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Kuhhandel am Synergiepark

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Die Allianz will aus dem Stuttgarter Talkessel in den Vorort Vaihingen ziehen – auf einen Sportplatz mitten in einem Grünzug. Ein dezenter Hinweis auf die Gewerbesteuer genügt, und die Stadt tanzt nach der Pfeife des Versicherers. Doch vor Ort regt sich Widerstand.

Am Colorado-Turm herrscht Goldgräberstimmung. Obwohl das 19-geschossige Bauwerk am S-Bahnhof Stuttgart-Vaihingen 13 Jahre nach Fertigstellung immer noch nicht voll vermietet ist. Der blaue Turm ist das Ausrufezeichen im größten Gewerbegebiet Stuttgarts, wo zwischen Parkplätzen und profanen Zweckbauten seit 1994 auch das repräsentative "Pallas"-Gebäude des Stuttgarter Regierungspräsidiums thront. Seit 2001 nennt sich das Gebiet Synergiepark. Eine Studie sollte damals Nachverdichtungs- und Entwicklungspotenziale ermitteln. Und sofort schossen die Neubauten in die Höhe, unter anderem der Colorado-Turm und das anschließende, breit gelagerte Officium mit 66.000 Quadratmetern Bürofläche.

Inzwischen haben die Stadt und die Wirtschafts- und Industrievereinigung (WIV) die nächste Studie in Auftrag gegeben, namens Synergiepark Plus. Die Landespolitik fördert das Vorhaben, und nun sind auch Großunternehmen an Bord. Daimler hat ein riesiges Grundstück des altansässigen Buchgroßhändlers Koch, Neff und Oetinger erworben und plant einen neuen Standort mit 4000 Mitarbeitern. Die Allianz will ihren Stuttgarter Sitz von den beiden innerstädtischen Standpunkten am Charlottenplatz und an der Karlshöhe nach Vaihingen verlegen. Dort stößt das Vorhaben allerdings auf erbitterten Widerstand.

In der Kritik steht der Standort: Die Allianz hätte das Grundstück erwerben können, das nun Daimler gehört. Doch das war dem Versicherer – immerhin einer der größten der Welt – zu teuer. Vor allem im Vergleich mit dem Areal, wo der Bau jetzt geplant ist: direkt hinter dem Officium, auf dem Gelände des TSV Georgii Allianz. Denn der Sportplatz gehört dem Konzern bereits. Vor Ort kursiert das Gerücht, die Allianz habe den Sportplatz von dem Bierbrauer Robert Leicht geschenkt bekommen, zur Förderung des Sports. Das ist allerdings eine Ente. Wie der Kaufvertrag im Unternehmensarchiv beweist, hat die Witwe des 1921 verstorbenen Bierbrauers das Gelände am 10. Juli 1933 an die Allianz verkauft. Richtig ist dagegen, dass das Grundstück außerhalb des bisherigen Gewerbegebiets liegt, und zwar in einem Grünzug.

Günstigen Wohnraum wird es keinen geben

Eine Vorentscheidung war eigentlich schon gefallen, als die Pläne der Allianz Ende Februar 2016 an die Öffentlichkeit gelangten. Denn der Konzern hatte zusammen mit der Stadt eine Reihe von Standorten geprüft und sich für sein eigenes Grundstück entschieden. Nur: Wenn aus einem Sportplatz im Grünen ein Bürokomplex wird, steigt der Wert des Grundstücks. Sollte der Konzern dafür nicht einen Ausgleich bieten?

In der ersten Aussprache ließen die Gemeinderäte ihren Gedanken freien Lauf. Könnte man nicht die frei werdenden Gebäude im Talkessel in dringend benötigten Wohnraum umwandeln? An sich eine gute Idee, nur gehören die Gebäude seit einiger Zeit der IVG Immobilien, einem der größten Büroimmobilienunternehmen in Deutschland; die Allianz ist nur noch Mieter. Mit der IVG gab es noch keine Vorgespräche. Die Stadt kann dem Unternehmen keine Vorschriften machen. Dass in den oberen Etagen des 70er-Jahre-Hochhauses an der Karlshöhe einmal Luxuswohnungen entstehen könnten, erscheint denkbar. Sozialwohnungen eher nicht.

