KONTEXT:Wochenzeitung
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Zickezacke Hühnerkacke

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Der Weltfrauentag am 8. März erinnert unsere Autorin ein bisschen an Weihnachten ohne Barbie-Pferd. Kontext-Autorin Elena Wolf hat so ihre Zweifel, ob das ritualisierte Gedenken die Gleichberechtigung groß nach vorne bringt.

Der Weltfrauentag nervt mich, Muttertag auch, und Weihnachten gehört abgeschafft.

Wie bitte? Was ist mit Gleichberechtigung, Mutterliebe und Geschenken?

Tolle Sache, ich liebe Geschenke, und ja, ich liebe auch meine Mutter, und Frauen mag ich sowieso (die meisten zumindest). Aber ich fand es als Kind schön ätzend, mir von fünf Mark Taschengeld im Monat etwas kaufen zu müssen, um einem Standard gerecht zu werden, den clevere Floristenverbände irgendwann ins Leben gerufen haben und der später von den Nazis der germanischen Herrenrasse zuliebe übernommen und gefeiert wurde.

Davon wusste ich damals natürlich nichts, aber ich habe die Kohle sinnvoller investiert und die fünf Mark beim Bäcker Bachmann für saure Zungen und Schlümpfe ausgegeben und meiner Mutter einen Strauß Blumen aus den Kübeln vor der ansässigen Volksbank gepflückt – was für ein undankbares Balg. Doch über selbst geklaute Mitbringsel hat sie sich immer mehr gefreut als über Geschenke auf Kommando. Und was ist mit Weihnachten – dem Fest der Liebe? Nicht erst seit Loriot und den Hoppenstedts wissen wir, was sich in den meisten Familien an Weihnachten für Szenen abspielen. Am 24. Dezember wird erst der Baum fertig geschmückt, dann sagt Dicki ein Gedicht auf, dann holen wir die Geschenke rein, dann sehen wir uns die Weihnachtssendung im ersten Programm an, dann wird ausgepackt, und dann machen wir's uns gemütlich. Zickezacke Hühnerkacke.

Offenbar braucht die Menschheit immer einen definierten Tag, um sich koordiniert lieb zu haben. Wenn ich jedoch daran denke, wie ich Weihnachten 1994 eine singende Meerjungfrau statt des heiß ersehnten Barbie-Pferdes (mit Pferdegeräusche imitierendem Sattel!) in meinen aus Wut verkrampften Fingern hielt, hält es sich mit der Nächstenliebe selbst am 24. Dezember in Grenzen. Das Barbie-Pferd bekam übrigens meine Schwester geschenkt, wofür ich sie heute manchmal noch hasse.

Aber das können wir ja am Weltfrauentag verhandeln, denn Nächstenliebe und der Wunsch nach der globalen Zärtlichkeit der Völker und Geschlechter erscheint ohne speziellen Aktions- oder Feiertag als Ding der Unmöglichkeit. Aus diesem Grund muss am 8. März nun auch daran erinnert werden, dass Frauen total super sind. Traditionell geht dieser Tag mit massenhafter Kritik von feministischer Seite einher, die im Chor betont, dass der Weltfrauentag scheinheilig sei, da selbst nach über 100 Jahren Weltfrauentag noch längst nicht von der Gleichberechtigung der Geschlechter gesprochen werden könne.

Das Auto zum Weltfrauentag – würgt sich an der Ampel selbst ab

Dabei gibt es am Weltfrauentag doch immer so tolle Angebote speziell für Frauen! Am Frauentag 2011 warb ein Autoverleiher zum Beispiel für einen 1er BMW als Mietwagen mit dem Spruch: "Unser Auto zum Weltfrauentag: Das Auto, das sich an der Ampel selbst abwürgt." Auch dieses Jahr darf frau sich ganz besonders auf ihren Ehrentag freuen, denn was machen Frauen am liebsten? Einkaufen, richtig. Darum gibt es zur Feier des Tages den "Woman's Day Sale" – ein Internet-Einkaufs-Event der Black Friday GmbH, bei dem Frauen ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen und zu reduzierten Preisen endlos shoppen können. Motto: "Du sollst mehr Schuhe als alle deine Freundinnen besitzen." Kreisch! Ist das nicht toll?

Noch toller ist die geplante Aktion von Hartmut Holzhey, dem Landrat von Saalfeld-Rudolstadt (Thüringen), der seinen Mitarbeiterinnen am Weltfrauentag einen halben Tag freigeben will. Klitzekleines Manko: Gegenfinanzieren will er den bezahlten freien Nachmittag mit der Einsparung der Gleichstellungsbeauftragten im Haus. Eine gemeinsame Gleichstellungsbeauftragte für Sparkasse, Klinik, Amt und Co. wird ja wohl auch reichen, da geht laut Holzhey nämlich eh niemand hin.

