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Innenministerkonferenz

Da waren's nur noch drei

Innenministerkonferenz: Da waren's nur noch drei
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 Fotos: Jens Volle 

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Die Stadt ist voller Polizei, obwohl zur Innenministerkonferenz vergangene Woche nur drei Innenminister nach Stuttgart gereist sind. Die sind dafür drei Tage lang optimal beschützt.

The Länd lässt sich nicht lumpen zur Innenministerkonferenz (IMK) vom vergangenen Mittwoch bis Freitag: Der Pressebus wird mit Polizeikonvoi vom Hotel Le Méridien zum Synagogen-Besuch in der Innenstadt geleitet, dem coronabedingt einzigen Außentermin der IMK. Motorräder mit Blaulicht hinten und vorne, vier Polizisten mit Knopf im Ohr und in Zivil sind mit im Bus der zuvor durchsuchten, vom BKA überprüften, impfkontrollierten und akkreditierten MedienvertreterInnen. Über der Synagoge kreist ein Hubschrauber, auf den Dächern, sagt ein Pressesprecher, warten Drohnenführer samt Drohnen, "falls einer Quatsch macht".

Macht aber keiner. Eine Gruppe Kinder hüpft die Treppen zur Synagoge hinauf, "Wir sind Drittklässler", sagt eines und wundert sich über so viele Erwachsene. Kurz darauf biegen sieben große schwarze Limousinen in die Straße, mit drei Innenministern, die restlichen werden zur Tagung online zugeschaltet. Niedersachsens Boris Pistorius, SPD, ist da, Joachim Hermann, CSU, aus Bayern, außerdem Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und an diesem Tag Stellvertreter von Horst Seehofer, und, natürlich, Gastgeber Thomas Strobl, CDU, Baden-Württembergs Innenminister, immer mit dem obligatorischen Lächeln auf den Lippen.

Strobl missbraucht ein Weihnachtslied

Der hatte am Vortag diesen unverschämten Satz über die "Ihr Kinderlein kommet"-Asylpolitik der Ampel rausgehauen, der zum Synagogen-Besuch am Donnerstag schon einmal quer durch die Medienlandschaft gegangen war und Zivilgesellschaft und Politik zum Aufjaulen gebracht hatte. Der Baden-Württembergische Flüchtlingsrat fand in einer Pressemitteilung deutliche Worte: "Während in dieser Adventszeit Kinder aufgrund der europäischen Abschottungspolitik in osteuropäischen Wäldern erfrieren, fällt Strobl nichts Besseres ein, als billige Sprüche zu klopfen und Polemik auf AfD-Niveau zu betreiben."

Wohl wahr. Dabei ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die eigentlich festschreibt, dass den "Kinderlein" allerorten sowohl Menschenrechte als auch Menschenwürde garantiert sind, in direkter Folge des Holocaust entstanden. Man könnte fast sagen, dieser Spruch und der Synagogen-Besuch beißen sich einigermaßen. Nun steht Strobl also vor dem Gebetsraum und wartet auf "den Boris, den Hans-Georg, den Joachim, dann gehen wir zusammen rein, folgen Sie mir unauffällig".

Innen dann wünscht Barbara Traub, die Vorsitzende der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, "ein herzliches Schalom". Es sei ein "historisches Ereignis", dass die Innenminister die "Stuttgarter Erklärung" gegen Hass und Hetze im Netz und für konsequente Verfolgung von Antisemitismus an genau dieser Stelle unterzeichnen und auch noch zum Chanukka-Fest. Die Erklärung sei "Ausdruck ernüchternder Notwendigkeit", sagt sie. "Es hat nur fünf Jahre Hetze und Diskriminierung gebraucht, dass dieses Gotteshaus 1938 geschändet wurde."

Rabbiner Jehuda Puschkin zitiert das alte Testament: "Wenn ihr auszieht zum Krieg wider eure Feinde, ist Gott bei euch" und spielt an auf die ersten Polizeirabbiner Deutschlands, eingesetzt Anfang des Jahres in Baden-Württemberg. Einer davon, Polizeirabbiner Shneur Trebnik, sagt kurz darauf, Soldat oder Polizist zu werden erfordere Mut, seine Aufgabe sei es, Soldaten und Polizisten zu inspirieren und sich um deren Seelen zu kümmern. In einem Nebensatz, immerhin, fallen denn auch mal die Worte "antisemitische Polizeichats". Die Kippas übrigens, die alle Männer, auch die Innenminister, tragen, seien von der Gemeinde extra für diesen Besuch gefertigt worden – ein Chanukka-Leuchter ist drauf, drunter steht "Innenministerkonferenz 2. Dezember 2021".

Sehr liebenswürdig sei das, sagt Thomas-"Ihr Kinderlein kommet"-Strobl. "Vor den Taten kommen die Worte" und vor den Worten käme das Hinschauen, sagt er, zumindest das Entstehungsprinzip von Hass und Hetze scheint er verstanden zu haben. "Schaut nicht weg! Ich verspreche, unsere Polizisten verfolgen antisemitische Straftaten mit aller Konsequenz." Rabbiner Shneur Trebnik wünscht zum Schluss noch 3G: "Gesundheit, Glück und eine gelungene Innenministerkonferenz", noch drei Gruppenbilder – Strobl lächelt in Kameras: "Jetzt schauen wir alle nach links ... jetzt in die Mitte ... jetzt nach rechts." Noch paar Interviews in diverse Kameras ("Aber schnell, der Minister muss weiter"), fertig. Draußen kreist der Hubschrauber über den schwarzen Limousinen, die durch den Schnürchenregen mit Schmackes die Straße runterdüsen.

