzerhand umfunktioniert und erfreute sich unter Tourist:innen großer Beliebtheit. Mittlerweile sind die Räumlichkeiten zum "Lebensraum für Bakterien und Schimmelpilze" geworden, wie Architekt Jörg Esefeld und Fotograf Werner Lorke schon 2006 in ihrem bildlastigen Buch "Bunker Biotop" dokumentiert haben.

Seither sind die Räumlichkeiten sich selbst überlassen geblieben – auch wenn zwischendurch immer mal wieder Diskussionen über mögliche Umnutzungen aufkamen. Dabei wurden nicht nur Überlegungen laut, ein Museum aus dem alten Bunker zu machen. Der Juwelier Franz Eppli hatte noch weitaus größere Pläne und wollte "seine wertvolle Ware quasi 'bombensicher' feilbieten", wie Esefeld und Lorke nachzeichnen. In Abstimmung mit der Stadt hatte Eppli 1995 einen Ideenwettbewerb gestartet. Den ersten Platz belegte damals ein Entwurf, der nicht nur Luxusshopping im Untergrund vorsah, sondern auch ein prismatisches Eingangsbauwerk aus Glas, prominent auf dem Marktplatz platziert. Letztlich "wurde das Projekt von einer Allianz aus kurzsichtigem Kommerz und Zaghaftigkeit im bänglichen Gemeinderat zu Fall gebracht", bilanzieren Lorke und Esefeld mit erkennbarem Bedauern – wo doch die "ungewöhnliche, gläserne Architektur dem kümmerlichen Marktplatz-Ensemble, das die 'Stuttgarter Zeitung' als 'erlesene Scheußlichkeit' bezeichnete, eine neue Qualität" hätte geben können.

Juwelier Eppli ist allerdings auch zwei Jahrzehnte später ein Fan der Idee geblieben. 2014 wandte er sich in einem offenen Brief erneut an die kommunalpolitischen Entscheidungsträger:innen. "Ich wage zu behaupten, dass die Realisation internationale Beachtung erfahren wird und sich zu einem Besuchermagnet und Wahrzeichen der Stadt Stuttgart entwickeln wird." Normalerweise lassen sich in der Landeshauptstadt mit den Schlagworten "Wahrzeichen", "Besuchermagnet" und "internationale Beachtung" recht leicht Mehrheiten organisieren. Im gegebenen Fall war die Reaktion aus dem Rathaus  jedoch beinahe ruppig: "Herr Eppli wendet sich immer wieder mal an die Stadtverwaltung. Allerdings wird dieser Vorschlag aus verschiedenen Gründen nicht weiterverfolgt, weder von der Stadtverwaltung noch vom Gemeinderat", antwortete ein Sprecher. Der Entwurf von 1995 sei "schlicht überholt", auch weil die wenigen vorhandenen Bäume auf dem Marktplatz dafür gefällt werden müssten.

Zudem gab es 2005 einen zweiten Ideenwettbewerb. Allerdings wurde das Siegerergebnis auch diesmal nicht umgesetzt. Gut ist das für die Bepflanzung auf dem Marktplatz: Die acht eng beieinander gruppierten Bäume auf der gut 8.500 Quadratmeter großen Fläche – von der Stadtverwaltung liebevoll "Platanencarré" getauft – hätten auch in diesem Konzept weichen müssen.

Für die Freien Wähler gibt es anderswo genug Bäume

Ein gutes Jahrzehnt später nahm die Marktplatz-Debatte erneut an Fahrt auf. Das "unbefriedigende Erscheinungsbild" war der Verwaltung ein Dorn im Auge, dem mit einem "hochwertigen Natursteinbelag" begegnet werden sollte. Wobei, laut Beschlussvorlage vom 24. Januar 2018, mit Granit "eine lebendige und bezüglich Verschmutzungen robuste Oberfläche" geschaffen werden könne. Offenbar eine Verwechslung: Nach wenigen Monaten im Praxistest haben sich auf der Oberfläche robuste Verschmutzungen gebildet. Allerdings leben sie im Gegensatz zu denen im Untergrund noch nicht.

