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Heine, Wagner und die Nazis

Macht und Geist

Heine, Wagner und die Nazis: Macht und Geist
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Nach Hitlers Machtübernahme 1933 begannen die Nationalsozialisten schnell, den öffentlichen Raum umzugestalten. In Stuttgart wurde etwa die Heine- zur Richard-Wagner-Straße. Daran und an Heinrich Heines und Wagners so enge wie wenig bekannte Beziehung zueinander erinnert eine Matinee.

Kurt Tucholskys Urteil ist so klar wie wenig überraschend. "Ein Jahrhundertkerl" sei Heinrich Heine gewesen, schrieb der Berliner Journalist 1929 in der Zeitschrift "Weltbühne". Der in Düsseldorf geborene Dichter, Schriftsteller und Journalist sei ein Künstler gewesen, "der den Schmerz und die Todesahnung, die Wut und den Haß, die Liebe zur Heimat und den Abscheu vor dem Vaterland in Versen gesagt hat, die wie Flaumfedern flogen und wie schwere Minen einschlugen – nein, wie Verse!" Und als wolle er die militärische Minen-Metapher gleich noch einmal konterkarieren, befindet Tucholsky: "Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist."

Zumindest was das zahlenmäßige Verhältnis angeht, stimmt der Satz noch heute. In Baden-Württemberg sei ihm kein Heine-Denkmal, keine Tafel, Büste oder Statue bekannt, schrieb 2010 Fritz Endemann in der Zeitschrift "Schwäbische Heimat", und es sei "eine eigene Geschichte wert", wie sich in den Denkmal-Streitigkeiten der Umgang der Deutschen mit dem Dichter spiegele.

Etwas anders ist es mit den nach Heine benannten Straßen. Von denen gibt es durchaus einige, in Stuttgart etwa schlängelt sich seit 1946 eine Heinestraße von Stuttgart Degerloch am Sonnenberg vorbei bis zum Dornhalden- und Waldfriedhof. Doch vorher gab es schon 27 Jahre lang eine andere Heinestraße, repräsentativer auf der Gänsheide gelegen, unterhalb der Villa Reitzenstein, in der heute das Staatsministerium und der baden-württembergische Ministerpräsident residieren. Doch seit 1933 heißt sie Richard-Wagner-Straße.

Protest gegen den "Französling" als Namenspaten

Am 22. Februar 1906 hatte der Stuttgarter Gemeinderat beschlossen, anlässlich von Heines 50. Todesjahr eine Straße nach dem Dichter zu benennen. Trotz laut Protokoll einstimmigen Beschlusses eine vermutlich nicht ganz unkontroverse Entscheidung, denn national eingestellte Deutsche hassten den begnadeten Lyriker und Polemiker Heine wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Haltung – Frankreich und der Revolution zugewandt – schon lange. 1911 forderte ein Kolumnist der Stuttgarter Tageszeitung "Deutsche Reichspost", die sich selbst als "Zentralorgan der Konservativen in Süddeutschland" sah, die Umbenennung: "Ich bin kein Antisemit und folglich geniert mich die Heine-Straße nicht, weil Heine Jude war", heißt es in dem Artikel, "aber Heine war ein Verräter, ein Vaterlands-Verächter, ein Deutschenhasser… Und nun gerade Schwaben! Niemand hat Schwaben, schwäbische Dichter und Denker so frech beleidigt und verhöhnt, wie dieser Heine." Hätten die Stadtväter etwa die "Schweinigeleien Heines" gegen Gustav Schwab gekannt, hätten sie "dem schmutzigen Französling Heine keine Straße geweiht." Und weiter: "Die Stuttgarter Heinrich-Heine-Straße ist weiter nichts als eine parteipolitische Maßnahme, eine Verbeugung vor dem demokratischen und sozialdemokratischen Radikalismus."

Die "Schweinigeleien Heines" beziehen sich auf dessen Streit mit der schwäbischen Dichterschule in den späten 1830er Jahren. Nachdem Herausgeber Adalbert von Chamisso dem "Deutschen Musenalmanach für das Jahr 1837" ein Porträt Heines voranstellen wollte, trat Gustav Schwab aus Protest als Mitherausgeber zurück, die geplanten Beiträge von Gustav Pfizer, Nikolaus Lenau, Karl Mayer und Justinus Kerner entfielen ebenfalls. Den Ton in der Auseinandersetzung gibt im Folgenden vor allem der Stuttgarter Literaturkritiker Wolfgang Menzel vor – und es ging dabei weniger um Heines distanziertes Verhältnis zur für ihn überkommenen Romantik der schwäbischen Dichter, sondern mehr um Heines "Jüdischsein", um die vermeintlich darauf zurückzuführende "Tendenz" seiner Werke. Menzel nennt es "Jüdeln", was in der Folge immer wieder Heine vorgeworfen wird: Seine vermeintliche Frivolität, die Feindschaft gegenüber Sitte und Religion, der jüdische Materialismus, die Reduzierung des Schönen auf seinen Handelswert. Andere pflichteten in antisemitischem Furor bei, der Literat Gustav Pfizer etwa führte die nationale Kategorie ein, indem er Heine der Deutschfeindlichkeit und Franzosenhörigkeit bezichtigte.

