KONTEXT:Wochenzeitung
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Tsipras ist nicht Che Guevara

Tsipras ist nicht Che Guevara
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Griechenland bleibt in der EU und muss harte Sparmaßnahmen durchboxen, die Tsipras nie wollte: Das ist das Ergebnis des letzten EU-Gipfels. Die Griechen sollen für ihr Oxi büßen, kritisierte Dieter Spöri in der letzten Kontext. Unser Autor, Grieche, politischer Karikaturist und seit sieben Jahren Stuttgarter, widerspricht.

Lieber Herr Spöri,

die ersten 36 Jahre meines Lebens habe ich in Griechenland verbracht. Und genauso lange habe ich dort Verschwörungstheorien gegen Griechenland hören müssen. Mit Interesse habe ich<link http: www.kontextwochenzeitung.de politik wer-links-waehlt-wird-bestraft-3008.html internal-link-new-window> Ihren Artikel gelesen. Und es drängt mich, Ihnen zu antworten:

Oxi!

Dieses Wort ist seit gut drei Wochen in aller Munde, es ist hier in Deutschland geradezu zum Schlachtruf der Solidaritätsbewegten geworden. Auch wenn die allermeisten wohl gar nicht so genau wussten, was eigentlich die Frage war, die da mit Ja oder Nein beantwortet werden sollte. Auch viele Griechen selbst nicht. Ja oder Nein zum Euro? Ja oder Nein zum Sparpaket? Zu welchem Sparpaket? Dieses Referendum stand von Beginn an auf wackeligen Füßen. Angekündigt zu einem Zeitpunkt, als die Eurogruppe ihr letztes Angebot zurückgezogen hatte. Mit einer Planungszeit von nur fünf Tagen. Unter Einfluss der ganz und gar nicht neutralen Regierung. Und nicht zuletzt begleitet von der Angst, die von den geschlossenen Banken ausging. Ich bin ein Verfechter direkter Demokratie. Aber hatten die Griechen die Chance, unter diesen Umständen gut informiert abzustimmen?

Das Referendum ist vorbei, die Griechen haben bekanntermaßen mehrheitlich mit Oxi abgestimmt - und Sie sagen, die Griechen müssen nun dafür büßen. Da haben Sie völlig Recht. Aber nicht, weil die Wähler die falsche Antwort angekreuzt haben, sondern weil es nie auf ihre Entscheidung angekommen ist. Denn Tsipras hat noch in der Nacht der Wahlentscheidung die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien einbestellt, um eine Einigung mit den Gläubigern vorzubereiten. Wenn das Oxi so wichtig für die Regierung gewesen wäre, warum musste Varoufakis dann tags darauf seinen Stuhl räumen? Macht es nicht den Eindruck, als hätte niemand, außer den griechischen Wählern selbst, an ein Nai oder Oxi geglaubt? Und wenn das so ist, hat Tsipras dann nicht sein Volk betrogen?

Die Rache

Heute, wenige Tage später, ist klar, dass die Griechen ein neues Sparpaket bekommen. Härter und gnadenloser als alle vorherigen. Tatsächlich gleicht es eher einem Rachefeldzug der Europäer als einer Hilfe für die Menschen. Aber es ist zu einfach zu sagen, dass daran die EU, die Eurogruppe, Schäuble oder die Medien die alleinige Schuld tragen. Auch Tsipras hat in seiner kurzen Amtszeit eine ganze Reihe von Fehlern gemacht.

Unbestritten sind die griechischen Bürger in einem Spiel zu dem Ball geworden, auf den von beiden Seiten eingedroschen wird. Vom EU-Establishment, wie Sie es nennen, und von der eigenen Regierung. Vielleicht sind Sie mit dem politischen System Griechenlands nicht im Detail vertraut und können nicht nachvollziehen, wie Politiker dort ticken. Da Regierungskoalitionen bisher eher die Ausnahme waren, leben die Parteien geradezu von gegenseitigen Schuldzuweisungen, egal ob vor oder nach einer Wahl.

