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Landeselternbeirat Baden-Württemberg

Eltern gegen Eltern

Landeselternbeirat Baden-Württemberg: Eltern gegen Eltern
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Der Landeselternbeirat soll laut Gesetz die schulischen Interessen baden-württembergischer Mütter und Väter vertreten. Das ist aber derart kompliziert, dass er sich immer wieder zerlegt. Am 14. Januar beginnen die Neuwahlen des Gremiums, der Noch-Vorsitzende Michael Mittelstaedt nimmt nicht nur den Hut, er hat sogar einen Alternativverein gegründet.

Debatten, Auseinandersetzungen und Streitereien sind im Landeselternbeirat (LEB) quasi naturgegeben. Wer seine Kinder aufs Gymnasium schickt, priorisiert andere Themen und Schwerpunkte als Haupt- oder Berufsschuleltern. Wie ein roter Faden ziehen sich Rücktritte, Misstrauensvoten, Ab- und Neubesetzungen durch die vergangenen Jahrzehnte. Dass ein scheidender Vorsitzender das Gremium als solches problematisiert, ist aber neu. Und bei Michael Mittelstaedt, der nach nur einer Amtszeit genug hat, klingt es wie eine Generalabrechnung: Kurz bevor am 14. Januar die Neuwahlen des Landeselternbeirats beginnen, kritisiert er dessen Struktur und Stellung als aus der Zeit gefallen – weil einerseits die Vertreter:innen sich zu sehr derjenigen Schulart verpflichtet sähen, für die sie gewählt wurden, und andererseits sich die beratende Funktion "totgelaufen hat".

Der Physiker Mittelstaedt, der Südbadens Gymnasien vertritt, argumentiert insbesondere damit, dass über den tatsächlichen Willen vor Ort viel zu wenig bekannt sei. Das müsse sich endlich ändern – und mit Hilfe direkt-demokratischer Instrumente wie etwa eines Rats der Zufallbürger:innen herausgefunden werden, "wohin die Reise gehen soll", rechtzeitig vor der Landtagswahl 2026. Der LEB jedenfalls, findet der oberste Elternvertreter des Landes, werde den Herausforderungen nicht gerecht. Und die vielen ungelösten bildungspolitischen Probleme seien ohnehin schon lange nicht nur ein Elternproblem, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft, die sich damit befassen müsse.

Eine Alternative scheint Mittelstaedt schon im Sinn zu haben: Der von ihm maßgeblich mitangestoßene Landesbildungsrats soll als eingetragener Verein "unabhängige Bildungskonzepte entwickeln, die Zukunft von Kindern und Jugendlichen ins Zentrum stellen und zementierte Bildungsstrukturen aufbrechen". Ziele wie eine Kampfansage, weil implizit die Botschaft mitgeliefert wird, dass die bisherige Interessensvertretung das alles nicht will oder schafft.

Der LEB soll unparteiisch sein – klappt nicht

Nach dem Schulgesetz berät der Landeselternbeirat "das Kultusministerium in allgemeinen Fragen des Erziehungs- und Unterrichtswesens, insbesondere bei der Gestaltung der Bildungs- und Lehrpläne und der Zulassung der Schulbücher". Er habe sich "als Interessensvertretung in allen Angelegenheiten der Erziehungs-und Bildungspolitik" zu verstehen und "ehrenamtlich, uneigennützig und unparteiisch und vertrauensvoll" zusammenzuarbeiten. "Wie sich 'unparteiisch' in der 'Bildungspolitik' beißt, durfte ich dauerhaft miterleben und hat mir … ziemlich häufig die Freude an der Tätigkeit genommen", schreibt der frustrierte Chef Mittelstaedt in einem Rückblick auf seine dreijährige Amtszeit. Bezeichnenderweise trägt der den Titel "Eine Realsatire?" und nimmt speziell die Gemeinschaftsschul-Vertreter:innen aufs Korn.

