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Zum Weinen

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Die grün-schwarze Koalition stellt zum 1. April die Wohnbauförderung um. Die Landesmittel werden gekürzt statt aufgestockt. Kein Witz. Wer heute keine Chance hat, am Markt ein angemessenes Domizil zu finden, wird auch in Zukunft keines bekommen.

"Wir erreichen unser Ziel nur, wenn wir alle Akteure des Wohnungsmarktes an einen Tisch bekommen", sagt Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin im wieder eigenständigen Wirtschaftsressort und verantwortlich für den Wohnungsbau im Land. An einem Tisch saßen die Akteure seit vergangenen Sommer. Vergangenen Dezember wurde eine "Wohnraum-Allianz" gegründet. Der Name ist Programm. Nicht der Bau von dringend nötigem bezahlbarem Wohnraum in Ballungsräumen steht im Vordergrund. Stattdessen sind Investoren unterwegs, die – dank ausreichend hoher Subventionen und Steuererleichterungen – selbst im Niedrigmietensektor auf Gewinne hoffen.

Ganze 250 Millionen Euro können im Jahr fließen, was allerdings der Bundesregierung zu verdanken ist. Grün-Schwarz hat aus den eigenen Förderungen von 105 Millionen Euro 2016 sogar gut 20 Millionen Euro herausgestrichen. Hoffmeister-Kraut verspricht eine Aufstockung vage nur für den Fall, dass das neue Programm ausgeschöpft ist. "Heiße Luft oder schlichtweg falsch und kontraproduktiv" nennt das Gregor Mohlberg von der Linken im Land. "Niedrige Miete statt hohe Rendite" heißt einer der Slogans seiner Partei. Im Mannheimer Gemeinderat brachte die Fraktion einen Antrag ein mit der Forderung, Bauträgern im sozialen Wohnungsbau kommunale Grundstücke in Erbpacht zur Verfügung zu stellen, weil die "nicht Teil des spekulativen Wohnungsmarktes sind". Auf diese Weise könne der "galoppierenden Entwicklung der Bodenpreise" entgegengewirkt werden, dem "Haupthindernis für eine preisgünstige Wohnraumversorgung".

Auch Andreas Harnack, Stuttgarter Regionalleiter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), verlangte kürzlich bei einer Anhörung im zuständigen Landtagsausschuss, das Instrument des Erbpachtrechts wieder zu aktiveren. Das zielt darauf, Baugrund über Jahrzehnte verfügbar zu machen, "damit selbstgenutztes Bauen für Familien mit mittleren Einkommen wieder erschwinglicher wird". Harnack geht davon aus, dass das Land, um den Realitäten gerecht zu werden, 400 bis 500 Millionen Euro pro Jahr allein in den sozialen Mietwohnungsbau stecken müsste. Denn, wie Udo Casper vom Mieterbund vorrechnete, die Zahl der Angebote in eben jenem so dringend nötigen Segment nimmt immer weiter ab statt zu in Baden-Württemberg. Der einfache Grund: Den zuletzt 3400 errichteten Sozialmietwohnungen pro Jahr stehen 4000 gegenüber, die aus der Mietpreisbindung fallen.

Auch die Vertreter der Städte und Gemeinden sind – abseits der warmen Worte für das Engagement der neuen Ministerin – nicht zufrieden mit dem Vorgehen. Die Neuaufstellung der Wohnraumförderung sei "ein zwar sehr wohl notwendiger, aber eben nur erster Schritt, um das allgemein anerkannte Ziel der Wohnraum-Allianz zu erreichen, nämlich in Baden-Württemberg flächendeckend mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Landkreis-, Gemeinde- und Städtetag. Zur Realisierung dieses Ziels müssten weitere, zum Teil große Schritte folgen. Die Schaffung von Wohnraum in ausreichendem und bezahlbarem Maße sei "eine Frage gesellschaftlicher Daseinsvorsorge, deren Sicherstellung von staatlicher Seite zu gewährleisten ist".