80 Tagesordnungspunkte gab es zur IMK. Einige ausgewählte wurden der Öffentlichkeit präsentiert. Auch verschlüsselte Messengerdienste wie Telegram sollen künftig unter die verschärften Regelungen zur Verfolgung von Hass und Hetze im Netz fallen, weil die sich "nicht zu rechtsfreien Räumen entwickeln" dürften, sagte Strobl und bemühte einen seiner zu jeder Gelegenheit passenden Lieblingsprüche. Angesichts der Lage in Afghanistan sollen Asylverfahren für Menschen aus Afghanistan beschleunigt werden, "denn auf absehbare Zeit werden freiwillige Ausreisen nur äußerst eingeschränkt und zwangsweise Rückführungen nach Afghanistan gar nicht möglich sein", heißt es in einer Abschluss-Pressemitteilung vom Freitagmittag.

Jugendliche ohne Grenzen übergeben Negativpreis

Eine Stunde später, Freitag gegen 14 Uhr, stehen Jassin Akhlaqi und Wafaa Naes von "Jugendliche ohne Grenzen" (JOG) an der Ecke Marstallstraße Königstrasse und fordern, dass überhaupt keiner mehr abgeschoben wird. Am Vormittag haben sie einem Sprecher von Horst Seehofer den Negativpreis 2021 überbracht – einen Koffer mit selbst gestaltetem Ticket nach Afghanistan, damit auch der Minister mal weiß, wie es sich anfühlt, in "eine instabile Situation geschickt zu werden", die Panik spürt, den Stress. "Die vom Innenministerium freuen sich immer, wenn sie uns treffen, dann wissen sie, wer wieder Mist gebaut hat", sagt Akhlaqi, 25, ein junger Mann von ausgesuchter Höflichkeit.

Er kommt selbst aus Afghanistan. Bevor er 2011 in Deutschland aufschlug, hatte sich seine Familie jahrelang im Iran durchgekämpft. Mehrere Zeitungen haben ihn in der Vergangenheit als "Vorzeige-Flüchtling" betitelt, die Süddeutsche überschrieb mal einen Artikel über ihn mit den Worten "Fleiß, Fleiß, Fleiß". "Man muss sich immer beweisen", sagt Akhlaqi in Stuttgart. "Selbst wenn du gut bist, heißt es, du seist eben die Ausnahme." Akhlaqi hat studiert, ist Informatiker, bekleidet mehrere Ehrenämter in Bayern. In druckreifen Sätzen erzählt er, wie er in der Bahn oft schief angeschaut wird, erzählt vom Gefühl, in der Kneipe schlechter behandelt zu werden als Biodeutsche.

Er kam 2011 zu JoG. Damals hatte ihn ein Kumpel auf dem Fußballplatz gefragt, wie es ihm in Deutschland gefalle, und er hatte mit "alles scheiße" geantwortet. Eigentlich hätte er damals einen Deutschkurs besuchen müssen, erinnert er sich, ja unbedingt besuchen wollen, es sei aber keiner angeboten worden. "Ein Jahr habe ich gewartet." Der Bolzplatz-Kumpel habe ihn dann zum bayrischen Flüchtlingsrat mitgenommen und so hat er JoG kennengelernt.

Jugendliche ohne Grenzen ist eine Organisation junger Geflüchteter, vor allem unbegleiteter Minderjähriger, die sich in Zusammenarbeit mit Pro Asyl und den Landesflüchtlingsräten seit 2005 mit Aktionen und Demos für ein großzügiges Bleiberecht für alle, die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, Gleichberechtigung, Legalisierung von Menschen ohne Papiere und ein Rückkehrrecht für Abgeschobene einsetzt. "Unsere Arbeit folgt dem Grundsatz, dass Betroffene eine eigene Stimme haben und keine 'stellvertretende Betroffenen-Politik' benötigen", steht auf der Homepage.

Wafaa Naes ist 24 und studiert Medienkommunikation in Leipzig. Ein Jahr lang hat sie mit ihrer Familie in einer Unterkunft im Outback von Chemnitz gelebt, dort einen Brandanschlag erlebt, erzählt sie. Sie ist seit drei Jahren bei den Jugendlichen ohne Grenzen – "ich bin mutig und stark, ich kann laut sein." Andere könnten das nicht.

Einmal im Jahr, zu einer der beiden jährlichen Innenministerkonferenzen, trifft sich die Initiative selbst zur Konferenz. Immer dort, wo die IMK gerade stattfindet. Der Höhepunkt ist die Übergabe des Negativpreises an den Innenminister, der im jeweils vergangenen Jahr besonders viel Mist gebaut hat. Meistens, berichten die beiden, ginge der Preis nach Bayern. 2020 hat ihn Bayerns Innenminister Hermann bekommen, 2019 Roland Wöller, der CDU-Innenminister von Sachsen.

Akhlaqi und Naes sind nur geduldet in Deutschland. "Viele Jugendliche haben ja eine Ausbildung und trotzdem nur eine Duldung. Sie haben keinen Chance auf einen Pass." Das, meinen beide, müsse dringend geändert werden. "Wenn du jederzeit abgeschoben werden kannst – das ist richtig schlimm. Da muss man seine Stimme erheben, damit das aufhört. Ich hoffe, dass die Politik das irgendwann einmal versteht."


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1 Kommentar verfügbar

  • Matthias Schneider
    am 11.12.2021
    Antworten
    Rabbiner Jehuda Puschkin zitiert das alte Testament: "Wenn ihr auszieht zum Krieg wider eure Feinde, ist Gott bei euch"

    wow, passend zum Friedens-Fest
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