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Gegen das Vergessen in Ostfildern

Gedenkort für Sadri Berisha

Gegen das Vergessen in Ostfildern: Gedenkort für Sadri Berisha
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 Fotos: Julian Rettig 

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Datum:

In der Nacht auf den 8. Juli 1992 wurde in Ostfildern der albanische Gastarbeiter Sadri Berisha von Neonazis ermordet. Mit einer Ausstellung kämpft der Künstler Klaus Illi gegen das Vergessen. Und dafür, dass in der Stadt ein Ort an Berisha erinnert.

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Offenbar hat Klaus Illi einen Nerv getroffen: Die Eröffnung seiner viertägigen Ausstellung über den Mord an Sadri Berisha war gut besucht. 200 Menschen sind in die Städtischen Galerie gekommen, unter ihnen auch Angehörige Berishas, die erstmals seit der Tat Ostfildern besuchten. Andere wiederum wohnten damals in der Stadt und erinnerten sich an die aufgeheizte Stimmung. Eine Gruppe Neonazis attackierte in der Nacht des 8. Juli 1992 zwei schlafende Männer aus dem Kosovo in einer Arbeiterunterkunft: Sie erschlugen mit einem Baseballschläger Sadri Berisha (55), Sahit Elezaj (46) überlebte mit schweren Schädelverletzungen, konnte aber nie mehr arbeiten.

Am Abend des Mordes gingen sieben junge deutsche Männer nach dem Besuch ihrer Stammkneipe in eine Wohnung, hörten dort Reden Adolf Hitlers und Rechtsrock und beschlossen, "Polacken zu klatschen". Sie bewaffneten sich mit Baseballschlägern und wollten eigentlich zu einer Unterkunft für Geflüchtete in Ostfildern-Kemnat. Auf dem Weg dorthin kamen sie an einem Containerheim für jugoslawische Arbeiter:innen vorbei und fanden eine offenstehende Tür. Vier der Täter standen Wache, drei gingen rein und prügelten auf die schlafenden Männer Sadri Berisha und Sahit Elezaj ein. Alle sieben Täter wurden wenige Tage nach der Tat festgenommen, der Haupttäter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, die anderen zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten auf Bewährung bis zu neun Jahren Haft. Auch der Haupttäter ist inzwischen wieder auf freiem Fuß.  (ses)

"Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden" – dieses Zitat von Fritz Bauer (dem ersten Staatsanwalt, der sich konsequent für die Verfolgung von Nazi-Verbrechern einsetzte) steht auf einem Baseballschläger mitten in der Ausstellung. Für Illi sind Verbrechen wie die Tötung von Berisha Ausdruck einer ideologischen Kontinuität des Nationalsozialismus'. Sie verdienen Erinnerungsorte. Doch von der Stadtverwaltung habe es kaum Unterstützung gegeben, eher Gegenwind, berichtet der Künstler.

So habe die Stadt nicht gewollt, dass die Podiumsdiskussion nach der Vernissage in der städtischen Galerie stattfindet. 200 Meter weiter stellte schließlich die Kirchengemeinde das Sophie-Scholl-Gemeindehaus zur Verfügung. Zum ersten Mal nach der Ermordung ihres Vaters kamen Tochter und Sohn nach Ostfildern – in jene Stadt, in der ihr Vater 20 Jahre lang gearbeitet hatte, um seiner Familie ein besseres Leben im Kosovo zu ermöglichen. Berishas Enkelin Sara (21), eine Medizinstudentin, sprach an Stelle ihres Vaters, der vor lauter Emotion nicht in der Lage war, selbst zu reden. Sie berichtete, dass die Familie in den vergangenen 33 Jahren aus Deutschland nur eine einzige Geste guten Willens erfahren habe: eine Spende für den Hausbau, organisiert von der Kirchengemeinde. Von der Stadt habe es nie eine Kontaktaufnahme gegeben.

Vor fünf Jahren wurde Klaus Illi zufällig bei einem Vortrag einer Studiengruppe an der Hochschule Esslingen auf den vergessenen Mordfall von Sadri Berisha aufmerksam. Der Fall galt für die Studierenden als Beispiel dafür, wie rechte Gewalt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs systematisch aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt wurde, um eine Art Normalität aufrechtzuerhalten. Der Künstler begann, im Stadtarchiv nach Zeitungsartikeln zu suchen und nahm Kontakt zur Stadtverwaltung auf, schlug ihr vor, einen Gedenkort einzurichten. Doch für ein Gedenken, habe es von der Stadt geheißen, brauche es die Zustimmung der Angehörigen des Opfers.

Illi erstellte eine Website über den Fall – in der Hoffnung, dass die Familie Berisha im Kosovo auf ihn aufmerksam werden würde. Und das hat geklappt. Vor einem Jahr entdeckte Vlorë Kryëziu-Krug die Website. Ihr Vater Murat Kryëziu kannte Berisha aus dem albanischen Klub "Fazli Grajçevci" in Filderstadt. Als Berisha tot aufgefunden wurde, kümmerte sich Murat Kryëziu um die Überführung des Leichnams. Die Tochter meldete sich bei Illi und bat ihren Vater, der im Kosovo war, die Familie Berisha zu kontaktieren. Er wusste noch, aus welchem Dorf Berisha im Kosovo stammte, fuhr dorthin und erhielt eine Vollmacht für ein Gedenken. Damit steht einer offiziellen Gedenkstätte an Berisha nun eigentlich nichts mehr im Weg.

