KONTEXT:Wochenzeitung
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Verleger hinter Gittern

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Die "Eßlinger Zeitung" feiert ihr 150-jähriges Jubiläum. Mit einer Ausdauer, die viel mit der Angst vor dem Tod zu tun hat. Höhepunkte sind der Festakt für die Verlegerin, die keine mehr ist, und die Rede des Ministerpräsidenten. Zutritt haben nur geladene Gäste, die mit Sperrgittern geschützt werden. Das Bodenpersonal steht draußen und streikt.

Mit Geburtstagen ist das so eine Sache. Je höher das Alter, desto häufiger stellt sich die Frage, wozu das gut sein soll. Und trotzdem soll man sich ganz toll freuen. So dürfte die Gemütslage derzeit bei der "Eßlinger Zeitung" (EZ) sein, die 150 Jahre alt wird und auch sonst eigentlich keinen Grund zum Feiern hat. Trotzdem vergeht kein Tag, an dem sie nicht darauf hinweist, dass sie ein wunderbares Jubiläum hat.

Geschäftsführer Andreas Heinkel gibt dazu im eigenen Blatt ein Interview, in dem er sich mehrfach darauf freut, seine Leser zu treffen, weil die "immer an erster Stelle" stehen, und das Motto lautet: ganz nah dran. Das war er vorher bei der "Lausitzer Rundschau", dann beim "Münchner Merkur" und seit 2016 bei der EZ, wo er eines sicher weiß: "Was sich niemals verändern darf, sind die journalistische Qualität und die Unabhängigkeit".

Auch das ist so eine Sache. Seit Oktober 2016 existiert die "Eßlinger Zeitung" (Auflage 38 000) nicht mehr als eigenständiges Organ. Seitdem ist sie ein kleines Stück im großen Puzzle der Südwestdeutschen Medienholding SWMH, verkauft von der Eigentümerin Christine Bechtle-Kobarg (BeKo), die nur noch eine Herausgeberin auf dem Papier ist, und die Zeitung ein Appendix des Stuttgarter Pressehauses, <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien die-stzn-ez-3946.html internal-link-new-window>der mit STZN-EZ gekürzelt werden kann. Außer dem Lokalen und Regionalen kommt alles aus dem Maschinenraum von "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten".

Und das ist genau das, was Otto W. Bechtle, der 2012 gestorbene Vater von Christine, nie wollte. Wann immer der Patriarch zitiert wurde, war von Vielfalt und Unabhängigkeit und dem Kampf gegen die Monopole die Rede, was nur für Springers "Bild" nicht galt, die er zur Mehrung des Vermögens gerne druckte.

Wohl wahr: Die EZ steckt voller Geheimnisse

Am Tag der offenen Tür, am vergangenen Sonntag bei schönstem Sonnenschein, erfährt niemand von den neuen Besitzverhältnissen. Das hängt womöglich auch damit zusammen, dass die Welt der Zeitungsmacher "voller Geheimnisse" steckt, wie das Heimatblatt vermerkt. Beim Rundgang durchs Druckhaus liest das Publikum von einer "unabhängigen Vollredaktion", die alles selbst produziert und gestaltet, etwa 40 Köpfe umfasst und von etwa 100 freien Mitarbeitern unterstützt wird. Das wundert dann wieder den Betriebsrat, der noch 26 Redaktionsmitglieder zählt, Tendenz abnehmend, und auch "Freie" schwinden sieht, die keine Aufträge mehr bekommen.

Für sie sind die Wunder nicht so groß. Zum einen wollen die Sparfüchse der SWMH eine Billigzeitung, zum anderen kein Rumgefummel, wenn es um die Platzierung der Anzeigen geht. Also wurden die sechs Spalten der EZ auf fünf reduziert, um sie STZN-kompatibel zu machen, noch ordentlich Weißräume geschaffen, und fertig war die "luftige Anmutung", wie sie Geschäftsführer Heinkel gefällt. Für die "Freien" ist das Luft im Geldbeutel, weil sie weniger Platz und für die längere Zeile das gleiche Geld kriegen: 62 Cent. Darüber streiten sie sich derzeit mit Heinkel, der allerdings unwillig ist.

Ob jener Misshelligkeiten hat sich EZ-Chefredakteur Gerd Schneider wohl gedacht, dass es besser wäre, nett zu sein. Also hat er am 6. April an seine freien Mitarbeiter geschrieben, ohne ihre "wertvolle Unterstützung" wäre das Haus nicht in der Lage, täglich ein "derart lesenswertes Produkt" zu präsentieren. Deshalb seien auch sie zum großen Tag der offenen Tür eingeladen, wobei sie mit einem kleinen Zügle von der Zeppelinstraße (dem Firmensitz, d. Red.) zur gemütlichen Hocketse gebracht würden. Wären sie da gewesen, was sie nicht waren, hätten sie auch manche Kritik gehört. Zum Beispiel, dass das Blatt immer dünner werde, und die Todesanzeigen aus Stuttgart als Füllmaterial herhalten müssten.

