In Berlin gibt es eine noble Bar, die den Ruf hat, eine Institution zu sein. In ihr verkehren karrierebewusste Jungpolitiker, halbseidene wie ordentliche Geschäftsleute, bonuserpichte Finanzjongleure, deutungsverliebte Intellektuelle, Damen des gehobenen wie des gefallenen Standes – und Journalisten jeden Standes. Insgesamt also eine Gesellschaft von Interesse.
Der Barkeeper war sich über all die Jahre seiner Stellung bewusst, die Bude war schließlich immer voll und alle wollten ja etwas von ihm. Er hat Bestellungen nicht einfach angenommen, er hat sich dazu herabgelassen. Seine Arroganz versprühte er wie einen unsichtbaren Nebel über die durstigen Seelen, die ihn bitten mussten. Das gab dem Treiben in der Bar einen gleichsam exklusiven wie elitären Glanz.
Aber irgendwann war der Barkeeper wie ausgewechselt. Er war unerwartet höflich, fragte den Gast nach seinem Befinden, schenkte den Gin beim Gin Tonic großzügiger ein und fragte hinterher, ob es noch ein Espresso auf Rechnung des Hauses sein dürfe.
Was war geschehen? Was hat die eindrucksvolle Mutation des Barkeepers vom Saulus zum Paulus bewirkt?
Ganz einfach – die Bar war nicht mehr rappelvoll, nicht etwa an einem Tag in der Woche, nein, sie gähnte an allen Tagen die gedrückte Stimmung eines nicht ausverkauften Theaters. Nicht, dass es nicht mehr chic gewesen wäre, diese Institution heimzusuchen. Nein, die Leute hatten einfach weniger Geld im Beutel. Es war Rezession. Die Geschäfte liefen schlecht und die Boni waren gestrichen.
Ganz offensichtlich hat so ein wirtschaftlicher Niedergang auch seine Vorteile – jedenfalls für die verbliebenen Gäste in der Bar. Und man könnte meinen, die neu erwachte Kundenorientierung tauge ganz selbstverständlich auch als Modell für andere Geschäftszweige.
Wer Qualität will, darf Journalistengehälter nicht kürzen
Das aber ist ein Irrtum, jedenfalls im Zeitungsgeschäft. Anstatt dem Leser in Zeiten schwindender Auflagen ein zusätzliches Bonbon mitzugeben, nimmt man ihm etwas weg und verdünnt die Ausgaben. Anstatt die Journalisten ordentlich zu bezahlen, kürzt man ihre Gehälter. Anstatt gute Reporter zu fördern, findet man sich mit weniger gut recherchierten Geschichten ab. Und anstatt Anzeigenkunden die Werbewirkung und gesellschaftliche Relevanz einer gut gemachten Zeitung oder Zeitschrift zu vermitteln, macht man ihnen unanständige Angebote, die letztlich das Geschäftsmodell der Verlage und die Bedeutung von Qualitäts-Journalismus für die Gesellschaft gefährden. Der Barkeeper in Berlin scheint klüger zu sein.
Ja, ich weiß, es ist alles nicht so einfach. Der Kapitalismus hat schließlich seine eigenen Gesetze. Und das wichtigste Gesetz lautet, dass bei Misserfolg die Sanktion der Pleite droht. Das gilt natürlich auch für Verlage.
Aber wenn das Zeitungsgeschäft schwächelt, warum kaufen dann reiche Leute Verlage? Weil sie günstig zu haben sind? Diese Antwort wäre zu billig. Wer kauft schon etwas, an das diejenigen, die es verkaufen, selbst nicht mehr glauben? Es passiert trotzdem.
2 Kommentare verfügbar
Martin Haller
am 09.05.2018