Aufsehen erregte in neuerer Zeit die Meldung, die Oberarmmuskulatur von Steinzeitfrauen sei stärker ausgebildet gewesen als bei heutigen Profi-Ruderinnen. Und eine Untersuchung von 84 Skeletten der späten Stein- und frühen Bronzezeit im österreichischen Lechtal ergab, dass die Männer eher sesshaft waren und die Frauen aus weit entfernten Regionen stammten. Auf der Suche nach einem Partner scheinen sie sich auf Wanderschaft begeben zu haben.
Wie aber kommt es, dass die Rollenverteilung der Steinzeit lange Zeit so fest zementiert war? Die Wissenschaft der Ur- und Frühgeschichte ist ungefähr so alt wie die bürgerliche Gesellschaft. Dass der Mann berufstätig und die Frau an Heim und Herd gebunden sei, ist eine zutiefst bürgerliche Idee. Die französische Philosophin Elisabeth Badinter, die sich in ihrem Buch "Emilie, Emilie. Weiblicher Lebensentwurf im 18. Jahrhundert" mit zwei außergewöhnlichen Frauenkarrieren dieser Zeit beschäftigt hat, stellt fest, dass sich die Chancen für Frauen im Zuge der Aufklärung keineswegs verbessert hätten: im Gegenteil.
"Nicht mehr das 'ganze Haus', wie zu Beginn des 18. Jahrhunderts, sondern zunehmend die Dissoziation von Familien-und Erwerbsleben bestimmte die gesellschaftliche Organisation im ausgehenden 18. Jahrhundert", schreibt auch die Erziehungswissenschaftlerin Heide von Felden zur "Geschlechterkonstruktion und Frauenbildung im 18. Jahrhundert" und Jean-Jacques Rousseau schrieb: "Männer, für eigentumsfähig und berufsfähig erklärt, wurden zu Bürgern mit politischem Einfluss und Frauen, für finanziell abhängig von Vätern oder Ehemännern erklärt, blieben Abhängige ohne direkte politische Einflussmöglichkeit."
Das Bild der treusorgenden Ehefrau, wie es Rousseau beschreibt, übertrugen die männlichen Forscher nun auch auf die Steinzeit. Es schien ihnen der natürlichen Ordnung zu entsprechen, die gerade in der Urzeit, vor den Verderbnissen der Zivilisation, noch Gültigkeit hatte. Diese scheinbar natürliche Ordnung entdeckten sie in den frühesten Zeiten der Menschheit wieder und bestätigten so in einem Zirkelschluss, dass es schon immer so war.
Schier übermenschliche Anstrengungen gefordert
Die französische Philosophin Elisabeth Badinter hat sich ihr Leben lang mit Frauen- und Männerrollen beschäftigt. Aufsehen erregte 1980 ihr Buch über "Die Mutterliebe", in dem sie diese als Mythos beschrieb, der im Zuge der Aufklärung entstand. Mit "XY – die Identität des Mannes" hat sie 1993 eine Studie veröffentlicht, die über die gängigen Geschlechterzuschreibungen weit hinausgeht. Ausgehend von den Erkenntnissen verschiedener Wissenschaftszweige – von der Anthropologie bis zur Entwicklungspsychologie – verfolgt Badinter die Mannwerdung von der Entwicklung vor der Geburt über die Kindheit bis hin zur Adoleszenz. Ihre Grundthese: Während die Frau einfach Frau sein kann, muss der Mann, um zum "richtigen Mann" zu werden, schier übermenschliche Anstrengungen vollbringen.
Um nur zwei der zentralen Momente herauszugreifen: Als Kleinkind leben Jungen wie Mädchen in einer symbiotischen Einheit mit der stillenden Mutter. Während sich die Mädchen aber weiterhin mit der Mutter identifizieren können, müssen sich die Jungen von ihrer ersten Identifikationsfigur abgrenzen. Daher der Zwang, aktiv zu sein – während zugleich die Sehnsucht nach der wohligen Passivität des Säuglingsdaseins immer bestehen bleibt. In der Pubertät müssen die Jungen sich dann überall auf der Welt Initiationsriten unterwerfen, die ihre Männlichkeit auf die Probe stellen. Mädchen werden dagegen einfach zur Frau, wenn die Menstruation einsetzt. Sie müssen sich nicht eigens beweisen.
4 Kommentare verfügbar
Stephan Buck
am 13.03.2018Gut, dass die Kontext dieses Thema aufgreift. Nur leider wieder ziemlich deutlich aus der Stuttgarter Perspektive. Während einige der Flöten und Eiszeitplastiken in der Landeshauptstadt eher wie Trophäen von der Alb betrachtet werden und dort wirklich nicht besonders gut…