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Weckruf für deutsche Autobauer

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Autos werden immer teurer, weil sie mit immer mehr Technik vollgestopft werden. Diesen ganzen Schnickschnack will kein Mensch, meint unser Autor und prophezeit Baden-Württemberg den wirtschaftlichen Untergang, wenn Daimler und Co. nicht schleunigst umdenken.

"Das Auto" fährt mit Diesel, heißt Volkswagen, Audi, Skoda oder Seat – und stinkt. Nun fallen alle aus den Wolken. Manager in Wolfsburg und anderswo sollen sich an der Umwelt versündigt und Regierungen betrogen haben. Skandal! Konzernchefs, Konkurrenten und die verantwortlichen Politiker haben nichts gewusst. Wie konnte uns VW so dreist hinters Licht führen?! Mehr als 20 Milliarden Euro könnte das Betrugsmanöver den Autobauer kosten. Noch schwärzer malen nun die vermeintlich Ahnungslosen die Folgen für die deutsche Autoindustrie, gar für die gesamte deutsche Wirtschaft an die Medienwand: Made in Germany verliert im Dieselqualm seinen Ruf, das Land seine Lorbeeren im Export. Das hysterische Gerede nimmt kein Ende.

Dabei hat das VW-Desaster auch eine gute Seite: Es ist ein längst fälliger Weckruf. Denn ein goldenes Jahrzehnt mit fetten Gewinnen machte die PS-Branche satt, überheblich und blind für die Bedürfnisse ihrer Kunden und der Öffentlichkeit. Dicke Blechbrummer mit und ohne Vierradantrieb, überdimensionierte Vans und teure Luxuskarossen spülten VW, Audi, BMW und Mercedes unerwartet viele Milliarden Euro in die Ertragskasse. Sogenannte Premiumautos – unbegründetes Eigenlob der Automanager – dominieren die Modellpolitik made in Germany. Dagegen geraten preiswerte, weit weniger technisierte Fahrzeuge zunehmend ins Abseits.

Modelle für den Alltag unterhalb der Golf-, Astra- oder A-Klasse werden kaum noch komplett in Deutschland produziert. Solche Vehikel werfen wenig Rendite ab. Doch genau die technisch weniger aufwendigen und sehr preiswerten Autos sind für alle Massenhersteller ein ganz wichtiges Wachstumsfeld. Denn weltweit ersehnen Hunderte Millionen von Menschen nichts mehr als ein technisch einfaches, leicht zu reparierendes, bezahlbares Fahrzeug. In Deutschland wird der Preis für so einen Billig-Pkw deutlich unter 8000 Euro taxiert. Und der Weltmarkt für dieses Auto der Zukunft verspricht gigantische Stückzahlen.

Die Zukunft wird umweltfreundlich – und vor allem günstig

Dieser neuen Volkswagen-Bewegung indes bleibt ausgerechnet das Ursprungsland des Volkswagens fern. Wettbewerber wie Renault, Ford und Fiat und besonders Firmen aus Japan (Toyota, Nissan), aus Korea (Hyundai) und Indien (Tata) sind hier viel weiter. Sie bieten mehr und mehr Vehikel für wenig Geld – auch in der Dritten Welt. Ebenso tauchen die Chinesen in diesem Segment bald international auf. Wenn die Deutschen in dieser expandierenden Fahrzeugklasse nicht prominent vertreten sind, verlieren sie den Anschluss. Dann ergeht es ihnen wie den Herstellern von Textilien, Fernsehgeräten, Computern, Solarzellen oder Handys: Zwar explodiert der Weltmarkt, aber made in Germany ist bei diesem Boom mit riesigen Absatzzahlen nicht mehr dabei. Bei der Entwicklung, im Bau sowie im Vertrieb von Autos entscheidet eben nicht nur (technische) Klasse, sondern zunehmend Masse. Denn die gewaltig anfallenden Kosten müssen auf möglichst viele Neuwagen rund um den Globus verteilt werden.

Weitere große Herausforderungen sind zwei starke Trends: das Auto bloß als fahrbarer Untersatz und das Carsharing. Besonders bei Bewohnern in Ballungsgebieten und bei jungen Leuten spielen das Eigentum an einem Fahrzeug und das Auto als Statussymbol eine immer geringere Rolle. Die Einstellung zur Motorisierung – Diesel wie Benziner oder Strom – sowie die Organisation der Verkehrsströme in den Städten unterliegt einem gewaltigen Wandel. Das Heer der Vernunftmobilisten oder Autoverweigerer wird in den nächsten Jahren weltweit rasch anschwellen. Diese Gruppe wünscht ein voll integriertes Mobilitätskonzept à la carte mit Pkw, Zweirad, Bahn und Flugzeug.

Doch zu diesem umwelt- wie gesellschaftspolitisch gewichtigen Thema bietet die deutsche Autoindustrie bisher keine plausibel nachvollziehbare Antwort. Einzige Ausnahme ist die Nischenmarke Smart mit "Car to go" von Daimler. Deren Angebot ist allerdings recht teuer und selten in die jeweiligen Verkehrskonzepte integriert.

Bei VW, Audi und BMW indes fallen die Ideen zur alternativen Mobilität recht mager aus. Dabei müssten gerade deutsche Fahrzeugbauer bei diesem Thema an der Spitze fahren. Immer schwerere und dickere Spritfresser sind gerade in Ballungsräumen der falsche Weg. "KISS" sagen die Amerikaner und meinen "Keep it simpel and small" oder einfach deutsch: "Mach's halblang."

