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Krankenpflege

"Kommen und kämpfen"

Krankenpflege: "Kommen und kämpfen"
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In erster Linie geht es nicht um den Lohn, sagt Ute Hettel über ihre Arbeit. Die Intensivpflegerin im Zollernalb Klinikum kritisiert fatale Fallpauschalen, überholte Traditionen und erzählt von einer jungen Generation, die mehr will als dem Doktor und dem lieben Gott zu dienen.

Ute Hettel, 58, ist seit 2014 Betriebsratsvorsitzende im Krankenhaus in Balingen und dafür zu 50 Prozent freigestellt, zu 50 Prozent arbeitet sie auf der Intensivstation. In den Betriebsrat wurde sie Anfang der 1990er gewählt. 1978 hat sie ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin, damals noch Krankenschwester, in Balingen begonnen und ist dann hängengeblieben, wie sie selbst sagt.  (lee)

Natürlich ist die jetzige Situation schwierig. Aber wir hatten unsere Arbeit schon in der ersten Corona-Welle gut organisiert und sind den Umständen entsprechend ordentlich durchgekommen. Damit das funktionierte und auch jetzt funktioniert, mussten wir allerdings einzelne Stationen schließen, weil die Kollegen von dort für die Betreuung der Corona-Patienten benötigt wurden. Wir haben hier in Balingen zwölf Intensivbetten, davon sind im Schnitt jetzt neun bis zehn mit Corona-Patienten belegt. In Albstadt sind von den dortigen zwölf Intensiv-Betten zwei mit Corona belegt, der Rest mit Patienten nach Herzinfarkten oder mit anderen schweren Erkrankungen. Seit voriger Woche verschieben wir planbare Operationen. Und weil die Intensivstation so voll belegt ist, kommen andere Patienten schneller auf Normalstation. Früher hätten wir diese nach Operationen noch einen Tag auf der Intensivstation überwacht. Wenn wir voll belegt sind, kontaktieren wir andere Kliniken in der Region, ob es dort freie Betten gibt, das funktioniert bislang ganz gut. Triage gibt es hier nicht.

Im Zollernalb Klinikum, das ja aus zwei Krankenhäusern besteht – Albstadt und Balingen –, arbeiten insgesamt 1.500 Menschen, etwa zwei Drittel davon in der Pflege. Bei uns in Balingen, wir sind hier ja auf dem Land, sind wir im Vergleich zu Kliniken in Städten personell noch halbwegs gut aufgestellt. Es wird ja jetzt immer erzählt, nach der ersten Corona-Welle hätten so viele Intensivpflegekräfte die Kliniken verlassen. Das ist bei uns nicht der Fall. Ich meine: Wo sollen die Leute denn hin? Auf eine andere Intensivstation? Da ist der Stress ja genauso hoch. Auf der Intensivstation verdient man in der Entgeltgruppe 9, mit drei bis fünf Jahren Erfahrung als Fachkraft für Intensivpflege, zwischen 3.600 und 3.900 Euro Grundlohn. Da kommen noch Zuschläge dazu – für Schichtarbeit, fürs Einspringen und so weiter. Das Geld bekommt man in einem Pflegeberuf außerhalb des Klinikums nirgends.

Versorgung auf dem Land

Zur Zollernalb Klinikum gGmbH gehören die Häuser in Albstadt und Balingen, gegründet wurde die Gesellschaft 2004, seit 2009 ist der Landkreis alleiniger Träger. Nach Angaben des Klinikums verfügen beide Häuser über 450 Betten und behandeln stationär jährlich mehr als 22.000 PatientInnen. Der Landkreis plant derzeit, als Ersatz ein Zentralklinikum zu bauen. Ein endgültiger Beschluss ist noch nicht gefallen.  (lee)

Ich denke aber, wir haben viele innere Kündigungen, also KollegInnen, die kommen, machen ihren Dienst, gehen nach Hause, das war's. Da ist keine Energie mehr, sich zum Beispiel für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen oder für Betriebsratsarbeit. Dafür Leute zu finden, wird auch immer schwieriger.