Die allerdings können sich in der Grundsatzdebatte um längeres gemeinsames Lernen und Lehren anstelle der Selektion nach der vierten Klasse im Recht fühlen. Denn in vielen Ländern und in der Bundesrepublik ist die Erkenntnis längst akzeptiert, dass auf diese Weise Kinder und Jugendliche aller Begabungen bestmöglich gefördert werden. Und dass Gemeinschaftsschulen (GMS) zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. Nur haben in Baden-Württembergs Landespolitik CDU und FDP verbissen gegen Einführung und Ausbau gekämpft. Letztere verlangen bis heute die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung als Weichenstellung nach der vierten Klasse. Und Erstere verweigern sich seit ihrem Eintritt in die Landesregierung vor fast sieben Jahren jeglicher Strukturdebatte, obwohl das inzwischen fünfgliedrige Schulsystem Ressourcen frisst und Ungerechtigkeiten zementiert.

Konflikte intern und mit den Landesregierungen

Im Grunde geht es schon seit viel zu langer Zeit immer um Beharrung oder Modernisierung. Zunächst hatte die Ganztagsschule Ende der Achtziger keine Mehrheit in den LEB-internen Debatten, ein paar Jahre später wurde sie vehement eingefordert. Den Anlass bot die Fremdsprache in der Grundschule, die als "hervorragendes Konzept zur Entwicklung der Sprachlernfähigkeit" viele Anhänger fand und 2000 auch tatsächlich eingeführt wurde. Wieder ein Jahrzehnt danach kam dieses Fach wegen Überforderung erheblich unter Druck und ist inzwischen wieder abgeschafft. Für heftige Aufwallungen sorgte die besonders von der Wirtschaft massiv befürwortete Verkürzung des Wegs zum Abitur von neun auf acht Jahre (G8). Eltern drängten in der Folge auf das Ende der Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 in der Befürchtung, zweiteres könnte als minderwertiger angesehen werden im weiteren Berufsleben.

Zur Unzufriedenheit untereinander kam und kommt die Konfrontation mit den jeweiligen Landesregierungen hinzu. Manchmal sogar vor Gericht: Etwa als Väter und Mütter vor rund 15 Jahren gegen jeden wissenschaftlichen Rat erstritten, dass auf vier Jahre Grundschulfranzösisch in der Region entlang des Rheins die Fünfte mit Englisch folgt. "Wir müssen unsere Kinder fit für den Weltmarkt machen und nicht nur für die Nachbarregion", sagte Christiane Staab 2007. Die damalige LEB-Vorsitzende steht aber auch für die sich über Jahre hinziehenden Grundsatz-Reibereien. Sie warf 2010 das Handtuch vor Ablauf ihrer Amtszeit und befand: "Mir fehlt bei der CDU jegliche Vision, wie Schule besser werden könnte, und der Landesregierung fehlt völlig der Wille zu erkennen, dass so vieles schiefläuft in diesem Schulsystem." Immer wieder habe sie Probleme benannt und Lösungen vorgeschlagen, "aber letztlich festgestellt, dass dies überhaupt kein Gehör findet, deshalb fühle ich mich nur noch verhöhnt". Heute sitzt Staab in der Landtagsfraktion der CDU, bezeichnenderweise nicht als Fachfrau für Schulpolitik, sondern für frühkindliche Bildung.

Einig sind sich Elternvertreter:innen schon seit vielen Jahren darüber, dass zu wenig Geld und zu wenig Personal ins Schulsystem investiert wird. Selbst diese Übereinstimmung ist aber die Basis für neuen Zwist, weil Fans der Gemeinschaftsschule nicht einsehen, dass es zu Abstrichen kommen könnte zugunsten von Hauptschulen zum Beispiel. Deren völlig ineffiziente Rettung hat die CDU durchgesetzt, selbst in Fällen, wenn die Schüler:innen-Zahl das eigentlich nicht mehr hergibt. Oder zugunsten eines neunjährigen Gymnasiums, wo doch auch an einer Gemeinschaftsschule in der Nähe ein Abitur nach neun Jahren abgelegt werden könnte.