Fritz Kuhn schlägt einen anderen Deal vor. Der grüne Oberbürgermeister hat angedeutet, zum Ausgleich für die Versiegelung der Grünfläche könnte die Allianz an den Planungs- und Baukosten für einen anderen Grünbereich auf dem Aurelis-Areal direkt am Vaihinger Bahnhof beteiligt werden. Ob es so weit kommt, ist noch nicht ganz klar. Die Gemeinderatsmehrheit steht trotzdem. Denn dass die Grünen ihrem Oberbürgermeister in den Rücken fallen, ist ebenso wenig zu erwarten, wie dass CDU oder FDP nicht mitspielen.

Kritik kam dagegen vom Vaihinger Bezirksbeirat, der sich mittlerweile drei Mal mit Zweidrittelmehrheit gegen die Allianz-Niederlassung ausgesprochen hat. Besonders übel stieß den Vaihingern auf, dass sich ihr Bezirksvorsteher Wolfgang Meinhardt am 14. März im Umwelt- und Technikausschuss offenbar vom Votum des Bezirksbeirats distanzierte. Meinhardt stritt zunächst alles ab. Christoph Ozasek von der Linken hält dagegen: "Ich habe noch nie erlebt, dass ein Bezirksvorsteher sich so offensiv über die Positionierung seines Bezirksbeirats hinwegsetzt."

Haufenweise Hintertürchen

Laut Stadtklimatologen ist das Tal des Schwarzbachs, wo sich der Sportplatz befindet, zentral für die Stuttgarter Frischluftzufuhr. Eben deswegen hatten sich die Grünen noch vor wenigen Jahren dem Wiederaufbau einer abgebrannten Squash-Halle in unmittelbarer Nähe vehement widersetzt. Daher wird nun gefeilscht, ob ein 30, 40 oder 50 Meter breiter Grünstreifen frei bleiben soll. Außerdem spielt in der Diskussion eine wunderschöne alte Eiche eine Rolle, die neben dem Vereinsheim des TSV Georgii Allianz steht und nicht versetzt werden kann.

Das zweistufige Planungsverfahren, zu dem die Allianz im Februar zehn Architekturbüros eingeladen hat, lässt allerdings sämtliche Optionen offen. Die Teilnehmer sollen die Eiche in ihren Entwurf integrieren, "wenn das architektonische Konzept dies gestattet". Und der Grünzug soll "aus stadtklimatischer Sicht" mindestens 40 Meter breit sein. Ob neben der stadtklimatischen womöglich noch andere Sichtweisen zulässig sind, wird nicht ersichtlich. Auf jeden Fall sind die noch nicht gebauten Gebäude seit Planungsbeginn beträchtlich gewachsen. Vor einem Jahr war noch von vier- bis siebengeschossigen Bauten die Rede. Im Ausschreibungstext sind es nun bis zu 14 Etagen geworden. Nicht ganz so hoch wie der Colorado-Tower – Klein-Manhattan am Synergiepark.

Völlig unverständlich ist, dass die Stadt der Allianz zu diesem Zweck auch noch angetragen hat, ihren Grundbesitz zu arrondieren. Am Westende des Areals stehen auf einem von drei städtischen Flurstücken ein paar kleine Laubengang-Häuschen aus der Nachkriegszeit. Keine Luxuswohnungen, aber die Mieter fühlen sich wohl. Einer wohnt hier seit 46 Jahren. Dass die Stadt die neun Wohnungen mittlerweile fast alle der SWSG überschrieben hat, wussten die Bewohner bisher nur aus der Zeitung. Nun hat die SWSG sie am 7. Juni zu einem Info-Abend geladen, wohl um ihnen Ersatzwohnungen anzubieten. Wo und zu welchem Preis auch immer.

Verkehrskonzepte kennt die Stadt keine

Neun Wohnungen sind nicht die Welt. Aber die Stadt sucht angeblich händeringend nach verfügbaren Flächen für bezahlbaren Wohnraum. Zudem besteht in Vaihingen ein krasses Missverhältnis: Der Stadtteil hat 45.000 Einwohner, aber 65.000 Arbeitsplätze. Wenn nun Daimler, die Allianz und noch einige weitere Unternehmen ins Gewerbegebiet ziehen und auf dem Eiermann-Campus am anderen Ende des Stadtteils nochmal rund 6000 Menschen dazu kommen, werden in Vaihingen bald 20.000 Personen mehr unterwegs sein als bisher, rechnet Gerhard Wick vor, Bezirksbeirat für Vaihingen Ökologisch Sozial (VÖS).