Das Recht auf Wohnen ergibt sich aus dem Grundgesetz

Auf dem Papier ist das Allgemeingut, seit in den Siebzigern und Achtzigern im großen Stil Häuser besetzt wurden in der Republik. Johann Wilhelm Gerlach, später Präsident der Freien Universität in Berlin, hat schon damals Wohnen zum "sozialen Grundrecht" erklärt. Mit dessen Einlösung durch den Staat liege es im Argen, weil der nicht über die nötigen Voraussetzungen in eigener Hand verfüge. Gerlach leitete diesen Anspruch implizit aus den Grundgesetzartikeln 1 (Menschenwürde), 2 (freie Entfaltung der Persönlichkeit) und dem Sozialstaatsartikel 20 ab: "Eine angemessene Wohnung gehört zweifelsfrei zu den elementaren sozialen Voraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens und einer freien Entfaltung der Persönlichkeit." Schon vor gut 40 Jahren weist der Professor außerdem auf die "mit Artikel 15 zweifellos vorhandene Möglichkeit einer Sozialisierung von Grund und Boden" hin. Damit, so Gerlachs politisch tollkühner Wunschtraum, wären "die großen Wohnungsprobleme gerade in den städtischen Ballungsgebieten um einiges leichter zu lösen".

Eine Analyse, die an Aktualität nichts verloren hat, im Gegenteil. Der Eigentümerverband Haus und Grund setzt ebenso wie die vielen Immobilienunternehmen, die vom Förderkuchen profitieren wollen, auf eine Öffnung der Förderung. So lobt Jürgen Schrader, Vorstand von Haus und Grund in Baden, dass die Einkommensgrenzen für den Anspruch auf staatliche Zuschüsse angehoben wurden. Gerade für Mieter sieht er darin Vorteile. Seine Begründung zeigt, wie Wohnraum allein vom privaten Eigentümer und Vermieter her gedacht wird. Denn die bekämen jetzt mehr Sicherheit, dass die Einnahmeerwartungen erfüllt werden. Motto: "Je mehr Sicherheit, desto mehr sind Private bereit, in den Mietwohnungsbau zu investieren."

Noch deutlicher wird bei der Anhörung im Stuttgarter Landtag Gerald Lipka, Geschäftsführer des Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen mit immerhin rund 200 Mitgliedern im Südwesten. "Wenn bekannt wäre, dass mit den Förderprogrammen auch klassischer Mittelstand adressiert wird", dann gebe es weniger Vorbehalte. Und weiter: "Jeder Wohnungsbau, egal in welchem Preissegment, ist eine Verbesserung für bezahlbaren Wohnraum. Bemerkbar mache sich das "über mehrere Kaskaden", zum Beispiel, wenn Familien sich ein Eigenheim leisten können und dann eine städtische Wohnung freimachen. Jedenfalls hat das Land die Zuschussgrenzen für einen Vier-Personen-Haushalt hochgesetzt: Familien mit einem Jahresbruttoeinkommen von 65 000 Euro können in den Genuss einer Mietförderung und einer Eigentumsförderung von bis zu 75 000 Euro kommen. Reinhold Schimkowski hingegen, Vorstandsvorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege, sieht damit zumindest teilweise die Gelder am Bedarf vorbeifließen. Gerade die "Bürgerinnen und Bürger mit sehr schmalem Geldbeutel" profitierten nicht ausreichend von den öffentlichen Maßnahmen.

Geradezu ausgekocht ist, dass Unternehmer, Vermieter und Investoren mit Renditeerwartung ebenso wie CDU- oder FDP-Abgeordnete den vor allem von bürgerlich-liberalen Mehrheiten über Jahre hinweg aktiv mitverschuldeten Engpass auf dem Wohnungsmarkt nutzen wollen, um ungeliebte Vorschriften zu beseitigen. Grün-Rot hatte 2014 eine Reihe von Regeln konkretisiert, etwa zur Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer oder zum Bau von Fahrradabstellplätzen. Vor allem die Grünen müssen sich seither anhaltend vorwerfen lassen, damit Bauen verteuert zu haben. Eine neue Vorschrift, die verlangt, "wenn eine Begrünung oder Bepflanzung der Grundstücke nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist", bauliche Anlagen zu begrünen, "soweit ihre Beschaffenheit, Konstruktion und Gestaltung es zulassen und die Maßnahme wirtschaftlich zumutbar ist" wird von interessierten Kreisen zum Aufreger stilisiert. Die Architektenkammer Baden-Württemberg hält dagegen: Eine gleichlautende Regelung werde in Nordrhein-Westfalen bereits seit dem Jahr 2000 angewendet, habe dort aber "offensichtlich weder das Baugeschehen zum Erliegen gebracht noch massenweise Bauherren in den Konkurs getrieben". Dennoch wird in Baden-Württemberg weiter Stimmung dagegen gemacht.

