"Ich bin gespannt, was die Gewerkschaften jetzt machen." Wolfgang Däubler, einer der renommiertesten Arbeitsrechtler der Republik, ist stolz. Denn das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) geht maßgeblich auf ihn zurück. Der 83-jährige Jurist kann es nicht lassen, sich für Arbeitnehmerrechte einzusetzen. Vor mehr als fünf Jahren hat er sich in die Kampagne für Leiharbeiter:innen reingehängt, die auch von der Satiresendung "Die Anstalt" gepuscht wurde. Anlass war die Klage einer Leiharbeiterin in Bayern, die im Handel eingesetzt war und dort 4,40 Euro weniger in der Stunde verdiente als vergleichbare Stammkolleg:innen. Weil sie nach Leiharbeitstarif bezahlt wurde. Sie ging mit Rechtsschutz von Verdi vors Arbeitsgericht, wollte knapp 1.300 Euro einklagen. Vor den deutschen Arbeitsgerichten verlor sie, das Bundesarbeitsgericht schließlich fragte den Europäischen Gerichtshof.
Der urteilte nun im Dezember: Es ist zwar prinzipiell okay, Leiharbeiter:innen per Tarifvertrag schlechter zu bezahlen. Aber die europäischen Zeitarbeitsrichtlinie sieht einen "Gesamtschutz" der Arbeitnehmer:innen vor und das bedeutet, die schlechtere Bezahlung muss angemessen ausgeglichen werden. Zum Beispiel durch mehr Freizeit. Und damit sei nicht gemeint, für 20 Prozent weniger Gehalt einen Tag mehr Urlaub zu gewähren. Eben dieser Ausgleich ist in den Tarifverträgen zwischen DGB und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) nicht vorgesehen.
Nun geht das Verfahren wieder zurück ans Bundesarbeitsgericht (BAG), dessen Entscheidung wird Mitte dieses Jahres erwartet. Die Tarifpartner sollten sich schnell überlegen, was sie nun tun. Zumal aktuell ein neuer Tarifvertrag für Leiharbeiter verhandelt wird.
Arbeitgeber werden unruhig
Das Arbeitgeberlager hat schnell verstanden, welche Bedeutung der EuGH-Spruch haben kann. Bereits im Sommer, nachdem der Generalanwalt am EuGH seine Einschätzung abgegeben hat – die dem jetzigen Urteil entspricht –, warnten arbeitgebernahe Juristen und Medien vor den Folgen. "Bestehende Zeitarbeitstarifverträge mit reduzierter Vergütung dürften mit großer Wahrscheinlichkeit unwirksam sein", schrieb etwa der Jurist Christian Häußer im Handelsblatt-Blog und warnte: Wenn Leiharbeit im Grunde so teuer würde wie Festanstellungen, würde sie "als flexibles Arbeitsmarktinstrument damit insgesamt unattraktiver werden". Da nahezu alle Zeitarbeitsfirmen im Tarif sind, ist vom Urteil eine ganze Branche betroffen. Für die geht es "ums Eingemachte", heißt es in der Wochenschrift "Der Betrieb", dem Leitmedium zum Thema Unternehmerwissen im Bereich Steuern und Recht. Nun käme es auf die Kreativität der Tarifpartner an, einen angemessenen Ausgleich zu finden, damit Zeitarbeit sich nicht derart verteuere, dass sie sich nicht mehr lohnt.
Noch am Tag des Urteils gab der Arbeitgeberverband Zeitarbeit BAP eine Pressemitteilung heraus. Die Sozialpartnerschaft mit dem DGB habe sich doch so gut bewährt, heißt es darin. Nun habe das Bundesarbeitsgericht "sich schützend vor die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie zu stellen und die Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge in der Zeitarbeit auch zukünftig zu ermöglichen, und zwar rechtsicher, praktikabel und attraktiv". Attraktiv dürfte hier Billiglohn bedeuten.
Der DGB ist im Urlaub
Und der DGB, der die Tarifverträge schließlich verhandelt hat? Alle im Urlaub, heißt es von der Pressestelle des DGB Bundesverbandes auf die Kontextanfrage, wie die Gewerkschaft bei den Tarifverhandlungen denn nun weitermachen wolle und wie sie das Urteil auffasse. Auch Verdi, die diese Klage durchgezogen hat, sieht sich wegen der Urlaubszeit nicht in der Lage, sich zu äußern. Der baden-württembergische Landeschef Martin Gross sagt: "Einschätzen kann ich die Auswirkung noch nicht. Aber ich bin der Ansicht, dass wir Leiharbeiter mindestens genauso bezahlt werden müssen wie Stammbelegschaften. Wenn nicht besser." Bei der IG Metall war vor Weihnachten noch jemand da. "Wir begrüßen das EuGH-Urteil", schreibt die Pressestelle. Wie es in der Republik weitergeht, habe das Gericht aber nicht erklärt. Die IG Metall wartet ab, was das Bundesarbeitsgericht zu den hiesigen Tarifverträgen sagt.
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Sebastian
am 15.01.2023