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Schon viele Marken sind gestorben

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"Von 100 auf null" titelt der "Spiegel" in seiner neuen Ausgabe und fragt, ob die deutsche Autoindustrie als Wohlstandsmotor noch zu retten sei. Unser Autor hat da ein paar Antworten.

Viele sehen die Paradebranche samt ihren Lieferanten mit mehr als 800 000 Beschäftigten untergehen. Zu hoch seien die Hürden, heißt es, die es zu überwinden gelte. Zu langsam und risikoscheu agierten die führenden Manager von Audi, BMW, Daimler, Bosch, Porsche. Schon bei der Schicksalsfrage der E-Mobilität, Batteriezellen made in Germany ja oder nein, mauerten sie unisono. Das Herzstück der Akkutechnik bezögen sie lieber aus Fernost. Das sei billiger und ginge schneller.

Spielt die Musik beim Auto der Zukunft also bald in Japan, Südkorea oder China? Verliert Deutschland durch diese Verweigerung eine ihrer wichtigsten industriellen Säulen? Für den Südwesten käme das einem Aderlass gleich, wie einst der Verlust der Montanindustrie für Nordrhein-Westfalen.

So abwegig ist diese Sorge keinesfalls. Seit den 1960er Jahren hat Deutschland ein Dutzend Branchen verloren, die einst zu den Weltbesten zählten – und stets auf ähnliche Weise. Begonnen hat das Sterben mit der Leder- und Modeindustrie, dann folgten die Hersteller von Motorrädern (NSU, DKW, Zündapp, Kreidler), Kameras (Zeiss, Agfa, Leitz) und Uhren (Kaiser, Kienzle, F. Mauthe, teilweise Junghans). In den 1980er Jahren strauchelten sämtliche Größen der Unterhaltungselektronik (AEG-Telefunken, Grundig, Bosch-Blaupunkt, Saba, Dual, Nordmende) sowie die Champions der Computer- und Büromaschinenindustrie (Olympia/AEG, Triumph-Adler, Mannesmann-Kienzle, Nixdorf). Und in den 1990ern erwischte es zunächst die Fabrikanten von Nachrichten- und Telekommunikationstechnik (AEG/TN, ITT/SEL/Alcatel, Detewe, Siemens, Tekade) und schließlich sämtliche deutschen Handy-Hersteller von AEG über Bosch bis Siemens. Der rasante Verfall der Solarbranche, überrollt von Chinesen, war Großteils die Folge politischer Fehlentscheidungen. Übriggeblieben von Zehntausenden Arbeitsplätzen und Hunderten Fabriken sind verblassende Marken und wenige Jobs in Deutschland. Bei Tablets, Smartphones, volldigitaler Telekommunikation sowie Solarzellen sind die Deutschen heute kaum präsent.

Eine bekannte Marke schützt nicht vor dem Untergang

Dieser Blick zurück zeigt: Größe, eine zeitweise hohe Marktmacht und eine bekannte Marke bewahren Unternehmen nicht vor ihrem völligen Verfall. Denn die Geschichte des Niedergangs ganzer Industrien lässt ein Muster erkennen, das sich stets wiederholte: Den Firmenspitzen fehlte das strategische Denken und der globale Überblick. Ihr Horizont reichte oft nur bis zum nächsten heimischen oder westlichen Wettbewerber. Die aggressiv-aufstrebenden Herausforderer und deren Strategien durchschauten sie kaum. Der große Bruch begann Mitte der 1970er Jahre mit dem Übergang von der arbeitsintensiven analogen Technik zu digitalen Systemen mit Software und IT-Fachkräften. Während deutsche Bosse viel zu lange an der geliebten Mechanik und Elektrotechnik festhielten, setzten die Newcomer aus Asien alle Kraft auf den Siegeszug der Digitalisierung ihrer neuen Produkte. Und das waren und sind preiswerte, haltbare Massenware im Weltmarktstil.

