Hei, da haben sich zwei gefunden! Als Frank Nopper, neuer Stuttgarter Oberbürgermeister und qua Herkunft mütterlicherseits Halb-Düsseldorfer, und Christoph Ingenhoven, in Düsseldorf heimischer Architekt der neuen Stuttgarter Tunnelhaltestelle, am vergangenen Freitag auf einer der 14 bereits fertigen Kelchstützen standen und, endlich unbemaskt, so um die Wette grinsten, dass Zahnpasta-Hersteller vor Freude geweint haben müssen, da wurde erst deutlich, wie emotional unterkühlt die Stadt- und Landesoberen in den vergangenen zehn Jahren gegenüber Stuttgart 21 gewesen waren. Das ist nun vorbei, Nopper freut sich wie Bolle auf den neuen Bahnhof, Ingenhoven sowieso, und wann der fertig sein wird, das ist ja auch ein bisschen egal, wenn sich auf dem Weg dorthin so schöne Fotos machen lassen.
In dieser Hinsicht war die Veranstaltung am vergangenen Samstag ein PR-Event erster Güte. Bombenwetter, eindrucksvolle Ingenieurskunst, davor und darauf die Zähne bleckende Machertypen, Zukunft, Fortschritt, here we come! Gefeiert wurde das "Bergfest" des Bahnhofshallendachs, denn die 14. der insgesamt 28 Kelchstützen, die das Bahnhofsdach tragen sollen, ist fertig geworden.
Bergfest heißt Halbzeit, wobei sich Flachland-Tirolern möglicherweise nicht alle metaphorischen Implikationen dieses Begriffs erschließen. Doch der Bergfreund weiß: Oben auf dem Gipfel mag die Hälfte des Weges geschafft sein, und diese Hälfte dauerte, weil bergan, länger, forderte Oberschenkel und Kondition mehr. Doch bergab ist's nur vermeintlich leichter. Die Schwerkraft erlaubt zwar schnelleres Absteigen, fordert aber auch ihren Tribut, und wer nicht höllisch aufpasst, ruiniert sich dabei flugs die Knie oder strauchelt gar gen Abgrund.
Bergfest, Versöhnungsfest, Zinsfest?
Nopper schreckt das freilich nicht, er freut sich auf das "Versöhnungsfest" bei der metaphorischen Talankunft von Stuttgart 21, und er eilte sich auch zu betonen, dass das Bergfest ja nicht für das ganze Projekt gelte, dieser Termin sei schon vorbei, sondern nur fürs Dach. Da 2017 mit der ersten Kelchstütze begonnen wurde, könnte es nach dieser Rechnung gerade noch bis 2025 reichen, also rechtzeitig zum angepeilten Eröffnungsjahr. Mal sehen. Im November 2018 hieß es noch von der Bahn, in drei Jahren wären alle Kelchstützen fertig, also – im November 2021. Hm, wird sportlich.
Zahlen und Stuttgart 21, das ist sowieso eine Geschichte für sich: Kosten, Dauer, Zugkapazitäten, Tunneldurchmesser, evakuierbare Personen, alles in stetem Wandel. Die Verwirrung fängt schon mit dem Projektnamen an, und bei der Berichterstattung über das Bergfest fiel tatsächlich auf, dass manche Zeitgenossen diesen auf das Jahr 2021 bezogen. Daher zur Erinnerung: Im ausgehenden 20. Jahrhundert bekam vieles, was nach Zukunft klingen sollte, eine 2000 oder 21 fürs neue Jahrtausend angepappt, und schon waren Schnarchprojekte zu visionären Verheißungen geworden. Bei manchen Projekten reichte auch das nächste Jahrzehnt, vielleicht erinnert sich noch jemand an das in den 1980er Jahren geplante Kampfflugzeug "Jäger 90", dessen Planung so lange dauerte, dass es zur Peinlichkeitsvermeidung irgendwann in Eurofighter umbenannt wurde. Vielleicht wäre es also in dieser Hinsicht besser gewesen, statt Stuttgart 21 den Namen Stuttgart X zu wählen.
Frank Nopper mag nun bei dem Bergfest-Auftritt den Anschein erweckt haben, eine neue Harmonieoffensive gegenüber der Bahn zu starten, doch tatsächlich läuft diese Offensive schon lange, und sie hat wieder mit Zahlen zu tun. Kürzlich hatte Kontext berichtet, dass die Stadt Stuttgart zu Gunsten des Projektes seit 2011 gnädigerweise auf 140 Millionen Euro Verzugszinsen verzichtet hat, die die Bahn eigentlich hätte zahlen müssen, da sie das von der Stadt 2001 gekaufte Gleisvorfeld noch nicht geräumt hat.
Ab 2021 aber sollte diese Mildtätigkeit eigentlich ein Ende haben. Ob das aber tatsächlich der Fall ist, konnte zunächst nicht ermittelt werden. Doch mittlerweile ist die Antwort der Stadt erfolgt: "Die Landeshauptstadt Stuttgart und die Deutsche Bahn verhandeln derzeit über Anpassungen des im Jahr 2001 geschlossenen Grundstückskaufvertrags", heißt es darin, es werde geprüft, "inwieweit der Vertrag an die geänderten Bedarfe angepasst werden muss". Die genannten veränderten Bedarfe beziehen sich auf die Planungen der Stadt zum Rosensteinviertel, hier war es im vergangenen Jahr zu Unstimmigkeiten gekommen (Kontext berichtete). Und weiter: "Die Verhandlungen schließen auch die ab dem 1. Januar 2021 wegen der verspäteten Rückgabe der Grundstücke im Kaufvertrag vereinbarten Zinszahlungen ein. Die im Verhandlungszeitraum anfallenden Zinszahlungen werden zunächst aufgeschoben."
Na, da kann sich die Bahn ja freuen. Und Nopper freut sich sicher mit.
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Martin Nisi
am 05.03.2021