Als Einbahnstraße könnten sich daher die mit viel missionarischem Eifer geführten Anstrengungen erweisen, Pkw in selbst fahrende Computer mit Internet- und Satellitenanschluss zu verwandeln. Gewiss gibt es viele technikverliebte Kunden – gerade unter Autokäufern. Doch deren Zahl und Kaufkraft darf nicht überschätzt werden. Wer fährt so wild auf die teuren Gefährte ab? Eine Befragung von Besitzern sogenannter Hightech-Autos in den USA ergab jüngst, dass die Fahrer einen Großteil der elektronischen Geräte und Angebote kaum bis gar nicht nutzen. In Zukunft wollen sie lieber auf zu viel technischen Schnickschnack verzichten. Das Bedürfnis nach rollenden Computer-Robotern, das den Menschen zu einem oft hilflos überforderten Anhängsel digitaler Technik macht, ist also begrenzt.

Schon heute verfügen Fahrzeuge über Funktionen, die viele Fahrer kaum kennen. Und bei Pannen fühlen sich die Kunden ohnmächtig im Griff der Techniker, die oft genug in einer eigenen Welt leben. Einer ohne den Blick auf den Kunden. Die Konzernbosse wären gut beraten, nicht nur das Auto der Zukunft, sondern auch den Autofahrer der Zukunft bei ihren Plänen zu bedenken. Bei der Betrachtung ihrer "Technologien" dürfen die "Technologen" ruhig ihre Technik-und-Schrauber-Brille absetzen und die Fahrer im Alltag betrachten. Zu erkennen wäre kein lieblos beworbenes "Das Auto", wie VW das in seiner Werbung tut, sondern eine Art Aldi-Auto: weniger Technik und mehr Bedienerfreundlichkeit samt Service. Das wäre super. Doch weil die Inszenierung "Technology made in Germany" das Image fördert und wesentlich mehr Profit abwirft als Standardautos, ist ein Umdenken in den Konzernzentralen unwahrscheinlich.

Der Südwesten ist dem Management der Autobosse ausgeliefert

Solange deutsche "Premiumautos" die Kassen füllen, scheint Volkswagen der drohende Milliardenschaden für die Schummelei mit Dieselmotoren verkraftbar. Und im Stillen hoffen die Topmanager auf das Vergessen des Publikums. Umweltsünden werden eher vergeben als ein Kratzer im Lack. Schließlich spielt die Luftreinhaltung beim Kauf der dicken und luxuriösen Blechkarossen eine untergeordnete Rolle. "Mein Auto fährt auch ohne Partikelfilter und Kat ganz gut", sagen sich manche. Indes, für die Autobauer und ihre Lieferanten ist diese Haltung fatal – ein weiterer Stolperstein Richtung Zukunft.

Alle Versäumnisse, Mängel und Tricksereien wären weniger dramatisch, würden an der PS-Branche nicht so viele Existenzen direkt und indirekt hängen. Für Baden-Württemberg gilt dieser Aspekt besonders. Hier residieren neben Audi, Daimler und Porsche auch die meisten Zulieferer von Bosch über Freudenberg und Mahle bis ZF. Hinzu kommen zahllose Maschinen- und Anlagenbauer.

Das Gravierende daran im Land: Die Abhängigkeit vom Automobil ist in den vergangenen Jahrzehnten unter allen Regierungen gewachsen – den Versprechungen der Politik zum Trotz. Der Südwesten ist daher auf Gedeih und Verderb dem Management der Autobosse ausgeliefert. Das erklärt ihre Macht und ihren politischen Einfluss.

Das Diesel-Desaster ist sicher ein schwerer Schlag, der "Das Auto" von VW zum verschmähten "Allerwelts-Auto" werden lässt. Aber sollten Audi, BMW, Daimler und Volkswagen die genannten globalen Trends verschlafen oder gar ignorieren, dann kommt alles noch viel schlimmer. Dann stürzt Baden-Württemberg heillos in eine Krise, so tief, wie sie Nordrhein-Westfalen und das Saarland einst durch den Zusammenbruch der Montanindustrie durchleiden mussten. Die Diskussion über das Betrugsmanöver mit Dieselmotoren muss weit über technische Themen und Imagefragen hinausgehen. Kreative Köpfe sind dringend gefragt. Und weniger selbstverliebte Techniker.

 

Ulrich Viehöver, gelernter Buchhändler und Diplom-Betriebswirt, war Journalist bei den "Stuttgarter Nachrichten", der "Wirtschaftswoche" und bei "Focus". Seit 2000 selbstständiger Wirtschaftsjournalist in Stuttgart, Buchautor, Redaktionsberater und Ausbilder.


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3 Kommentare verfügbar

  • Dr. Stefan+Kissinger
    am 18.03.2017
    Antworten
    Nun Herr Viehöver vergisst, wenn das abzusehende Ende der Automobilindustrie im Südwesten eintritt, dann sind Herr Zwetschge und Herr Krätzmann und wie sie alle so heißen schon längst auf "Rente". Ex-Daimlermann Grube zeigt den Weg.

    Das volkswirtschaftliche Strukturproblem - der Abhängigkeit von…
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