Heute werden millionenfach Kameras, Uhren, Computer, Handys produziert. Viel mehr als zu jener Zeit, als die Deutschen aufgaben. Sie ließen sich durch ihre falsche Preis-Leistungs-Politik – zu teuer, zu einfallslos – in Nischen abdrängen und verkümmerten. Dieses Schicksal droht nun auch deutschen Autobauern. Heute werden weltweit bald 100 Millionen Pkw verkauft. Ständig werden mehr Autos gebaut – die Frage ist nur, wo und von wem? Zum Vergleich: Der VW-Konzern setzt global rund zehn Millionen Fahrzeuge im Jahr ab, Daimler-Cars und BMW je gut 2,5 Millionen. Die Deutschen sind also schon jetzt, im globalen Maßstab gesehen, eher Zwerge. Was wird, wenn chinesische Autogiganten wie bei Handys oder Solarzellen mit Millionenstückzahlen den Weltmarkt aufrollen?

Oft sind die Manager das Problem

Und wo steht Deutschlands Auto-Elite? Die Führungsspitzen der Konzerne – meist angestellte Manager – sind auch im PS-Geschäft oft selbst das Problem. Sie kopieren sich gern gegenseitig, schauen kaum über den eigenen Horizont hinaus und spielen verzückt Monopoly – auf Risiko der eigenen Beleg- und Kundschaft. Sie kaufen und verkaufen Firmen wie Kartoffelkisten. Daimler stößt gerade den Smart ab, das einzig echte deutsche City-Car. Den bonusverwöhnten Bossen mit turbomäßiger Pensionsberechtigung fehlt das unternehmerische Gen. Statt zupackend zu handeln – etwa bei den Themen Akku und Brennstoffzellen –, zaudern sie. Und den heraufziehenden Weltmarkt für Käufer mit schmalem Geldbeutel – das künftige Volksauto – verschlafen sie. Dabei gibt es längst einen weltweiten Trend, das Auto eher als notwendiges Übel denn als Statussymbol zu betrachten. In Ballungsräumen will etwa jeder dritte Bewohner (bis 35 Jahre) ganz auf ein eigenes Auto verzichten. Daher ist Carsharing eine Alternative mit Zukunft. Doch das passende Stadtauto, der Smart, kommt künftig aus China. "Mobilität à la Carte" muss das bezahlbare Angebot für alle Menschen in Bewegung lauten.

Diese Option fordert sowohl neue organisatorische Angebote – Leihfahrräder, spezielle Apps, Links zu Bahn, Bussen sowie Taxis – als auch raffinierte technische Lösungen. Letztere müssen aber ökonomisch machbar und für ein Massenpublikum erschwinglich sein. Ein Spagat, den gerade deutsche Ingenieure und Techniker wenig beherrschen. Selbstverliebt und perfektionistisch im Anspruch entwickeln sie "technologische Luftschlösser" geradewegs am Markt vorbei. Dieses sture, pedantische Verhalten war ein dicker Sargnagel beim Tod früherer Industrien – von Uhren über Kameras bis PCs und Handys. Die Autobosse müssen diesen Fehler vermeiden und die Richtung wechseln. Der starre Blick auf den Aktienkurs ist der falsche. Ehrliche Kundennähe, so lautet das Schlüsselwort. Riesen wie Ford, Toyota oder VW ("Käfer") legten mit diesem simplen Rezept den Grundstein zum Welterfolg. Was der Maßstab "Kundennähe" für das jeweilige Unternehmen konkret bedeutet, darf ihnen kein Politiker – auch nicht Angela Merkel – und kein aufgeregtes Automedium einreden.