Schwamm drüber. Jetzt wird gefeiert. Vorhang auf für die BeKo-Festspiele. Alle sind erschienen am Mittwoch, den 25. April, um der Ex-Verlegerin im Esslinger "Neckar Forum" die Ehre zu erweisen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hielt ein flammendes Plädoyer für eine freie Presse und erinnerte sich daran, wie er in Esslingen einst versucht hat, seine "Kommunistische Volkszeitung" los zu werden, was ihm aufgrund der EZ-Qualität nicht gelungen sei. Was haben sie gelacht, die 400 Festgäste, über den ehemaligen Maoisten. Konzernchef Mathias Döpfner trat mit Friede Springer und zwei Hüten auf. Als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger und als Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlags. Er tue das besonders gern, teilt seine Sprecherin Edda Fels auf Anfrage mit, weil sich die Familien Bechtle und Springer "auch weiterhin verbunden fühlen". (<link https: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen springerknechtle-bechtle-5019.html internal-link-new-window>Wie in Kontext berichtet, basiert die Freundschaft auf der Hilfe von Otto W. Bechtle für Axel Springer, der vor dem 68er-Mob geschützt werden musste)

Döpfner versprach den anwesenden Verlegern eine "großartige Zukunft", sofern sie es mit dem Herdentrieb und dem Mainstream nicht übertrieben. Zuviel political correctness, warnte ihr Vorsitzender, sei nicht gut. Auch SWMH-Geschäftsführer Richard Rebmann, der zur Jahresmitte in Rente gehen wird, war voller Zuversicht und sicherte zu, die Erfolgsgeschichte der EZ als "unabhängige und kritische Stimme fortzuschreiben". Das dürfte auch dem Oberbürgermeister der Stadt, Jürgen Zieger von der SPD, gefallen haben, der sich immer glücklich schätzte, mit Frau Bechtle-Kobarg als Duz-Freund verbunden zu sein. Schade nur, dass die vielen Menschen, die sonst an erster EZ-Stelle stehen, nicht teilhaben konnten. Leider, bedauerte die SWMH, sei der Festakt nur für geladene Gäste zugänglich.

Auch das eigene Bodenpersonal musste draußen bleiben. Es stand, fast 300 an der Zahl, am Mittwochnachmittag vor der Tür des Neckar Forums mit Trillerpfeifen und Transparenten, die "Wir sind es wert" einforderten. Nein, sie wollten da nicht rein, die Journalistinnen und Journalisten, sie wollten mehr Geld von denen, die drinnen sind. <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien internal-link-new-window>Aber die bieten nur 1, 04 Prozent mehr und deshalb war wieder Warnstreik, der sich gut mit der Verlegerfeier kombinieren ließ. "Sie sollen uns schon sehen", sagt Uwe Kreft von der Gewerkschaft Verdi, die zusammen mit dem Deutschen Journalistenverband DJV zum Ausstand aufgerufen hat.

Es soll auch KollegInnen gegeben haben, die gerne einen Spießrutenlauf gesehen hätten. Von BeKo und ihren Gästen. Aber da war die Sicherheit vor, für Kretschmann & Co., weshalb es auch kein Spalier gab, sondern Sperrgitter zwischen Demonstranten und denen, die besonders geschützt werden mussten. Ein Spalier hätte die Polizei nie erlaubt, vermutet Verdi-Mediensekretär Siegfried Heim, wäre von ihm aber auch nicht gewollt gewesen, weil sie doch die "Guten" seien. Schade eigentlich.

Presse im Umbruch

Print geht, digital kommt. Die meisten Verleger haben das zu spät bemerkt. Statt zu investieren, sparen sie den Journalismus kaputt. Aber es gibt auch positive Beispiele.

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7 Kommentare verfügbar

  • Emilia Lohnhorst
    am 01.05.2018
    Antworten
    Andreas Heinkel, der Geschäftsführer des Bechtle-Verlags, ist ein lustiger Geselle! Zwei Beispiele: Auf der Facebook-Seite der EZ-StZ-StN schrieb ein erboster Leser nach dem Selbstbeweihräucherungs-Festakt im Esslinger Neckarforum, er habe, nach der Rückkehr aus dem Urlaub, 175 Euro…
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