Der technische Bürgermeister Dirk Thürnau (SPD), in dessen Zuständigkeitsbereich die Marktplatz-Umgestaltung fällt, hatte 2020 auf den selbstreinigenden Effekt des Belag-Materials aus dem bayerischen Wald gesetzt. Und im April dieses Jahres verriet er dem SWR, er beobachte "aus seinem Büro, dass die Platten wieder sauber gespült würden, wenn es regnet". Vielleicht handelt es sich bei Reifenabrieb, Bremsspuren und sonstigen Verfärbungen ja um eine Art Fata Morgana? Das würde jedenfalls zur sengenden Hitze passen, die sich auf dem Platz mit viel Licht und wenig Schatten staut.

"Um den Marktplatz in stadtklimatischer Hinsicht zu verbessern und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen", hat die Stadtverwaltung 2018 angeregt zu prüfen, ob vier weitere Bäume auf dem Marktplatz möglich sind. Ergebnis: Nein, das lassen wir lieber bleiben. Nicht nur, weil Markt-Händlerinnen und Veranstalter die Sorge bekundeten, ansonsten über zu wenig nutzbare Fläche zu verfügen. Und nicht nur, weil Stadtrat Konrad Zaiß (Freie Wähler) in der Debatte darauf hingewiesen hatte, dass es doch schon bei der Stiftskirche, nur ein paar Meter weiter, Bäume gebe. Sondern auch, weil sich der Bunker unter dem Marktplatz und das Wurzelwerk überirdischer Bepflanzung in die Quere kommen könnten.

Als Kompromiss gibt es nun fünf Kübel mit "mobilen Bäumen", die bei Bedarf aus dem Weg geräumt werden können (wie aktuell für das Weindorf). Es handelt sich um Persische Eisenholzbäume, die sich bislang vor allem im Iran und in Transkaukasien wohlgefühlt haben. Allerdings gelten sie als sogenannte Zukunftsbäume: "In Zeiten des Klimawandels liegt es nahe, die Auswahl der Pflanzen auf trockenheitsverträgliche fremdländische Gehölze auszudehnen", teilt die Stadt mit. Bis die fremdländischen Gehölze nennenswert Schatten spenden, werden sie aber ein bisschen wachsen müssen. Stadtrat Christoph Ozasek (PULS-Fraktion) beklagte, dass die "Streichholzbäume" noch nicht allzu viel zur Verbesserung des lokalen Klimas beitragen würden.

Neben dem "hellen und freundlichen Bodenbelag" (Stadt Stuttgart) darf an dieser Stelle natürlich nicht das größte Highlight der Umgestaltung verschwiegen werden: ein Fontänenfeld mit 36 Düsen, aus denen Wasser heraussprudelt, das die Kinder erfreut und sogar in bunten Farben beleuchtet werden kann. Diese Neuerungen sollen den Marktplatz, in den Worten der Stadt, "wieder zum Schmuckstück machen".

Über Gelingen und Scheitern zu urteilen, ist immer auch eine Frage des Weltbildes. Nach Schopenhauer ist das Leben generell ein irrationales Geschäft, bei dem der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag steht. Ein Optimist wie Nopper lehrt hingegen, wie wichtig es ist, die positiven Aspekte nicht aus dem Blick zu verlieren. Und immerhin bietet der Marktplatz in seiner heutigen Form mehr Aufenthaltsqualität als in seiner Zeit als Parkplatz.


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6 Kommentare verfügbar

  • Heiß!
    am 23.08.2022
    Antworten
    Wer am Kinderfest Anfang Juli auf dem Marktplatz war, konnte die glorreiche Errungenschaften dieses neuen Marktplatzes hautnah miterleben: Kinder verbrannten sich bereits um 13 Uhr (Beginn um 12!) die Füße auf den Gummimatten, die nur barfuß behüpft werden durften, sodass sie ab 13:15 Uhr…
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