Genauso wie gegen die in Stuttgart und anderen Städten beschlossenen Quoten für Bauträger. Ab einer bestimmten Größe sind geförderte Wohnungen und sozialer Mietwohnungsbau vorgeschrieben. In der Landeshauptstadt muss pro 450 Quadratmeter Wohnraum eine geförderte und pro 1350 Quadratmeter eine Sozialmietwohnung eingeplant sein, die zu höchstens 7 Euro 50 pro Quadratmeter vermietet wird. Haus und Grund passt die ganze Richtung nicht. Auf dem im vergangenen Oktober durch den Eigentümerverband organisierten "Tag des Eigentums" hatte der frühere Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) mit einem Katalog von Gegenvorschlägen aufgewartet: Der Bau von bezahlbarem Wohnraum müsse angekurbelt werden mit "Steuererleichterungen, verbesserten Abschreibemöglichkeiten, mit Investitionszulagen, einer Senkung der Grunderwerbssteuer und der Grundsteuer sowie Reformen im Baugesetzbuch". Und am wichtigsten erschien Ramsauer in seinem Festvortrag in Stuttgart "eine Änderung der Einstellung zum Eigentum".

Wien macht vor, wie Wohnbauförderung geht

In Wien, europäische Wohnbau-Vorzeigestadt seit inzwischen 99 Jahren, würde das sofort unterschrieben: Dort ist gute Tradition, die Einstellung zum Eigentum zu verändern – aber mit anderen, weil sozialen Vorzeichen. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in kürzester Zeit so viele Wohnungen, dass der Wuchermietmarkt komplett zusammenbrach. Heute leben rund zwei Drittel der Bevölkerung in einer der rund 200 000 von der Stadt geförderten oder in einer der 220 000 im Besitz der Stadt befindlichen Wohnungen. Die Angebote gehen weit über das reine Wohnen hinaus. In Gemeindebauten gibt es aktuell mehr als 5000 Geschäftslokale, Gast- oder Kaffeehäuser, 1300 Spielplätze, 5200 Gemeinschaftswaschküchen mit 5700 Waschmaschinen und 5200 Trocknern, 7600 Aufzüge sowie 1,8 Millionen Sträucher und 67 000 Bäume in Innenhöfen, Gärten und auf Dächern.

Apropos Dach: Dank einer speziellen Wohnbau-Initiative werden in Wien neuerdings im Rahmen von Sanierungen viele Dachgeschosse ausgebaut. "Durch uns selber", sagt der SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, "weil wir nicht wollen, dass gewerbliche Bauträger ein großes Geschäft machen." Die neuen Wohnungen, gerne mit Blick über Teile der Stadt, sind zwischen 60 und 80 Quadratmeter groß. Eine 60-Quadratmeter-Wohnung kostet inklusive Betriebskosten und Steuern rund 450 Euro Miete. Ausdrücklich wollen die Verantwortlichen dieses normalerweise für Höchstmieten bekannte Segment dem freien Markt entreißen. Und im Topf Wohnbauförderung insgesamt sind im Wiener Stadthaushalt für das laufende Jahr 580 Millionen Euro vorgesehen, mehr als das Doppelte also jener Mittel, die Grün-Schwarz für ganz Baden-Württemberg bereitstellen will.


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2 Kommentare verfügbar

  • Gela
    am 24.02.2017
    Antworten
    Wohnen ist ein elementares Bedürfnis und Grundrecht und gehört nicht vorwiegend in private Hände! Die hauptsächliche Förderung gehört in die öffentliche Hand und in gemeinnützige Gesellschaften, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und nicht in erster Linie an Renditen interessiert sind.
    Die CDU hat…
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