KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Nopper und Körner

Der Doppel-Nopper

Nopper und Körner: Der Doppel-Nopper
|

Datum:

Der eine zeigt, dass er an der Spitze einer Großstadt überfordert ist, der andere wirft eigene und die Ziele seiner SPD über Bord. Die Verbrüderung von Frank Nopper und Martin Körner an der Stuttgarter Rathausspitze ist Beleg für eine gefährliche Beliebigkeit.

So also soll ein Überraschungscoup aussehen: Am 31.Mai verkündete der OB lakonisch und ganz am Ende einer Pressemitteilung zur gescheiterten "Verschlankung" seines eigenen Geschäftsbereichs, dass der Vorsitzende der SPD-Fraktion sein Chefstratege wird, weil er "ein erfahrener und strategischer Kopf ist und mein volles Vertrauen hat". Im Unterschied zu dem der Wähler:innen vor eineinhalb Jahren, als sich Körner mit knapp zehn Prozent in der ersten Runde der OB-Wahl aus dem Rennen nahm. Mitgemischt hat er dann trotzdem beim Versuch einer Einigung unter Grünen, Roten und SÖS. Den torpedierte die SPD, Nopper wurde Rathauschef.

Jetzt konkurrieren sie nicht mehr, sondern kooperieren. Der eine als OB, der andere als sein Chefberater. Rote Wähler:innen, Wahlkampfhelfer:innen und SPD-Mitglieder reiben sich die Augen über so viel Beweglichkeit. Zumal er offenherzig mitteilt, "dass der OB und ich dieselben Ziele verfolgen" in den strategischen Fragen, "die wir vor der Brust haben". Und in seinem Facebook-Abschiedsschreiben als SPD-Fraktionschef an die lieben Freundinnen und Freunde freut er sich auf das, "was wir gemeinsam in der Zukunft in neuer Konstellation für Stuttgart erreichen können".

Pattex dieser Partnerschaft sind der leidige Tiefbahnhof und alles, was dazugehört. Beide wollen die Stadtgesellschaft versöhnen, wenngleich auch nur nach diesem bewährten Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Nur ja keine Fehleinschätzungen einräumen – die Liste wäre stattlich –, lieber ein paar Worthülsen über den Blick, der nach vorne gerichtet werden muss. Nopper glaubt noch immer, Stuttgart 21 sei eine riesige Chance. Oder er tut zumindest so, und Körner fabuliert lieber über beeindruckende Ingenieurskunst, als sich selbstkritisch mit den vielen falschen SPD-Verheißungen rund um das kostenexplodierte und krass verspätete Milliardenprojekt auseinanderzusetzen. "Große Schnittmenge, das passt", twitterte Werner Sauerborn vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, "ein faktenresistenter S21-Ideologe wie Körner" sei für Nopper eine gute Wahl.

Nicht einmal unter dem Mikroskop ist aber der Mehrwert für die Roten auszumachen, die sich in der Landeshauptstadt seit Jahren auf Talfahrt befinden. "Die Überraschung war groß", sagt die SPD-Stadträtin und klimapolitische Sprecherin Lucia Schanbacher, "das müssen wir erst mal verarbeiten." Jedenfalls hätten sich die Sozialdemokrat:innen nicht einkaufen lassen: "Unsere Meinungsbildung wird von einem CDU-OB nicht beeinflusst werden." Die SPD rücke nicht ab vom öko-sozialen Bündnis, von jener Mehrheit, die dem früheren Backnanger Rathauschef das Leben immer wieder schwer macht.

Nopper will Autos in der Stadt, Körner nicht

Was zu beweisen wäre, zum Beispiel in Sachen Mobilität. "Die beiden OB", wie im Rathaus schon über das Tandem in der Chefetage gewitzelt wird – "einer für Feste und Fassanstich, der andere fürs Fachwissen" –, haben das Thema zu einer der größten Herausforderungen erklärt. So hat sich Stuttgart im vergangenen Februar der auch vom Deutschen Städtetag unterstützten Initiative "Tempo 30" angeschlossen. Mit den Stimmen der SPD und gegen den Widerstand Noppers, der den Befürworter:innen – SPD, Grüne, Linksbündnis und Fraktion Plus – vorwarf, "einen ideologischen Feldzug gegen das Automobil zu führen". Für die sei es "Teufelszeug", das sie "aus der Autostadt Stuttgart vertreiben" wollten.

Da stellen sich Fragen über Fragen. Redet Körner seinem Chef und Autofan künftig solche inhaltlich höchst fragwürdigen Polemiken aus? Oder geht er auf Tauchstation, was allerdings kaum mit seiner Arbeitsplatzbeschreibung als Leiter des Referats Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität zu vereinbaren wäre? Immerhin bedeutet Stuttgarts Beitritt ein Bekenntnis zu "Tempo 30 als Regel und anderen Geschwindigkeiten je nach örtlichen Gegebenheiten als Ausnahme". Wenn Bundesverkehrsminister Holger Wissing (FDP) sein Versprechen wahrmacht und den Kommunen mehr Freiheiten einräumt, muss dieser Gemeinderatsbeschluss nur noch mit Leben gefüllt werden.