Mittelstaedt mutmaßt vor sich hin

Der scheidende LEB-Vorsitzende Mittelstaedt unterstellt in seinem Rückblick aber gerade Gemeinschaftsschul-Befürworter:innen, nur mit ausgewählten Zahlen zu argumentieren. Und er karikiert die Arbeit des Gremiums insgesamt, mutmaßt, ohne Ross und Reiter:in zu nennen, offensiv vor sich hin, zumindest einzelne Mitglieder hätten die Tätigkeit dort überhaupt nur als Sprungbrett verstanden: "Wenn man jedem weiteren LEB etwas mitgeben möchte, dann ist es, dass erstens klar abgefragt werden sollte, wer welche Ambitionen hat. Parteifunktionäre und ideologische Interessenvertreter erkennt man sonst viel zu spät, und das kann hart werden." Dabei haben sich in der Vergangenheit gerade mal drei politische Karrieren aus der Beiratsarbeit entwickelt: Marianne Schultz-Hector (CDU) war Vorsitzende des Gremiums in den Achtzigerjahren, wurde 1988 Staatssekretärin und 1991 Kultusministerin. Die Landtagsabgeordnete Christiane Staab führte den LEB von 2005 bis 2010, Saskia Esken brachte es von der stellvertretenden Vorsitzenden zwischen 2012 und 2014 bis zur heutigen Bundesvorsitzenden der SPD.

Jetzt kursieren sogar Gerüchte, es könne eine Abwahl Mittelstaedts noch vor Ende seiner Amtszeit am 31. März organisiert werden. Seine LEB-Mitstreiter:innen hat er vollends gegen sich aufgebracht mit nicht abgesprochenen Forderungen in seiner Funktion als Vorsitzender, darunter die Idee eines Eltern-Vetorechts gegen bildungspolitische Entscheidungen der Landesregierung. Und vor allem mit der Gründung eben jenes neuen Landesbildungsrats, der sich – unter anderem – der Erhebung des Willens von Väter und Müttern verpflichtet fühlt, die aus unterschiedlichen Gründen nicht oder zu selten zu Wort kommen.

Immerhin könnte mit dem vom neugegründeten Gegengremium ins Auge gefassten Bürger:innen-Rat die lange überfällige Strukturdebatte in Gang kommen. Und tatsächlich ohne Scheuklappen ernsthaft über den Umgang mit Heterogenität im Unterricht diskutiert werden oder Chancen, den Lehrkräfte-Beruf attraktiv zu halten. Es könnte aber auch die Landespolitik vor unlösbare Probleme angesichts rückwärtsgewandter Forderungen gestellt werden á la Verzicht auf die Ganztagsgrundschule als zu tiefen Eingriff in Familienrechte. Oder erst recht zur Neugestaltung der vielerorts ungeliebten, weil späten Sommerferien, ganz so als wäre Baden-Württemberg allein und nicht eines von 16 Ländern.

Überdies wäre durch einen Bürger:innen-Rat – laut Mittelstaedt die "echte Stimme das Basis" – der LEB erst recht zerrieben und erschüttert in seiner zentralen Stellung "als oberste Elternvertretung", wie es in der Geschäftsordnung heißt. Kritiker:innen des selbstbewussten Physikers sind aber ohnehin sicher, dass es ihm nur darum geht und um sonst gar nichts. Dabei wären es in Nach-Pandemie-Zeiten und angesichts multipler Krisen so wichtig, im Sinne der Kinder und Jugendlichen an einem Strang zu ziehen. Diesmal in dieselbe Richtung.


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3 Kommentare verfügbar

  • Ursula Werner
    am 31.05.2023
    Antworten
    Ich finde es nicht gut, dass der ausgeschiedene Landeselternbeiratsvorsitzende den 'Landesbildungsrat' gegründet hat.
    Er hätte sich weitaus wirkungsvoller in dem dem Kultusministerium so nahen Gremium einbringen können. Und durch einen eigenen positiven Führungsstil hätte er da Einfluss gehabt.
    In…
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