Wenn jetzt Chaos und noch größere Not von revanchelüsternen Syriza-Gegnern ganz offen herbeigeredet wird, dann ist das nicht nur unüberlegte Emotionalität, sondern strategisches Kalkül. Die rasende Wut über den "David" Tsipras, der den Austeritätskurs der Europa-Queen Angela Merkel durchkreuzt, ist das eine, die Furcht vor der Ansteckung mit dem griechischen Virus das andere: Ein Verhandlungserfolg von Tsipras – etwa ein Schuldenschnitt und ein Stimmungsaufschwung in Griechenland – könnte bei den anstehenden Wahlen in Spanien im Herbst dazu führen, dass Mariano Rajoy, der Lieblingseleve von Merkel, durch den jungen Pablo Iglesias von der Protestbewegung Podemos aus dem Sattel gehoben wird.
Die Botschaft des etablierten Parteienkartells in Europa ist deshalb klar: Wer die neuen linken Protestbewegungen in Südeuropa wie Syriza oder Podemos wählt, wird durch noch größere ökonomische und soziale Rückschläge bestraft. Iglesias wird wie Tsipras im Drahtverhau der EU-Institutionen durch den Widerstand der "ewigen" Koalition aus Konservativen, Christdemokraten, Sozialdemokraten und oft auch Liberalen stecken bleiben. Denn in Wahrheit geht es in der EU um einen zähen Abwehrkampf der neoliberalen Ideologie gegen neue linke Bewegungen wie in Griechenland, Spanien und Portugal, sprich um den Machterhalt des traditionellen europäischen Parteienkartells.
Linke Strömungen sollen im Verhandlungsmarathon scheitern
Deshalb muss am Beispiel Griechenlands symbolhaft deutlich gemacht werden, dass die neuen linken Strömungen in der EU nicht nur konzeptionell unfähig, sondern auch machtpolitisch isoliert sind. Zusätzlich soll vermittelt werden, dass hier idealistische Charismatiker mit ihren Visionen von mehr sozialer Gerechtigkeit die Prozesse professioneller Regierungskunst nicht beherrschen und in ihrem Dilettantismus mit einer falschen "politischen DNA" einfach scheitern müssen. Der monatelange Verhandlungsmarathon in der Eurogruppe über eine zusätzliche griechische Finanzhilfe von 7,2 Milliarden Euro war nichts anderes als eine dramaturgisch raffiniert genutzte Bühne, um eine einfache Botschaft zu vermitteln: Linke sind Loser.
An der Spitze Deutschland, die europäische Führungsmacht, mit dem routinierten und sarkastischen Wolfgang Schäuble vorneweg und den folgsamen Mitgliedstaaten hinterher. Sie setzten Athen durch eine ständige Erpressung in der Eurogruppe unter Druck: Entweder ihr setzt unter Bruch eures Wahlprogramms einen nachweislich prozyklischen Rezessionskurs mit uns gemeinsam fort und bekommt Hilfszahlungen, oder ihr seid nicht mehr dabei und geht bankrott. Eine offen perfide Erpressung.
Tsipras und sein (inzwischen zurückgetretener) Finanzminister Yannis Varoufakis versuchten, durch ihre wachstumsorientierte Konsolidierungsstrategie aus dieser Schlinge einer verstärkten Rezession und politischen Unglaubwürdigkeit zu schlüpfen, und konnten deshalb zahlreiche verlangte sogenannte Reformen nicht akzeptieren. Dafür wurden sie wie verstockte oder trotzige Halbstarke behandelt, die einfach nicht die geforderte Reformliste liefern, die im EU-Sprech als "Gegenleistung" geliefert werden muss, bevor Geld fließt. Diese Strategie der Erpressung mit einem nicht hinterfragten, deformierten Reformbegriff ging voll auf: Die zwei griechischen "Spitzbuben" lieferten trotz angeblich größter Geduld und guten Zuredens, insbesondere der bekanntlich immer gutwilligen Angela Merkel, nicht die gewünschte Liste und wurden deshalb kollektiv in der europäischen Presse verrissen.
In Wahrheit kappte die Kanzlerin auch die letzten Vermittlungsversuche der EU-Kommission und des französischen Staatspräsidenten François Hollande. Tsipras und Varoufakis hätten in dieser zugespitzten Situation fast das gesamte letzte Angebot der Geldgeber – allerdings nur unter der Prämisse einer verbindlichen Perspektive für einen Schuldenschnitt – geschluckt. Dieser allerletzte Einigungsversuch wurde von der Bundesregierung wieder als Wackelkurs und Unzuverlässigkeit verhöhnt, und Tsipras musste die Verzweiflungsaktion, ein Ja im Referendum doch noch empfehlen zu können, abbrechen.
An der Spitze einer grotesken Kampagne: Sigmar Gabriel
Dazu kam eine groteske deutsche Kampagne in Politik und Medien, die Tsipras unterstellten, niemals ernsthaft verhandeln zu wollen. Das Referendum mit einem Nein sei sein politisches Ziel gewesen. An der Spitze der Bewegung der sozialdemokratische Vizekanzler Sigmar Gabriel, der sich zu dem Vorwurf hinreißen ließ, man könne den Deutschen nicht die Finanzierung der unseriösen Wahlversprechen einer kommunistisch beeinflussten Syriza zumuten. Im Bemühen, auch noch die Hardliner der Union zu übertreffen, warf er der griechischen Regierung vor, dass sie "politisch, man kann sagen, ideologisch eine andere Eurozone" wolle. Das hieße absurderweise, dass eine wirklich konsequent keynesianische Ausrichtung der Krisenpolitik in der Eurozone bereits eine politisch suspekte Systemveränderung ist. Sigmar Gabriel betonte zwar immer wieder, dass er das Votum des Referendums respektiere. Am Abend des Referendums aber krönte der SPD-Parteivorsitzende die wütenden Attacken der europäischen Führungsmacht Deutschland auf Tsipras mit der These, der griechische Ministerpräsident habe "alle Brücken abgebrochen" und sein Volk in eine Perspektive der "Hoffnungslosigkeit" geführt. Wenn diese Scharfmacherei nicht so traurig wäre, könnte man sich den burlesken Bezug nicht verkneifen, dass diese Hoffnungslosigkeit eher zu dem bundesweiten Umfragetrend der SPD passt.
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invinoveritas
am 20.08.2015