Ein Sozialarbeiter für die Jungnazis

Klaus Illis Recherche ist hochaktuell angesichts des heutigen Rechtsextremismus' in Deutschland. Der Mord war der Höhepunkt einer Serie rassistischer und rechtsextremer Gewalttaten in der gesamten Republik Anfang der 1990er-Jahre. Der Erfolg der AfD heute erinnert an das politische Klima in Baden-Württemberg damals: Im April 1992 zogen die Republikaner mit knapp elf Prozent erstmals in den Landtag ein. Ihr zentrales Thema war die Migrations- und Asylpolitik.

"Nach dem Fall der Mauer haben Deutsche aus dem Osten mit Gastarbeitern um Arbeit und Wohnraum gekämpft", erinnerte sich Kryëziu-Krug, die damals zwölf Jahre alt war und in Filderstadt aufgewachsen ist. Die Ausstellung Illis zeigt anhand von Fotos und vielen Zeitungsausschnitten wie angespannt die Lage zwischen Neonazis und ausländischen Arbeitern in Ostfildern-Kemnat schon seit dem Sommer 1991 war: Berichte über Nazi-Schmierereien, verängstigte Ausländer, Demonstrationen und Gegendemonstrationen, Hitlergrüße. Nach einer Messerstecherei, an der auch einer der später verurteilten jungen Männer beteiligt war, stellte die Stadt einen Jugendsozialarbeiter ein, der sich mit jungen Neonazis beschäftigen sollte.

"Hätte man den Mord damals verhindern können?" – das ist die zentrale Frage, die Klaus Illi in seiner Arbeit beschäftigt. Die gesammelten Zeitungsartikel zeigen, wie Stadtverwaltung, Polizei und Sozialarbeit damals die Gefahr durch die rechte Szene unterschätzten und teilweise verharmlosten. Der Fokus lag darauf, Eskalationen zwischen Skinheads, demonstrierenden Deutschen und Ausländern oder Antifa zu vermeiden. Die schwierige Kindheit der Täter wurden in den Vordergrund gerückt und der gravierende Einfluss nationalsozialistischer Ideologie relativiert, sagt Illi.

Auch nach dem Mord an Berisha gingen Polizei und Bürgermeister nicht von einem politischen Motiv aus – obwohl die Haupttäter bekannte Skinheads und vorbestraft waren. "Die Politik hat damals versagt", sagt Martin Ulmer, damals Grünen-Stadtrat in Ostfildern, heute Geschäftsführer des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb. Seine Forderungen nach einem Runden Tisch und einem Ausländer:innenbeirat nach den ersten Gewalttaten gegen Ausländer 1991 fanden im Gemeinderat keine Mehrheit. Der frisch angestellte Sozialarbeiter wollte die Familien der Täter vor öffentlicher Diffamierung schützen, erinnert sich Ulmer.

Der promovierte Historiker kritisiert ein Vollzugsdefizit der Polizei – damals wie heute. "Rechtsextremismus braucht Ideologie, politische Stimmung und Taten" – alle drei Faktoren waren Anfang der 1990er-Jahre vorhanden und sind es heute wieder. Die Normalisierung der AfD, der Mangel an Zivilcourage und die Entpolitisierung der Gesellschaft führten dazu, dass viele Menschen bei rechter Bedrohung einfach wegschauen, sagt Ulmer.

Nichts gelernt aus der Geschichte

"Wir wollen nicht, dass unsere Kinder wie wir in Angst leben. Wenn wir schweigen, können wir der Familie von Sadri Berisha nicht versprechen, dass so etwas nicht wieder passiert", sagt Kryëziu-Krug laut und deutlich. Sie wolle "die Macht der Privilegierten" nicht länger schützen und nicht mehr schweigen. Die zweifache Mutter, die inzwischen in Berlin bei einer Tech-Firma arbeitet, engagiert sich seit dem Erstarken des Rechtsextremismus' in der Initiative "Eltern gegen rechts".

Wie es mit dem Gedenken an Sadri Berisha weitergeht, ist noch unklar. Die Stadt wolle ein immaterielles Denkmal schaffen, berichtet Illi, also so etwas wie eine Website. Das empfanden die Zuhörer:innen im evangelischen Gemeindehaus als eher lächerlich. "Ich habe eine Kreuzung ohne Namen gefunden – die könnte Sadri-Berisha-Platz heißen. Das wäre die günstigste Lösung für die Stadt", schlägt Illi vor. Gelächter im Publikum. Für ein dauerhaftes Gedenken an Sadri Berisha brauche es eine lokale Initiative, meint Ulmer. Von Illi gäbe es jedenfalls schon das Erinnerungsmal: drei Baseballschläger und drei grob behauene Steinblöcke, auf denen die Worte "Sadri Berisha ermordet 8. Juli 1992" stehen.

Ob die Stadt aus ihrer Geschichte gelernt hat? Am 1. Mai 2025 erschien in der "Eßlinger Zeitung" eine Meldung: "Gewalt und Perspektivlosigkeit unter jungen Menschen will der Gemeinderat Ostfildern bekämpfen." Künftig soll es eine Vollzeitstelle für mobile Jugendarbeit geben, bisher war die Stelle nur zu 70 Prozent besetzt.


Hier geht es zu den Fundstücken, die Klaus Illi zum Mord an Sadri Berisha und zum versuchten Mord an Sahit Elezaj zusammengetragen hat.

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1 Kommentar verfügbar

  • Mummi
    vor 2 Tagen
    Antworten
    ...immer noch die selbe politische Betonkopfmentalität in Ostfildern! Ich habe diese nur zur Genüge zu spüren bekommen, denn ich war damals in Kemnat beschäftigt.
    Ich erinnere mich noch gut an dieses Attentat auf die Schlafstätte der Arbeiter Berisha und Elezaj.
    Es wurde viel zu schnell zur…
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