Die Politiker versprechen, die Leute glauben. Das ist in der Politik nichts Neues und auch in Deutschland und anderswo so? Mag sein, aber entlang der Aussagen der letzten griechischen Ministerpräsidenten lässt sich die Chronik der Memoranden eindrucksvoll nachzeichnen. 2009 erklärte Giorgos Papandreou: "Lefta iparchun." "Wir haben Geld." Kurz darauf steuerte Griechenland auf den Bankrott zu und Papandreou unterschrieb das erste Memorandum. Dann, 2012: Samaras kam, sah und sagte, "ich werde dieses Memorandum zerreißen!" Das war keinesfalls gelogen, denn kurze Zeit später verhandelte er über das zweite Sparpaket. Im Mai 2014 versprach Tsipras schon vor seiner Wahl in einem Interview mit der Zeitung Ethnos: "Die Austeritätspolitik wird beendet und das Memorandum gekippt." Am dritten Sparpaket wird bekanntlich gerade gearbeitet. Aber es sind ja auch schon einige Monate vergangen. Eines war immer gewiss: Nach den Versprechungen kam stets die Rechnung. Und das Volk zahlte.

Zu links für Europa?

Sie argumentieren, dass Tsipras mit seiner Regierung von vornherein keine Chance im EU-Establishment hatte, da er "zu links" sei. Ist es wirklich so, dass die - unbestritten harte - Haltung der Europäer gegen Tsipras mit seinem Parteibuch begründet werden kann? Ich glaube nicht, dass sich diese These halten lässt. 1989 gab es gleich zwei griechische Regierungen in Griechenland mit dunkelroter Beteiligung, die in Gestalt der kommunistischen Partei Griechenlands KKE daherkam. 2008 bis 2013 hatte auch Zypern eine kommunistische Regierung, ohne dass es nennenswerten Protest seitens der Europäischen Union gegeben hätte. Im Gegenteil fand der Bankencrash bekanntlich erst statt, als der konservative Nikos Anastasiadis nachfolgte.

Herr Spöri, Sie vermuten, Tsipras sei für die EU ein buchstäblich rotes Tuch, weil er nicht das aufgegeben hat, was er vor den Wahlen versprochen hat. Das fordert mich geradezu heraus, an einige seiner vor der Wahl aufgestellten Versprechen zu erinnern: Die Verhandlungen mit den Gläubigern werden härter geführt, die Sparpolitik wird beendet, das Memorandum gekippt, die Troika des Landes verwiesen, die Löhne steigen auf das Niveau von 2009 und der Staatssender ERT wird wiedereröffnet.

Einige Monate sind seitdem vergangen. Halten wir Tsipras also zugute, dass er ERT tatsächlich wiedereröffnet und die entlassenen Mitarbeiter wieder eingestellt hat. Offen bleibt, ob er diesen kleinen Erfolg durch die Verhandlungen um das nun kommende Sparpaket bringen kann.

Die Erpressung

Sie sagen, dass Griechenland von der Eurogruppe erpresst worden ist und somit gezwungen war, die Wahlversprechen zu brechen. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Aber Syriza wusste das natürlich auch. Doch statt den Hardlinern durch konstruktive Vorschläge den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde beiderseits ein Krieg mit populistischen Waffen geführt. Von Yanis Varoufakis ist außer vielen Interviews, einem Stinkefinger und dem Vorschlag, Touristen als Spitzel einzustellen, um vermeintlich sündigen griechischen Kleinunternehmern Quittungen abzujagen, wenig geblieben. Welchen Dienst hat er seiner Regierung und den Griechen damit erwiesen?

Wie links ist eigentlich die Regierung Tsipras bei genauerem Hinsehen? Varoufakis' Beraterin Elena Panariti ist ein ehemaliges Pasok-Mitglied und hat für den IWF gearbeitet. Varoufakis selbst war vor wenigen Jahren der Berater des Pasok-Ministerpräsidenten Papandreou, ebenso der heutige Außenminister Giannis Kotzias. Zahlreiche andere ehemalige Pasok-Mitglieder finden sich heute aus Gründen des Machterhalts in den Reihen von Syriza.