Dafür braucht es ein Verkehrskonzept. Ein solches hat jedoch nicht die Stadt in Auftrag gegeben, sondern die drei Großinvestoren: Die Allianz, Daimler und die Gerchgroup von Mathias Düsterdick, die den ehemaligen IBM-Standort mit den denkmalgeschützten Gebäuden des Architekten Egon Eiermann entwickeln will, haben jeweils ein eigenes Gutachten beauftragt.

An den Eiermann-Campus hatte die Allianz nicht ziehen wollen. Er sei nicht gut genug angebunden. Immerhin kommt derzeit die Mehrzahl der 4000 Mitarbeiter in Stuttgart mit öffentlichen Verkehrsmitteln und nur 1500 mit dem Auto. Der Versicherer geht davon aus, dass es auch in Vaihingen dabei bleibt. Eine recht gute Bilanz, die dadurch noch verschönert wird, dass das Unternehmen seinen Mitarbeitern jetzt auch ein Jobticket bezuschusst. Bleiben trotz allem täglich 1500 zusätzliche Automobile in Vaihingen, allein durch die Allianz.

Wenn man wüsste, woher sie kommen, könnte man versuchen, ihnen bessere ÖPNV-Verbindungen anzubieten. Aber das weiß Arne Seyboth nicht, der als Verkehrsplaner im Stadtplanungsamt für die Bereiche Mitte und Filder zuständig ist, das weiß nur die Allianz. Mittlerweile gilt als ausgemacht, dass die Nord-Süd-Straße von der Autobahn bis zum Industriegebiet ausgebaut werden muss. Die grüne Fraktionsvorsitzende Anna Deparnay-Grunenberg möchte eine Seilbahn bauen, von einem Parkplatz am Autobahnzubringer bis zum Allianz-Standort. Ob das aber technisch machbar ist, sagt Verkehrsplaner Seyboth, was es kostet, ob womöglich die Anwohner Einspruch erheben, das stehe momentan alles noch in den Sternen.

Noch mehr Autos auf den Stuttgarter Straßen

Reichlich voll sind im Berufsverkehr auch die S-Bahnen in und aus Richtung Stadtmitte. Einen weiteren Zuwachs verhindert das Nadelöhr Stammstrecke, die S-Bahn-Bündelung in der Stuttgarter Innenstadt. Eine gute Alternative böte die Gäu- bzw. Panoramabahn, die seit rund 140 Jahren den Talkessel umrundet. Sie ist auch im Notfall unverzichtbar, wenn die Stammstrecke gesperrt werden muss, wie der Straßenbahn-Technikvorstand Wolfgang Arnold unablässig betont. Doch die Panoramabahn soll im Zuge von Stuttgart 21 stillgelegt werden. Eigentlich wird sie auch in Zukunft dringend gebaucht. Doch bislang, stellt Seyboth fest, gibt es keinerlei Planung, was aus ihr einmal werden soll.

Wenn der ÖPNV den Bedarf nicht befriedigen kann, wird der Autoverkehr wohl weiter zunehmen. Statt um 20 Prozent zu sinken, wie von der Stadt gewünscht. Doch wenn einer der größten Gewerbesteuerzahler ruft, kann sich die Stadt offenbar nicht verweigern – obwohl die Allianz ihre Steuerzahlungen vor einigen Jahren gekürzt hat. Ganz legal darf diese als europäische Aktiengesellschaft selbst entscheiden, wo sie Steuern abführt.

Dass die Allianz nun zum wiederholten Male ein "Bekenntnis zu Stuttgart" abgibt, klingt gut für den Haushalt der Stadt. Aber ein Hintertürchen hat sich der Konzern trotzdem offengehalten. Die Ausschreibung fordert die "langfristige Möglichkeit einer späteren Drittverwendbarkeit." Will sagen: Dem Konzern bleibt die Option, später doch wegzuziehen. Mit der Aufwertung des Grundstücks von einem simplen Sportplatz zum hochwertigen Bürostandort hätte er dann ein glänzendes Geschäft gemacht.


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1 Kommentar verfügbar

  • Luigi Pantisano
    am 24.05.2017
    Antworten
    Bei den Planungen zur ALLIANZ kann exemplarisch nachverfolgt werden, wie Stadtplanung in Stuttgart betrieben wird und zwar nicht durch die Stadtverwaltung oder die Stadtpolitik, sondern ganz klar von Investoren betrieben ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob Wohnungen wegfallen, Umweltschutz über…
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