Noch bleibt Zeit, Alternativen zu entwickeln

Die leidvolle Geschichte des industriellen Niedergangs ist eine Story des Weglaufens. Statt zu unterlassen, müssen Automanager daher mehr unternehmen. Herausforderungen haben sie genug. In den kommenden Jahren wird Mobilität vielfach neu erfunden. Die klassischen Antriebsformen – Diesel und Benziner – werden noch einige Jahre überleben. Es bleibt also Zeit, um Alternativen zu entwickeln: das reine Elektromobil für Ballungsräume, Hybridfahrzeuge mit kombiniertem Antrieb aus Elektro, Benzin oder Gas für die Mittel- und Langstrecke sowie hoffentlich in naher Zukunft die Brennstoffzelle, angetrieben von Wasserstoff. Der Fantasie der Forscher sind keine Grenzen gesetzt. Alles ist im Fluss. Es liegt auf der Hand, dass diese Fülle an Aufgaben einen Hersteller alleine überfordert, Kooperationen deshalb das Gebot der Stunde sind. Geteilte Entwicklungsarbeit bedeutet doppelten Gewinn: weniger Kosten, bessere und schnellere Resultate.

Vom künftigen Erfolg deutscher Autobauer, zu denen noch das eine oder andere Werk von Ford und Opel zählt, hängt selbstverständlich die Existenz der großen und kleinen Zulieferbetriebe ab. Wichtig ist, dass überhaupt noch Fahrzeuge hierzulande gefertigt werden. Sollte dies wie bei früheren Industrien kaum noch der Fall sein, dann erübrigt sich die aufgeregte Diskussion über die Folgen der Digitalisierung: Es droht allen der Untergang, egal ob analog oder digital. BMW, Daimler und VW sollten daher viel enger auch mit ihren Lieferanten kooperieren. Dann könnten ihnen die Angreifer aus Fernost, besonders aus China, viel weniger anhaben. Indes, die Konzernlenker müssen mehr für ihre heimischen Betriebe kämpfen.

Der technische Fortschritt frisst Zehntausende Jobs

Der Einfluss digitaler Techniken auf die Arbeitsplätze in Fabriken, Büros und in Labors ist gewaltig. Denn eines steht fest: Der technische Fortschritt mit dem Übergang von der Elektromechanik (Verbrennertechnik) zur E-Mobilität frisst Zehntausende von Jobs. Ein Elektroauto braucht etwa ein Drittel weniger Teile und Wertschöpfung bei der Montage. Hinzu tritt ein weiterer Jobkiller: die fortschreitende Digitalisierung im Auto selbst. Diese Wucht an Rationalisierung vernichtet zahlreiche Arbeitsplätze. Jener Verdrängungsprozess Mensch durch Maschine dürfte zu gewaltigen Konflikten mit Belegschaften und Gewerkschaften führen. Wie viele Stellen mittelfristig überflüssig sein werden – 250 000? 400 000 oder mehr? –, ist noch nicht absehbar. Das Ergebnis hängt vor allem davon ab, wie viele neue Produkte die Konzerne erfolgreich auf den Markt bringen werden und wie hoch die Wertschöpfung (eigener Arbeitsanteil) daran am Gesamtsystem "Auto made in Germany" sein wird. Die Bosse von BMW, Daimler, VW, Bosch, Mahle, ZF und Co. haben also das Schicksal aller in der Hand. Indes, ohne nennenswerte industrielle Eigenproduktion im Land würden auch die Marken von BMW, Mercedes und VW ihren Charme verlieren. Ihnen würde das Schicksal aller verblassten Weltmarken blühen: die Zweitklassigkeit.


Ulrich Viehöver ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor. In Kontext hat er sich immer wieder mit Porsche beschäftigt.


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2 Kommentare verfügbar

  • MIchael Wenzel
    am 04.12.2019
    Antworten
    Eine sehr exakte und genau treffende Analyse der aktuellen Probleme deutscher Firmen.
    Man "ist nicht mehr " beim Kunden und dessen Wünschen und beharrt zudem an überkommenen Techniken. Diese Leute haben keine Vision !
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 9 Stunden
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