So lustig sich diese Aktionen erzählen lassen, so negativ ist das Ergebnis für Frauen und Gleichberechtigung im Alltag. Denn wenn frau die gönnerhaften Präsente nicht dankend annimmt, sondern sich darüber aufregt, kann sie ja nur eine Emanzenzicke sein, der Mann es eh nie recht machen kann. Doch scheinbar müssen Gleichberechtigung und dümmliche Geschlechterklischees auf unterschiedlichen Schlachtfeldern ausgetragen werden. Denn wenn Klischees herangezogen werden, um Gleichberechtigung einzufordern, beißen sich alle Katzen und Kater selbst in den Schwanz und zementieren die Ungleichberechtigung der Geschlechter für alle Zeit im Betonsarg der scheinbaren Naturalismen.

Blankziehen ist kein revolutionärer Akt

Wenn an einem Tag im Jahr, am sogenannten Girl's Day, in diversen Unternehmen und Universitäten speziell Mädchen und Frauen dazu motiviert werden sollen, technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen, dann frage ich mich, weshalb das Plakat dazu aussieht wie die Einladung zu einer Barbie-Tauschbörse? Wenn in Stuttgart im April der "Play!Girls" – Porsche Tennis Grand Prix ausgetragen wird, frage ich mich auch, weshalb das Plakat mit einem neon-pinkfarbenen Tennisball für "Girls" wirbt, die in Wirklichkeit erwachsene Frauen und Profisportlerinnen sind. Ein äquivalentes "Play!Boys"-Turnier wäre undenkbar – oder ist Roger Federer etwa ein "Boy"?

Die Praxis, mit der im Alltag und auch am Weltfrauentag für Gleichberechtigung mobil gemacht wird, verhält sich wie Femen-Aktivistinnen, die mit nackten Brüsten gegen die Objektivierung von Frauen vorgehen. In einer Welt, in der weibliche und männliche Blickstrukturen jedoch ungleichen Machtverhältnissen unterliegen, reproduzieren fünf Paar wackelnde Möpse nur die patriarchalen Blick- und Machtstrukturen. Denn es macht im Alltag keinen Unterschied, ob fünf angemalte Femen-Möpse in Markus Lanz' Sandkasten-Talk platzen oder sich auf Sport 1 in den "Sexy Sport Clips" auf die Mattscheibe drücken. Solange der männliche Blick im Subjekt-Objekt-Verhältnis die aktive Position markiert und Frauen diese Struktur begünstigen, indem sie ihren Objektstatus als "Waffe" verwenden, ihr "Angesehen-werden-Wollen" nutzen und dieses Klischee akzeptieren, ist Blankziehen kein revolutionärer Akt. Zumindest noch nicht.

Hinzu kommt, dass das Trauerspiel von Femen meist von (Sicherheits-)Männern unterbrochen wird, die den Mädels und den ZuschauerInnen souverän zu verstehen geben: "Is ja gut jetzt, Kleines, das regelt der Papa schon." "Epic Fail"– wie ich als Computerspiel-Opfer zu sagen pflege, "Mission fehlgeschlagen – aber so was von." Zumindest muss man Femen zugutehalten, dass sie nicht nur einmal im Jahr an die (Un-)Gleichberechtigung der Frau erinnern und so den Wagen am Rollen halten, in der Hoffnung, dass er sich nicht an der nächsten Ampel selbst abwürgt.

Ursprünglich zielte der Weltfrauentag auf eine Ungerechtigkeit, die heute völlig absurd erscheint: Frauen durften nicht wählen. Aus Amerika übernommen, schlug die deutsche Sozialistin Clara Zetkin auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 die Einführung eines internationalen Frauentags vor, um primär das Frauenstimmrecht einzufordern, was in Deutschland 1918 auch gelang. Bedenkt man aber, dass Frauen in der Schweiz erst seit 1971 wählen dürfen und der Kanton Appenzell Innerrhoden seine Frauen sogar erst 1990(!) in die Wahlkabinen ließ, liegt der Verdacht nahe, dass die Forderung nach der Gleichberechtigung der Frau kein alter Keks ist, der mit Alice Schwarzer in den 70ern gegessen war.

Was vielen deutschen Frauen und Männern offenbar schon lange ein müdes Gähnen verursacht, muss sich für Frauen in Kuwait wie Weihnachten (mit Barbie-Pferd) anfühlen: Die dürfen nämlich erst seit 2005 wählen. Dabei steht der Kampf um das Wahlrecht nur Parade für die antifeministische Gesellschaftsstruktur, mit der es Frauen in zahlreichen Etappen der Geschichte schwer gemacht wurde. Diese Struktur gibt es auch heute noch – trotz zahlreicher Errungenschaften. Sie ist nur besser getarnt und arbeitet mit perfideren Mitteln.

Weltfrauentag – nur für Taschenkalender-Druckereien relevant?

