KONTEXT:Wochenzeitung
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Raus aus dem Ritual

Raus aus dem Ritual
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Am 1. Juli verhandeln die Verleger wieder mit den JournalistInnen. Was immer dabei heraus kommt, sagt unser Autor, es wird schlecht sein. Deshalb raus aus dem Ritual und Revolutionäres fordern. Ein Traum.

High noon am Sonntag, den 1. Juli 2018 in Hamburg. Die Sonne brennt auf den Asphalt. Vor dem Ohnsorg-Theater steht ein einsamer Straßenmusikant und singt Frankie Laines Do not forsake me. "Ich weiß nur, dass ich tapfer sein muss, und einer Bande gegenüberstehe, die mich hasst ..., sonst liegt ein Feigling in meinem Grab."

JournalistInnen hassen Tarifverhandlungen, die keine sind, und hätten an jenem Tag lieber gearbeitet, doch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, kurz BDZV, wollte die siebte Verhandlungsrunde um das "Wettsparen an den Redakteuren und Freien Journalisten an Tageszeitungen" in der Hansestadt fortsetzen. Alles unter dem Motto: "Lerne zu klagen, ohne zu leiden."

Herauskommen aus dem Sonntags-Deal kann, wenn überhaupt, nur ein schlechter Abschluss. Denn wenn er zwei Prozent über der Inflationsrate liegen würde, wären noch zwanzig Prozent Verluste aus früheren Zeiten auszugleichen. Wie bekannt, haben die Verleger die Reallöhne zehn Jahre lang nicht erhöht. Aber 20 Prozent? So weit würden sie nie gehen. Höchstens bei einer Laufzeit von fünf Jahren.

Es gibt auch schon ein neues Verleger-Spiel: Eine Mischung von "Journalist ärgere dich nicht" und Newspaper-Monopoly, frei nach BDZV-Verhandlungsführer Georg Wallraf: "Wall(street)raffy" heißt es und beginnt an der Startecke mit: Kaufe einen Verlag, entlasse die Hälfte, kassiere vier Millionen Euro und gründe eine Großraumredaktion. Den RedakteurInnen schenke ein Fahrrad, um von Großraum zu Großraum zu kommen.

Das klingt alles schön abgekackt, und die Situation ist auch so. Seit der BDZV sein Tarif-Werk Zukunft beschlossen hat, geht es nur um das weitere Sparen von Personalkosten in der Redaktion. Je mehr, desto besser, denn so kann die in den Augen der Verleger dürftige Rendite von fünf oder mehr Prozent gehalten werden. Und schließlich müssen die Papier-Zeitungs-Abonnenten auch noch die Umstellung auf Digital finanzieren – bis der Break-even erreicht ist. Die Zeitung schreibt sich dann von selbst, die Apps mit Stichworten liefern News rund um die Uhr. Ob echt, wahr, lauter, bedingt wahr, fake oder untrue ist belanglos, denn alles kann jederzeit widerrufen werden. Die Podcasts kommen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Win-Win-Win-Modell ohne Redakteure. Das Geschäft brummt.

Schöne neue Leserwelt?! Nicht überall. An diesem 1. Juli 2018 beginnt der D-Day. "Verwundet mein Herz in eintöniger Mattigkeit" hatte Radio Freelancer schon ab 5.00 Uhr aus der Nordsee als regelmäßiges Pausenzeichen gesendet. In allen Redaktionen der Tageszeitungen liefen die Radios. Das war das erwartete Signal für einen unbefristeten Streik für ein neues Tarifwerk Medien.

Das würde ein langer Streik, denn es war ein wohldurchdachtes Reformwerk, das lange politische Diskussionen, Verhandlungen, Streit mit sich und vielen anderen bringen würde. Doch zuerst war notwendig: Die Einigkeit der SchreiberInnen, FotografInnen, GrafikerInnen, OnlinerInnen, von allen, die an einem seriösen Produkt mit Freude arbeiten wollen.

Porträt Michael Weingarten

Gerhard Manthey, 68, war bis Ende 2014 Leiter des Fachbereichs Medien bei verdi in Stuttgart. Wie viele Tarifverhandlungen er geführt hat, weiß er nicht mehr. Er weiß nur, dass bei den JournalistInnen das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Und deshalb neu gedacht werden muss. Auch auf die Gefahr hin, als Spinner betrachtet zu werden. (jof)

Augsburg ist zuerst mit der Ur-Abstimmung da. In Baden-Württemberg folgen 15 Redaktionen. Der Südwesten wie immer: first. Doch wer eins sagt, braucht auch drei und hundert. Von Hagen bis nach Ölde zur Glocke und nach Rostock und überall. Die CTK, die Clandestine Tarif-Kommission, stellt an diesem 1. Juli 2018 ihren Tarifvertragsentwurf vor. Kontext, das Mannheimer Journal und Le Père Duchesne veröffentlichen das Werk in wesentlichen Teilen vorab. 

