Kurt Tucholskys Urteil ist so klar wie wenig überraschend. "Ein Jahrhundertkerl" sei Heinrich Heine gewesen, schrieb der Berliner Journalist 1929 in der Zeitschrift "Weltbühne". Der in Düsseldorf geborene Dichter, Schriftsteller und Journalist sei ein Künstler gewesen, "der den Schmerz und die Todesahnung, die Wut und den Haß, die Liebe zur Heimat und den Abscheu vor dem Vaterland in Versen gesagt hat, die wie Flaumfedern flogen und wie schwere Minen einschlugen – nein, wie Verse!" Und als wolle er die militärische Minen-Metapher gleich noch einmal konterkarieren, befindet Tucholsky: "Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist."
Zumindest was das zahlenmäßige Verhältnis angeht, stimmt der Satz noch heute. In Baden-Württemberg sei ihm kein Heine-Denkmal, keine Tafel, Büste oder Statue bekannt, schrieb 2010 Fritz Endemann in der Zeitschrift "Schwäbische Heimat", und es sei "eine eigene Geschichte wert", wie sich in den Denkmal-Streitigkeiten der Umgang der Deutschen mit dem Dichter spiegele.
Etwas anders ist es mit den nach Heine benannten Straßen. Von denen gibt es durchaus einige, in Stuttgart etwa schlängelt sich seit 1946 eine Heinestraße von Stuttgart Degerloch am Sonnenberg vorbei bis zum Dornhalden- und Waldfriedhof. Doch vorher gab es schon 27 Jahre lang eine andere Heinestraße, repräsentativer auf der Gänsheide gelegen, unterhalb der Villa Reitzenstein, in der heute das Staatsministerium und der baden-württembergische Ministerpräsident residieren. Doch seit 1933 heißt sie Richard-Wagner-Straße.
Protest gegen den "Französling" als Namenspaten
Am 22. Februar 1906 hatte der Stuttgarter Gemeinderat beschlossen, anlässlich von Heines 50. Todesjahr eine Straße nach dem Dichter zu benennen. Trotz laut Protokoll einstimmigen Beschlusses eine vermutlich nicht ganz unkontroverse Entscheidung, denn national eingestellte Deutsche hassten den begnadeten Lyriker und Polemiker Heine wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Haltung – Frankreich und der Revolution zugewandt – schon lange. 1911 forderte ein Kolumnist der Stuttgarter Tageszeitung "Deutsche Reichspost", die sich selbst als "Zentralorgan der Konservativen in Süddeutschland" sah, die Umbenennung: "Ich bin kein Antisemit und folglich geniert mich die Heine-Straße nicht, weil Heine Jude war", heißt es in dem Artikel, "aber Heine war ein Verräter, ein Vaterlands-Verächter, ein Deutschenhasser… Und nun gerade Schwaben! Niemand hat Schwaben, schwäbische Dichter und Denker so frech beleidigt und verhöhnt, wie dieser Heine." Hätten die Stadtväter etwa die "Schweinigeleien Heines" gegen Gustav Schwab gekannt, hätten sie "dem schmutzigen Französling Heine keine Straße geweiht." Und weiter: "Die Stuttgarter Heinrich-Heine-Straße ist weiter nichts als eine parteipolitische Maßnahme, eine Verbeugung vor dem demokratischen und sozialdemokratischen Radikalismus."
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Philipp Horn
am 01.02.2023