Der Druck auf jeden Einzelnen ist schon groß. Eigentlich gibt es ja einen verlässlichen Dienstplan, das bedeutet, die Leute wissen am 20. eines Monats, wie sie im darauffolgenden Monat arbeiten. Da dürfen Chefs nicht nochmal umplanen. Manchen Pflegeleitungen müssen wir das aber immer wieder sagen. Jedenfalls: Die KollegInnen haben das Recht, ihren Dienstplan einzuhalten. Sie müssen nicht einspringen oder tauschen. Das sagen wir ihnen immer wieder. "Mein Frei gehört mir", muss in Fleisch und Blut übergehen. Aber sie springen eben doch ein, weil man ja die KollegInnen nicht hängenlassen will. Es ist halt ein sozialer Beruf. Aber dass jetzt wegen Corona die Pflegepersonaluntergrenzen aufgelöst worden sind, macht die Stimmung auch nicht besser. Krankmeldungen haben wir allerdings nicht mehr als normal. Die Leute halten durch – bis sie mal umfallen.

Die Hälfte vom Personal fehlt

Das Übel Corona hat die Personalknappheit jetzt zum Kipppunkt gebracht. Zu wenig Personal haben wir aber schon seit vielen Jahren. Das eigentliche Übel sind die DRG – für Diagnosis Related Groups, also Fallpauschalen –, die 2003 eingeführt wurden. Seitdem wird in den Kliniken gespart und zwar hauptsächlich an der Pflege. Mit den DRG zahlen die Krankenkassen ja nicht fürs Kümmern um Menschen. Also haben die Kliniken viel zu viele ausgelernte Pflegekräfte nicht übernommen oder freiwerdende Stellen nicht wieder besetzt. Jetzt kippt die Situation endgültig, der Markt gibt nichts mehr her. Wenn wir eine Pflegestelle ausschreiben, steht die etwa 250 Tage im Netz, hat unsere Personalabteilung ausgerechnet. Rechnerisch stehen in Baden-Württemberg einer freien Stelle 0,46 Pflegekräfte zur Verfügung. Da muss man eigentlich nichts mehr sagen.

Geplante Katastrophe

Die Einführung des DRG-Systems 2003 führte zu einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß beim Abbau von Pflegepersonal, heißt es in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von November 2020. Demnach wurden von 2002 bis Ende 2006 etwa 33.000 Arbeitsplätze in der Pflege abgebaut. Dann verlangsamte sich der Abbau, ab 2008 stieg die Zahl der Pflegekräfte – allerdings nur leicht, denn, so die Studie: "Im DRG-System lohnt sich Stellenabbau und Unterbesetzung." In später Erkenntnis dieser fatalen Entwicklung wurden 2020 die Pflegepersonalkosten aus den DRG-Fallpauschalen ausgegliedert. Allerdings fehlen nach Jahren falscher Politik nun Fachkräfte.  (lee)

Durch die Nichtübernahme von Ausgelernten in der Vergangenheit haben wir außerdem eine große Alterslücke. Da ist meine Boomergeneration, die in den nächsten Jahren in Rente geht, dann kommt lange nichts und dann wieder junge Frauen, die jetzt Familien gründen und schwanger werden. Das ist alles eine Folge dieses DRG-Systems, also des Einsparens. Es ist wichtiger, jeden Furz, der abgerechnet werden kann, zu dokumentieren, als die Patienten zu pflegen. Da wechselt manche Kollegin nach Jahren auf Intensivstation in die Dokumentation. Das verstehe ich. Da hat man feste Arbeitszeiten, das Gehalt stimmt – das ist besser, als irgendwann zusammenzuklappen. Aber die fehlen dann natürlich auf Station.

Intensivpflege ist ja auch psychisch enorm belastend. Und jetzt hat man eben auch noch Corona-Patienten, die behaupten, sie hätten kein Corona, sondern Asthma und man hat Auseinandersetzungen mit Angehörigen, weil diese ihre kranken Angehörigen nicht besuchen dürfen. Das muss man alles aushalten können.

Ich bin überzeugt, die Unzufriedenheit in der Pflege liegt nicht am Gehalt alleine. Mehr Gehalt ist zwar immer gut, aber das macht die Arbeit nicht attraktiver. Wichtiger ist anderes: ausreichend Personal und Kinderbetreuung ab sechs Uhr zum Beispiel. Und dann: Dieses System, hier Arzt, da Pflege – das muss sich ändern. Heute ist das so, dass die Pflege die Abteilung organisiert, alles vorbereitet für den Arzt, dann kommt der Doktor, der so viel an uns delegieren kann, und trotzdem ist man immer nur die Pflege, Zuarbeiter. Und das stimmt eben nicht. Wir haben eine anspruchsvolle Ausbildung, für die Intensivstation macht man noch eine zweieinhalbjährige Zusatzausbildung – im Grunde müssten wir den Assistenzärzten gleichgestellt werden. Das wäre angemessen und würde auch Wertschätzung bedeuten, die oft zu kurz kommt.