Und so sieht es aus: Um die leidigen Gehaltstarifverhandlungen für eine gewisse Zeit ad acta zu legen, werden künftig die Einstiegsgehälter für alle RedakteurInnen bei 4000 Euro liegen, nach fünf Jahren erhöhen sie sich auf 4700 Euro, nach zehn auf 6000 Euro. Ab dem 50. Lebensjahr arbeiten bei gleichem Gehalt die RedakteurInnen einen Tag weniger im Monat. Aber dem 55. Lebensjahr drei Tage, dem 60. fünf Tage und dem 65. sieben Tage weniger bei gleichem Gehalt.

Die Wochenarbeitszeit beträgt 37,5 Stunden. Eine Arbeitszeiterfassung findet zwingend statt. Es gilt die Fünf-Tage-Woche mit zwei echten freien Wochenenden im Monat. Urlaub gibt es sechs Wochen im Jahr sowie 150 Prozent Urlaubsgeld und 13. Monatsgehalt. Unbedingt notwendig ist auch die betriebliche Weiterbildung, eine Woche im Jahr bezahlt.

Jede Zeitung muss ab 1. Januar 2020 ein neue Lizenz von der Landesanstalt für Medienwesen erhalten. Im Beirat sitzen keine Regierungsvertreter, sondern Bürgerinnen und Bürger, welche die Lizenz für jeweils zehn Jahre vergeben. Danach muss sie neu beantragt werden. Der Beirat hat mit den Redaktionen und den Parteien Folgendes zu erarbeiten:

Massiver Druck in Heilbronn

Die JournalistInnen an deutschen Tageszeitungen sind zu unbefristeten Streiks bereit. Das hat die Urabstimmung in 60 Verlagen ergeben, bei der sich mehr als 90 Prozent für den Ausstand ausgesprochen haben. Baden-Württemberg hat zum Teil 100-Prozent-Ergebnisse. Gestreikt wird zunächst ab Donnerstag, 28. Juni, bis zum Sonntag, 1. Juli. Die zentrale Streikaktion wird am Freitag, 29. Juni, um 12 Uhr in Heilbronn stattfinden. Bei der dortigen "Stimme" steht die Belegschaft massiv unter Druck von Verlag und Chefredaktion. Während der Deutsche Journalistenverband djv nach der 7. Verhandlungsrunde am kommenden Sonntag über das weitere Vorgehen entscheiden will, gilt für verdi/dju auf jeden Fall der unbefristete Streik. (jof)

Ein Presserechtsrahmengesetz, in dem der Tendenzschutz abgeschafft wird und die Mitbestimmung in den Redaktionen eingeführt wird. Zur Mitbestimmung zählen auch Redaktionsstatute, in denen die paritätische Mitsprache bei der Besetzung leitender Positionen festgehalten wird. Wichtig ist auch ein Ständiger Ausschuss, der die Trennung von werblichen und redaktionellen Texten überwacht.

Ein Statistikgesetz, in dem alle Medien erfasst werden, und demnach darüber berichtet wird, wie sich die Besitzverhältnisse darstellen bzw. verändert haben.

Alle Pauschalisten einer Zeitung werden zu festangestellten RedakteurInnen. Freie Mitarbeiter erhalten die "angemessene Vergütung" für Wort-/Bild-Honorare. Diese Honorare werden ebenfalls wie die Gehälter der RedakteurInnen nach dem gleichen Muster jährlich erhöht. Freie Mitarbeiter erhalten eine zusätzliche Altersversorgung von monatlich 100 Euro Arbeitgeberanteil.

Dem privatwirtschaftlichen Verlegermodell, das ausschließlich auf Profitmaximierung angelegt ist, muss die Teilvergesellschaftung aller Verlage, Zeitungen und Publikationen entgegengesetzt werden. Und zwar so: Für die vergangenen Jahre ohne Reallohnerhöhung erhalten alle Beschäftigten eines Verlages fünf Prozent Anteile als Gesamtheit überschrieben. Die darauf entfallende Dividende muss zwingend in neue oder bestehende Arbeitsplätze investiert werden. Dieselbe Summe muss mindestens von den anderen Gesellschaftern eingebracht werden. Die Miteigentümerschaft wird bis auf 26 Prozent der Anteile ausgeweitet. Dieses Ziel ist in 15 Jahren zu erreichen.

Am 1. Juli 2021 singen wir mit Queen: <link https: www.youtube.com _blank external-link>We are the Champions!

Presse im Umbruch

Print geht, digital kommt. Die meisten Verleger haben das zu spät bemerkt. Statt zu investieren, sparen sie den Journalismus kaputt. Aber es gibt auch positive Beispiele.

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2 Kommentare verfügbar

  • Christoph Holbein
    am 27.06.2018
    Antworten
    Das sind schöne Ideen, die absolut nachdenkenswert sind
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