Heine antwortete 1838 in seinem "Schwabenspiegel" seinerseits mit scharfem, aber wesentlich geistreicherem Spott. Von der "bescheidenen Größe" der schwäbischen Schule schreibt er, deren Bedeutendster "der evangelische Pastor Gustav Schwab" sei: "Er ist ein Hering in Vergleichung mit den anderen, die nur Sardellen sind; versteht sich, Sardellen ohne Salz. Er hat einige schöne Lieder gedichtet, auch etwelche hübsche Balladen; freilich, mit einem Schiller, mit einem großen Walfisch, muß man ihn nicht vergleichen." Auch Menzel bekam sein Fett ab. Das Band war zerschnitten.

Heine wird zur Unperson

Die Forderung des "Reichspost"-Autors von 1911, die Heinestraße wieder umzubenennen, wurde dann 1933 erfüllt, von den Nazis. Wie schnell sich die Machtübernahme bis in die Kommunen vollzog, und wie umfangreich die Maßnahmen waren, erstaunt dabei immer wieder. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, in Württemberg und Stuttgart hatte dies aber zunächst kaum unmittelbare Folgen; die Reichstagswahlen waren erst am 5. März. Bereits vor diesen nutzten die Nationalsozialisten den Reichstagsbrand in Berlin am 28. Februar, um ihre Gegner auf der Linken auszuschalten. Versammlungen und Druckerzeugnisse der kommunistischen KPD wurden verboten, viele ihrer Funktionäre verhaftet (und später in KZs gebracht), die Aktivitäten der SPD stark eingeschränkt.

Kurz nach den Reichstagswahlen wurde der württembergische NSDAP-Gauleiter Wilhelm Murr am 15. März zum Nachfolger von Staatspräsident Eugen Bolz gewählt. Tags darauf ernannte Murr den NSDAP-Stadtrat Karl Strölin zum Staatskommissar für Stuttgart – und damit de facto zum neuen Oberbürgermeister, auch wenn der bisherige OB Karl Lautenschlager noch bis zum 9. Mai offiziell im Amt blieb.

Die Nazis wussten um die Kraft von Symbolen, sie schalteten in kürzester Zeit nicht nur ihre politischen Gegner aus, sondern begannen auch mit einer Umgestaltung des öffentlichen Raums in ihrem Sinne. Dazu gehörten in Stuttgart umfangreiche Straßenumbenennungen. Bereits am 6. April 1933 dankt Strölin brieflich dem Staatsanwalt Walther Bacmeister für dessen Anregung, die Heinestraße in Schlageterstraße umzubenennen: "Die Heinestraße ist längst für eine Umbenennung reif", schreibt Strölin, "ich habe in dieser Richtung schon Anweisung gegeben." Namenspate wird dann allerdings nicht der von den Nazis als Märtyrer verehrte Freikorps-Kämpfer Albert Leo Schlageter – der bekommt die ehemalige Theaterstraße – , sondern Hitlers Lieblingskünstler, der Komponist und glühende Antisemit Richard Wagner. Am 24. Mai 1933 gibt Strölin die Namensänderung bekannt, im Rahmen von insgesamt 85 Umbenennungen in ganz Stuttgart. Heinrich Heine wollen die Nazis nicht nur so aus dem Bewusstsein tilgen; er wird zu einem der am schwersten zensierten Künstler im Dritten Reich, seine Bücher werden verbrannt, Denkmäler entfernt.

Nur die Wieland-Wagner-Höhe ist weg

Nach Kriegsende 1945 werden viele Straßenumbenennungen in der Landeshauptstadt, vor allem die, die Namen mit deutlichem NS-Bezug haben, wieder rückgängig gemacht. Nicht aber die auf der Straße entlang der Villa Reitzenstein. Auch wenn es immer wieder Forderungen danach gab. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass es in einer Stadt jeden Straßennamen nur einmal geben sollte und es – seit 1946 – die Degerlocher Heinestraße ja schon gebe. Darüber hinaus müssten alle Anwohner:innen einverstanden sein, Aufwand und Kosten wären beträchtlich, all die Briefköpfe und Adresseinträge. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) soll dieser Zustand dennoch gewurmt haben. Deswegen schlug er vor, eine "Wieland-Wagner-Höhe" genannte Aussichtsplattform am Rand der Wagner-Straße in "Heinrich-Heine-Höhe" umzubenennen. Am 13. Oktober 2021 wurde dies umgesetzt.