Wenn sich heute eine Frau unter Tausenden von männlichen Vorstandsmitgliedern und Führungskräften in eine Machtposition begibt, kann man oft beobachten, wie diesen Frauen "männliches" Verhalten zugesprochen wird (besonders aggressiv und durchsetzungsstark), da Machtpositionen diese Attribute per se verlangen und prinzipiell in der Natur des Mannes gesehen werden. Eine Frau erscheint also nur stark, wenn sie agiert wie ein Mann. Würde sie sich nämlich verhalten wie eine Frau, würde sie in harten Verhandlungsgesprächen ja weinend aufs Klo rennen. An solchen Denkfehlern sind auch die oben beschriebenen, klischeehaften Darstellungsformen von Weiblichkeit schuld.

Solange Autoverleiher, Medien und Co. weiterhin mit abgewürgten BMWs und rosa Tennisbällen für Emanzipation einstehen, reproduziert sich weiterhin eine Gesellschaft, die Frauen nach wie vor den Platz zuweist, den sie ja irgendwie von Natur aus schon immer hatte: hinter/unter dem Mann. Und wenn man sich doch auf Augenhöhe begegnen sollte, dann nur, weil frau sich männlich verhält. Wenn der Weltfrauentag mit der Shoppingwut der Frau beworben und ihre mangelnde Fähigkeit, Auto zu fahren, imaginiert wird, um ihr einen günstigen Mietwagen schmackhaft zu machen, ist der Weltfrauentag wie etwa der Pi-Tag am 14. März (zu Ehren der Kreiszahl Pi) nur für Taschenkalender-Druckereien relevant.

Sicher ist es gut, dass wenigstens einmal im Jahr darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Ungleichheit der Geschlechter für viele Frauen in der Welt sogar lebensbedrohend ist (Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Zwangsprostitution). Doch diese Barbarei kann nicht das Maß sein, um der "Emanzenzicke" hierzulande entgegenzuschleudern, dass sie doch schon längst alles hätte, was an Gleichberechtigung möglich wäre. Nur weil die Skala der Grausamkeiten nach unten hin offen ist, heißt das nicht, dass Gleichberechtigung in einem Land wie Deutschland Paradiescharakter hat.

Ich relativiere damit meine Ansicht vom Anfang, und Sie gestehen sich ein, dass Sie zunächst auch ein bisschen der Meinung waren, dass der Weltfrauentag irgendwie für den Arsch ist. In Anbetracht der angeführten Überlegungen müssen wir feststellen, dass trotz Wahlrecht und Frauen in Führungspositionen noch längst keine Gleichberechtigung herrscht.

Einen Blick für Alltags-Ungerechtigkeiten entwickeln

Gleichberechtigung ist nämlich nicht alleine in Frauenquoten messbar, sondern auch am Grad des gleichen symbolischen Rechts in öffentlichen und privaten Räumen sowie zwischenmenschlichen Handlungen. Solange ich in der U-Bahn Gedichte in der Dachschräge über dem Fenster lese, in denen offenbar ein Mann und Dichter beschreibt, wie er eine Frau in der Bahn lustvoll beobachtet und sexualisiert (natürlich lyrisch und daher massenkompatibel), solange ich mich in der S-Bahn nicht hinsetzen kann, weil ein Mann seinen offenbar viel zu großen Eiern zwei Sitzplätze schuldet, solange ich beim Standhalten eines süffisanten Blickes innerlich rot werde und mich frage, weshalb er nicht als Erstes wieder wegglotzt, und ich mich ertappt fühle, solange eine frauenverachtende Sprache Standartrepertoire im Deutsch-Rap ist, solange gibt es keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Punkt.

Dass es immer noch einen Weltfrauentag gibt, heißt nur, dass ich recht habe, sonst müsste man ihn nicht begehen. Doch statt diesen Tag groß hervorzuheben, sollten Frauen wie Männer besser einen Blick fürs Detail der Alltagsungerechtigkeiten entwickeln und beispielsweise anfangen, sensibel auf Raum einnehmende Eierschaukler in der U-Bahn zu reagieren. Denn auch Männer, die solches Verhalten nervt, können sich letztlich nicht hinsetzen und tragen mit stillschweigender Akzeptanz dazu bei, dass sich Vorurteile gegen ihre Geschlechtsgenossen perpetuieren.

Das, was hinter dem Weltfrauentag steckt, nämlich die Forderung nach Augenhöhe, impliziert nicht die Horrorfantasie einer weiblichen Vorherrschaft, die Männer knechtet, sondern die Akzeptanz der Tatsache, dass niemand qua Geschlecht in irgendeiner Form benachteiligt werden darf. Eigentlich ganz logisch, oder?


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5 Kommentare verfügbar

  • Böser Maskulist
    am 11.03.2014
    Antworten
    Ein Werbespot: Ein Mann klingelt an einer Haustür, eine Frau öffnet und er rammt ihr unvermittelt die Faust ins Gesicht: "Dressed for the moment" wird der Werbeslogan eingeblendet. Witzig, witzig, nicht wahr? Nein, natürlich nicht, Gewalt gegen Frauen, und nur gegen diese, ist niemals witzig, ich…
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