An dem neuen und besonders engen OB-Mitarbeiter dürfte die Umsetzung eigentlich nicht scheitern – jedenfalls dann, wenn frühere Äußerungen noch für bare Münze zu nehmen wären. Vor vier Jahren vertrat Körner in der Diskussion um die Kulturmeile die Überzeugung, der Aufenthalt dort werde nur dann attraktiver, wenn die Autos weniger und die Fußgänger mehr Platz bekommen: "Die Zahl der Fahrspuren sollte deshalb halbiert werden." Kaum vorstellbar, dass diese Idee ein Mosaikstein im von Nopper vollmundig versprochenen "Mobilitätsfrieden" sein könnte.

Er hat keinen Bock drauf

Ähnlich spannend wird zu beobachten sein, wie der frühere SPD-Hoffnungsträger mithelfen wird, aus Stuttgart den "leuchtenden Stern des deutschen Südens" werden zu lassen, zu dem der OB seine Geburts- und Heimatstadt "mit Mut, Liebe und Beharrlichkeit" machen will. Jedoch: Gesehen wurde "das stolze Rössle, das wir nicht nur auf Trab, sondern sogar auf Galopp-Geschwindigkeit bringen wollen", im Talkessel bisher noch nicht. Auch die Versprechen der Verbindung von Ökonomie und Ökologie, der dynamischen Digitalisierung der Stadtverwaltung, eines ganzheitlichen Verkehrskonzepts oder der Stärkung des Wohnungsbaus waren offenbar eher dahingeschwätzt als ernst gemeint.

Viele Kenner:innen der Stadtverwaltung sehen den Diplom-Volkswirt vor einem Riesenberg von Problemen. "Der soll es jetzt nach innen richten, sich um die Prozesse und die Umsetzung kümmern, worauf Nopper offensichtlich keinen Bock hat", urteilt Hannes Rockenbauch (SÖS). Jedoch dürften weder das Beharrungsvermögen der Verwaltung noch die Eigenständigkeit der Bürgermeister:innen unterschätzt werden. Selbst wenn sie inhaltlich zusammenpassten, "weil sie die großen Probleme beim Wohnungsraum oder in Verkehrsfragen durch Bauen, Bauen, Bauen lösen wollen", sei er doch gespannt, "wie die beiden Egos miteinander funktionieren".

Rockenbauch treibt aber, wie viele Genoss:innen und wenige CDU-Mitglieder, noch ein ganz anderes Thema um. Natürlich sei es richtig und notwendig, in der Kommunalpolitik zusammenzuarbeiten, "Nopper und Körner senden jetzt aber ein Signal der Beliebigkeit aus". Es werde suggeriert, dass es keine oder nur zu vernachlässigende Unterschiede zwischen CDU und SPD gibt, "und das ist gefährlich". Schon allein deshalb sei es für die SPD-Fraktion "überlebenswichtig, sich von Körner zu emanzipieren".

Ist die SPD ohne Körner besser dran?

An der Basis rumort es da wie dort. Der JU-Kreisvorsitzende Leonard Rzymann ist sicher, dass "der Bürger nicht Frank Nopper gewählt hat, um Martin Körner zu bekommen". Und die Grüne Maike Pfuderer fragt sich nicht nur, warum der OB niemanden in seiner CDU gefunden hat. Zudem schließt sie aus dem Wechsel des SPD-Fraktionschef, er traue seiner Partei nicht zu, dass er mit ihr noch was wird.

In zwei Jahren ist Kommunalwahl. Bis dahin müssen beide Ergebnisse vorlegen. Als er noch selber OB werden wollte, hat der frühere Bezirksvorsteher im Stuttgarter Osten jedenfalls 30.000 neue Wohnungen versprochen, 80 bis 90 Prozent davon in der Innenstadtentwicklung, und eine Trendumkehr im sozialen Wohnungsbau. Dann muss sich auch zeigen, ob er recht hat mit seiner Diagnose, die SPD ohne ihn sei "gut aufgestellt". Viel Luft nach unten ist jedenfalls nicht mehr. Es gibt nur noch sieben rote Gemeinderät:innen von sechzig (!). Und einen mächtigen Mann, der sich gegebenenfalls irgendwann viele Vorwürfe wird anhören müssen – weil sein Karrieresprung den Niedergang der Partei noch zusätzlich befördert hat.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Jörg Tauss
    am 08.06.2022
    Antworten
    Was ich als ehemaliger Generalsekretär der Südwest- SPD gerne bestätigen darf:

    Körner war und ist mit dem gerne vergessenen früheren Baubürgermeister und s21- Lobbyisten Matthias Hahn ein weiterer entscheidender Sargnagel am Sarg der Stuttgarter Sozialdemokratie.

    Im Ländle wurden sie…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!