Die Plattform gehört nicht unbedingt zu den Schmuckstücken unter Stuttgarts Aussichtspunkten, aber nicht nur deshalb empört Harald Stingele die verschämte "Alibi-Veranstaltung" der Umbenennung. Den Mitinitiator des Projekts "Stolperkunst" befremdet auch, dass sich in der nach dem Antisemiten Wagner benannten Straße abgesehen vom Staatsministerium auch das Büro des Antisemitismus-Beauftragten des Landes befindet. Schon gut ein Jahr vor der Umbenennung 2021 hatten er und der ebenfalls bei Stolperkunst aktive Regisseur Christian Werner darüber nachgedacht, wie sie sich künstlerisch mit dieser Straße, mit Heine und Wagner beschäftigen könnten. Herausgekommen ist die Matinee "Heine und Stuttgart".

Die von Werner inszenierte szenisch-musikalische Lesung geht dabei nicht nur Heines Beziehung zur schwäbischen Dichterschule und, wie der Dichter es nannte, "Stukkert am Neckarstrome" nach, das ihm Inbegriff deutscher Biedermeier-Muffigkeit war. Es geht auch um die weniger bekannte, zeitweise sehr enge Beziehung Heines zu Wagner. Der Schöpfer pathosgesättigter Monumentalopern ist nämlich nicht immer ein Judenfeind gewesen.

Anfangs mochten sich Heine und Wagner

Um die Jahreswende 1839/40 lernten sich Wagner und Heine in Paris kennen, wo Heine bereits seit 1831 lebte. Nicht nur die Opposition gegen das reaktionär und verstockt empfundene Deutschland verband die beiden, sondern auch künstlerische Vorlieben. Wagner, der in dieser Zeit auch journalistisch arbeitete, kopierte zeitweise in Artikeln regelrecht Heines ironischen, plaudernden Stil. Und er bezog auch Stoffe für seine Werke, unter anderem die Opern "Der Fliegende Holländer" und "Tannhäuser" von Heine – erstere basiert auf einer Szene aus Heines 1834 erschienener Erzählung "Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski", in der die Titelfigur das Stück in einem Amsterdamer Theater sieht. Dass aus dem leichten, mit Ironie und Sprachwitz gespickten Romanfragment später eine eher gravitätisch-schwere Oper wird, besitzt wieder eine ganz eigene Ironie.

Einige Jahre später ist die künstlerische Verbindung – nach außen – schon wieder passé. In den 1840er Jahren sieht Wagner sein Schaffen mehr und mehr in Opposition zu einem Künstlertum, das kosmopolitisch statt national ist, das für ihn mit Paris und Heine verbunden ist. Er ätzt in seinem gleichnamigen Pamphlet gegen "das Judentum in der Musik" und greift auch Heine an, bestreitet dessen Zugehörigkeit zur deutschen Literatur, sieht ihn als Beispiel, dass Juden nicht wirklich Kunst hervorbringen könnten, und will die Spuren seiner Inspiration verwischen. Offenbar erfolgreich, sonst wäre er nicht später von vielen national bis völkisch gesinnten Deutschen als Exponent des deutschen Wesens in der Musik gesehen worden.

Viele Fäden also, die sich von der Straße auf der Gänsheide aus spinnen lassen. Ob und wie sie zusammengeführt werden können, wird die Matinee am 29. Januar im Foyer des Stuttgarter Schauspielhauses zeigen – leider bislang noch ohne weiteren Termin.


Heine und Stuttgart. Vom Fliegenden Holländer zum schwäbischen Mops; szenisch-musikalische Lesung mit Boris Burgstaller, Katharina Hauter, Lena Spohn (Gesang), Mildred Derenty-Camenen (Klavier), szenische Einrichtung: Christian Werner; 29. Januar, 11 Uhr, Unteres Foyer Schauspielhaus, Oberer Schloßgarten 6, 70173 Stuttgart.


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3 Kommentare verfügbar

  • Philipp Horn
    am 01.02.2023
    Antworten
    Hitler hat nicht die Macht ergriffen,sondern wurde gewählt & mit freundlicher Unterstützung der Vorgänger Parteien, der heutigen CDU, bzw Hindenburgs ins Amt gewählt.
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