Mit Hierarchien und Fallpauschalen gegen die Wand

Als ich gelernt habe, war die allgemeine Einstellung: Du lernst Krankenschwester – da war es schon ein Privileg, wenn du als Mädel eine Ausbildung machen konntest –, dann heiratest du, kriegst Kinder und kannst dann ein paar Nachtwachen machen, um was dazuzuverdienen. Ich meine, als ich 1981 nach meiner Ausbildung hier angefangen habe, war das noch ein Diakonissenhaus. Die Diakonissen waren immer da, haben teilweise sogar hier gewohnt. Deren Erfüllung bestand darin, dem lieben Gott zu dienen und dem Doktor. Da kommen wir her und das steckt noch in diesem System: Dienen. Aber das geht heute nicht mehr. Das machen die Jungen nicht mehr mit. Und da haben sie recht.

Ich selbst habe immer Vollzeit gearbeitet, auch als meine drei Kinder noch klein waren, zum Glück konnte mein Mann von zu Hause aus arbeiten. Und ich habe berufsbegleitend zwei Zusatzqualifikationen gemacht! Fachweiterbildung zur Anästhesie- und Intensivfachkraft und zur Stationsleitung. Und? Ich bin immer noch Krankenschwester. Da stimmt doch was nicht. Auch deswegen bekommt man so schwer Männer in diesen Job. Die Kollegen im Haus, die wissen schon, was wir leisten und auf Intensiv ist es besser, weil klar ist, dass wir diese vielen Geräte beherrschen. Auf Normalstation ist es schwerer für junge Pflegekräfte. Und dann ist da das schlechte Image. Für viele Patienten sind Ärztinnen, Krankenschwestern und Krankenschwestern mit Kopftuch Putzfrauen.

Wegen dieses Apparate-Krankenhauses mit seinen Hierarchien und wegen der Fallpauschalen, die die falschen finanziellen Anreize setzen, wegen dieser beiden Dinge wird das System gegen die Wand fahren. Jetzt steht im neuen Koalitionsvertrag was von Hybrid-DRG. Damit sollen mehr Behandlungen, also mehr Menschen, vom Stationären ins Ambulante geschleust werden. Ist ja billiger, glauben die. Aber dafür gibt es überhaupt keine Strukturen. Wir haben doch heute schon alte Patienten, die wir nur deswegen noch hier haben, weil es keine Pflegeplätze gibt. Und wenn es Extra-DRG für die Pflege geben soll – also dann sind wir ja nur noch mit Dokumentation beschäftigt!

Teure Gesundheit

Beschlossen wurde das Fallpauschalengesetz am 14. Dezember 2001 unter der ersten rot-grünen Bundesregierung von Gerhard Schröder. Ziel war es, Kosten im Gesundheitswesen einzusparen. Das hat nicht funktioniert. 2003 betrugen die Ausgaben fürs Gesundheitswesen 10,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (236 Milliarden Euro), 2019 waren es 11,9 Prozent (410 Milliarden Euro).  (lee)

Das hört sich jetzt alles schlimm an. Aber ich muss auch sagen, ich mag meinen Beruf und ich möchte nicht aus der Pflege weg. Die Klinik war lange Zeit meine zweite Heimat. Wirklich. Fast nur gute KollegInnen, Teamgeist, auch durch die Schicksale, die man jeden Tag miterlebt. Man ist aufeinander angewiesen und das macht auch Spaß. Das ist schon ein besonderes Volk in der Pflege. Wie man allerdings das Problem, dass einfach zu wenig Menschen in der Pflege arbeiten, kurzfristig lösen kann, das weiß ich auch nicht. Da ist einfach viel zu lange nichts getan worden. Langfristig gesehen kann ich nur sagen: Besetzung verbessern, Arbeitsbedingungen mit allem Drum und Dran verbessern. Und ich rufe die Jungen auf: Kommen und kämpfen!


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3 Kommentare verfügbar

  • Matthias Schneider
    am 09.12.2021
    Antworten
    "Beschlossen wurde das Fallpauschalengesetz am 14. Dezember 2001 unter der ersten rot-grünen Bundesregierung von Gerhard Schröder." .... wer war der Herr nochmal, der daran auch schwer beteiligt war ?
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