Vor wenigen Tagen, am vergangenen Montag, sagte der Syriza-Fraktionsvorsitzende Nikos Filis in einem Interview mit dem Sender ANT1, dass jeder, der gegen das Sparpaket gestimmt hat, der Partei seinen Sitz zur Verfügung stellen müsse. Was für ein leuchtendes Beispiel der ältesten Demokratie der Welt!

Das griechische System

Sowohl Varoufakis als auch Tsipras handeln nach dem alten griechischen System, in dem der Staat die Wirtschaft kontrolliert. In der Krise ist der Privatsektor praktisch verschwunden; die Beamten haben aber einen vergleichsweise geringen Anteil an den Einschnitten zu tragen. Das politische System Griechenlands hat immer so funktioniert: Wenn Du mich wählst, bekommst Du eine Stelle im Staatsapparat. Wer also die Beamten kontrolliert, gewinnt die Wahl. Auch Tsipras wollte dieses System beibehalten, konnte das nötige Geld dafür aber nicht auftreiben.

Dieser Beamtenapparat ist für den ganz alltäglichen Wahnsinn in Griechenland maßgeblich mitverantwortlich. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen.

Als vor einigen Jahren die griechischen Geburtenregister auf EDV umgestellt wurden, hat ein Standesbeamter meinen Nachnamen falsch geschrieben. Fortan hatte ich also einen anderen Namen als mein Bruder - und hatte folglich keinen mehr. Dass ich noch einen Vater hatte, blieb nur dem Umstand geschuldet, dass ihnen bei ihm der gleiche Fehler unterlaufen war. Trotz sofortiger Reklamation habe ich es in nunmehr acht Jahren nicht geschafft, dass dieser Fehler behoben wurde. Gerettet wurde ich von den deutschen Behörden, die den falschen Eintrag bei meiner Einbürgerung korrigiert haben.

Was beim Stuttgarter Bürgerbüro in 15 Minuten möglich war, hat das griechische Meldewesen, da nicht vorhanden, bis heute nicht geschafft. Wenn ich in Deutschland bin, habe ich einen Bruder und keinen Vater. Bin ich in Griechenland, habe ich einen Vater, aber keinen Bruder. Und ich habe nicht nur zwei Pässe, sondern auch zwei verschiedene Namen.

Erwähnenswert sind auch die griechischen Steuerformalitäten. Die ändern sich jedes Jahr, und es werden stets neue Formulare gefordert. Und so wurde auch ich im vergangenen Jahr aufgefordert, ein bestimmtes Papier aufzutreiben. Welches genau und vor allem, wo man es bekommen kann, darüber konnte mir das griechische Finanzamt leider keine Auskunft geben. Fündig wurde ich schließlich beim Stuttgarter Finanzamt, das mir das Formular in griechischer Sprache und englischer Übersetzung aushändigen konnte. Mein Dank gilt den dortigen Mitarbeitern.

Lieber Herr Spöri, als Wirtschaftsminister a. D. wissen Sie, dass eine ausufernde Bürokratie die Wirtschaft im Keim erstickt und Investoren abschreckt. Nicht nur Ausländer, auch Griechen können an den eigenen Behörden verzweifeln. Tsipras kann für dieses Chaos natürlich nicht verantwortlich gemacht werden; er macht aber auch keinerlei Anstalten, etwas an der Situation zu ändern. Der Staatsapparat bleibt so aufgebläht, wie er ist, denn die heiligen Kühe, die Beamten, können nicht angetastet werden.

Gleichzeitig wird der Privatsektor abgewürgt, die Arbeitslosigkeit ist hier auf bis zu 60 Prozent angewachsen. Ich wäre, wenn ich denn noch in Griechenland leben würde, übrigens jetzt auch arbeitslos. Meine Zeitung Eleftherotypia ist seit einem Jahr geschlossen. Sie schuldet mir ganz nebenbei noch zehn Monatsgehälter, die ich natürlich niemals einfordern kann. Denn, das hätte ich fast vergessen zu erwähnen, funktionierende Arbeitsgerichte gibt es auch nicht.

Apropos Presse

2011 habe ich eine Athener Wochenzeitung nach vielen Jahren der Mitarbeit verlassen. Nicht, weil sie nicht zahlte, sondern weil man meine Arbeit zensieren wollte. Ich sollte bitteschön alle Europäer als Nazis kennzeichnen und die Griechen stets als siegreiche Helden. Ich habe gekündigt.

