Der Sondergipfel der Staats- und Regierungschef zu Griechenland markiert einen Wendepunkt in der europäischen Politik. Ein ungeschriebenes Grundgesetz des gemeinsamen Europa war bislang, dass Konflikte und unterschiedliche Interessen zwischen Staaten auf Augenhöhe behandelt und in oft zähen und mühsamen Verhandlungen Kompromisse errungen werden. Natürlich gab es dabei jeweils größere und kleinere Gewinner, manchmal auch Sieger und Verlierer, aber keineswegs Triumphierende und Gedemütigte. Das machtpolitische Nullsummenspiel, diese Logik der politischen Diplomatie des 19. Jahrhunderts zwischen den Großmächten in Europa hinter sich zu lassen, das war einer der zentralen Gründe für das beharrliche Vorantreiben des europäischen Projekts.
Es ging diesem europäischen Gedanken, gemeinsam erfolgreich zu sein, schon länger nicht mehr sehr gut. Der Nationalismus hat sich in den letzten Jahren massiv ausgebreitet. Doch das vorletzte Wochenende war ein Einschnitt. Da war die vor allem von Finanzminister Wolfgang Schäuble geprägte Verhandlungsführung darauf ausgerichtet, einen europäischen Partner, der bereits in außerordentlich tiefen Schwierigkeiten steckte, vollends zu bezwingen, ihn zum Verzicht auf eigene Vorstellungen und zur weitgehenden Abgabe staatlicher Souveränität zu nötigen. Entscheidendes Folterwerkzeug war dabei die Grexit-Drohung Deutschlands, diese auch noch freundlich gebilligt von der SPD, der ihre proeuropäische Tradition nichts mehr wert ist.
Die Furcht vor dem Hegemon Deutschland ist wiederbelebt
Die Furcht davor, dass wieder ein Hegemon Deutschland in Europa kalt den Ton angeben könnte, diese Furcht trieb nach dem Mauerfall vor allem Margaret Thatcher in Großbritannien und François Mitterrand in Frankreich um. Und Ironie der Geschichte: Ausgerechnet das Projekt der gemeinsamen Währung sollte auch dazu zu dienen, diesen Hegemon einzubinden, die dominierende Stellung der Bundesbank in einem europäischen Gefüge einzuhegen. Daran müsste sich eigentlich gerade Wolfgang Schäuble gut erinnern.
Tatsächlich hat dann ausgerechnet Deutschland am meisten profitiert von der Einführung des Euro, dank dessen deutsche Produkte auf dem Weltmarkt zu ganz anderen, günstigeren und damit wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden können, während sich spanische, italienische und französische Produkte dadurch eher verteuert haben. Aber weit gefehlt, dass von der deutschen Regierung verstanden würde, welche Verantwortung ihr aus dieser Stärkung zuwuchs. Im Gegenteil.
In alter Nationalstaatsmanier werden die vermeintlichen Interessen des heimischen Publikums eisern verteidigt, ohne zu begreifen, dass ein starkes Land wie Deutschland seine Interessen auf Dauer nur sichern kann, wenn es den Zusammenhalt schützt, der diese Stärke ermöglichte, und ihn nicht ausbeutet. In zweieinhalb Tagen wurde viel von dem in zweieinhalb Jahrzehnten aufgebauten Vertrauen verspielt, und die alten Befürchtungen gegenüber Deutschland wurden wiederbelebt, die konsequent zu widerlegen bislang Leitlinie und Parteienkonsens in der deutschen Europapolitik war.
Bedenklich ist, wie viele Debattenbeiträge und Kommentatoren die Griechenland-Frage so darstellen, als ginge es hier um das Verhältnis zwischen einer Bank und ihrem schwierigen, unzuverlässigen und eigentlich inakzeptablen Kreditnehmer. Entweder spurt der irgendwann, oder man will ihn lieber loswerden. Selbst aus dieser Perspektive wäre das Vorgehen der deutschen Bundesregierung falsch und unsinnig: Der von Finanzminister Schäuble ins Spiel gebrachte Grexit und eine damit verbundene Schuldenkonferenz hätten dazu geführt, dass die Gläubigerkredite komplett verlustig gegangen wären.
Europas Totengräber sind Schäuble, Merkel und Gabriel
Mit klug ausgestalteten Schuldenerleichterungen kann aber genau das verhindert werden. Dieser Blickwinkel nur aus der Sicht eines Bilanzbuchhalters ist aber im Kern so falsch wie gefährlich. Der Euro ist ein gemeinsames europäisches Projekt unter gleichberechtigten Partnern, wobei diejenigen, die am stärksten sind und am meisten von ihm profitieren, auch die größte Verantwortung für das Gelingen des gemeinsamen Projekts haben. Diese Grundidee wurde jetzt von Schäuble, Merkel und Gabriel beerdigt: Wer nicht nach den von Deutschland definierten Regeln spielt, fliegt raus. Ende Gelände.
25 Kommentare verfügbar
Leser
am 14.08.2015drei Wochen später steht die Frage noch unbeantwortet da:
Was halten Sie von der Übernahme lukrativer griechischer Flughäfen durch die Fraport AG?
(Auch andere griechische Staatsbetriebe sollen ja "privatisiert" werden, sofern sie Profit versprechen.)
Andere haben sich…