Sie beschuldigen die europäische Presse und sagen, dass sie die griechische Regierung zerreißt. Nun, ich kann Ihnen beim täglichen Blick in zahlreiche Zeitungen und Portale versichern: Da schenken sich beide Seiten nichts. Giorgos Delastik hat unlängst in der bekannten Polit-Talkshow Nikos Chatzinikoalou die 40 Prozent der Griechen, die beim Referendum mit Ja gestimmt haben, als "Germanotsoliades" (Nazifreunde) tituliert. Worauf der Gastgeber zwar protestierte, ihn aus Respekt aber nicht des Saals verwies.

Der Banken-Mythos

Ein häufig bemühter Krisen-Mythos rankt sich um die Rolle der Banken: Europas Hilfsmilliarden würden nur die Banken und nicht die Menschen retten. Wenn die Stützung der Banken so sinnlos ist, warum hat Tsipras dann den Sozialstaat, die Rentenkassen und, laut dem Internetportal "Press Project", sogar die Cafés der Kasernen geplündert, um damit die Raten des IWF zu bedienen?

Ich möchte Sie, Herr Spöri, als ehemaligen Wirtschaftsminister fragen: Wenn Baden-Württemberg bankrott gewesen wäre, hätten Sie Ihrem Kabinett dann auch vorgeschlagen, kurzerhand die Banken zu schließen? Warum wäre das hierzulande keine Option? Vermutlich weil Sie wissen, dass eine Bankenschließung mehr Probleme schafft als Lösungen bereithält. Vielleicht ist eine Stützung der Banken doch nicht so sinnlos?

Ich habe einen Traum: Wir sind im Jahre 2010. Griechenland darf selbst entscheiden, in welche Richtung es gehen will; Drachme respektive Grexit oder Euro. Die Politiker aller Parteien entscheiden zusammen, was zu tun ist. Ohne Blame-Game und populistische Spielchen. Zu dieser Zeit hätte ich ein Referendum auch befürwortet. Mit genügend Vorbereitungszeit und ohne Druck. Damit wir Griechen unseren Staat selbst hätten verändern können, anstatt immer nur zu jammern, wer was alles falsch macht. Ich träume von einem Europa, in dem die Menschen im Zentrum stehen und nicht die Märkte, die Lobbyisten, Geld und Zahlen. Wo die Demokratie wirklich eine Macht ist, die vom Volk kommt, und kein Bürokrat für mich entscheidet, wer mich regiert. Haben wir schon den Fall, dass die reichen Länder entscheiden, welche Regierung die ärmeren Staaten haben?

Ja, Europa muss solidarisch mit Tsipras sein. Aber Tsipras muss auch endlich konstruktiv arbeiten und nicht nur an seine Partei und seine Sitze denken. Da unterscheidet er sich nicht von allen anderen Politikern. Tsipras ist nicht Che Guevara. Es ist naiv zu glauben, dass er der gute Linke ist und alle anderen sind böse Mächte, die sich gegen ihn verschworen haben. Wer das glaubt, malt sich die Politik schwarz und weiß. Nai und Oxi.

 

Kostas Koufogiorgos, 1972 in Griechenland geboren, studierte nach dem Abi Wirtschaftswissenschaften an der Uni Athen, lebt seit 2007 in Stuttgart und karikiert seit fast einem Vierteljahrhundert das politische Geschehen. Seine Karikaturen erscheinen in deutschen und griechischen Zeitungen und Magazinen und waren bereits in Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen: im griechischen Parlament, bei der Gewerkschaft griechischer Journalisten und im Druckerei-Museum von Portugal.


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33 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 21.07.2015
    Antworten
    Dem Kommentar von Jona Gold, 18.07.2015 14:32 Uhr kann ich mich nur anschließen!

    Auszug:
    "Sorry,
    aber wenn ich die Artikel von Herrn Koufogiorgos lese, dann zwängt sich immer wieder ein Gedanke ganz hartnäckig in meinen Kopf:
    Ich denke, man kann bei Herrn Koufogiorgos das bekannte und bei…
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