Erst kannte die Bahn den Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) nicht, dann erklärte sie die Zahlen für veraltet, um jetzt ein Gutachten zu präsentieren, das vom DB-Aufsichtsrat in Auftrag gegeben wurde. Gefertigt von der Beratungsgesellschaft KPMG, die "zu ganz anderen Ergebnissen" gelangt war: Kosten von 6,7 Milliarden. Alles schon mal da gewesen. Im Vorfeld der Volksabstimmung 2011 über Stuttgart 21 hatte der BRH festgestellt, der behauptete "Kostendeckel" von 4,5 Milliarden Euro sei zu niedrig angesetzt, S 21 werde deutlich teurer. Auch damals argumentierte Bahnchef Rüdiger Grube zunächst, er kenne den Bericht nicht. Dann hieß es, der BRH habe "keine Berechtigung", die Deutsche Bahn AG-Kalkulationen zu überprüfen. Zwei Jahre später zeigte sich: Die Kostenkalkulation erhöhte sich wie vom BRH prognostiziert.
Jetzt wird die KPMG aus dem Hut gezogen. Diese Prüfgesellschaft ist eng verflochten mit den deutschen Konzernen und Banken, die wiederum in vielfältiger Weise mit dem S 21-Komplex verbunden sind und an dem Großprojekt verdienen. KPMG hat von allen Prüfgesellschaften die meisten DAX-Unternehmensmandate. Sie erzielt ihre höchsten Einnahmen durch ihre Prüfaufträge bei der Deutschen Bank, beim Versicherer Allianz, bei den Autokonzernen Daimler und BMW und bei dem Autozulieferer Continental. Vor diesem Hintergrund ist es schlicht dreist, die staatliche Kontrollbehörde BRH als unglaubwürdig zu denunzieren und die privatwirtschaftliche Beratungsgesellschaft als integre Instanz zu preisen. Zumal die KPMG in jüngerer Zeit in Insidergeschäft-Skandale verwickelt war, zum Beispiel bei den Unternehmen Herbalife und Sketchers.
Wenn schon der Vorstand der Deutschen Bahn AG wie beschrieben tickt, so sollte wenigstens das Aufsichtsgremium des Konzerns so zusammengesetzt sein, dass es in dieser Situation korrigierend eingreift. Immerhin wird im BRH-Bericht nicht nur festgehalten, dass das Projekt deutlich unwirtschaftlich ist, sondern auch offen sei, ob Stuttgart 21 "eine Betriebsgenehmigung erhalten" würde. Zweifel sind angebracht.
Die KPMG hat ein vitales Interesse an der Bahn
Vier Beispiele aus dem Aufsichtsrat: In diesem Gremium sitzt seit vielen Jahren mit Jürgen Krumnow ein Mann, der lange Zeit Vorstand der Deutschen Bank war. Er gilt weiterhin als mit diesem Geldinstitut verbunden, was auf der Website der Deutschen Bahn AG auch so ausgeführt wird. Darüber hinaus gibt es die Verbindung zu KPMG: Die Beratungsgesellschaft bezog im vergangenen Jahr das höchste Beratungshonorar von der Deutschen Bank. KPMG hat auch ein vitales Interesse daran, als Beratungsgesellschaft der Deutschen Bahn engagiert zu werden und hier die bisherige Beraterfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) abzulösen. In jüngerer Zeit war das PwC-Mandat beim Bahnkonzern in Frage gestellt worden.
Ein weiteres Aufsichtsratsmitglied ist Michael Frenzel. Er war lange Zeit Chef des Reiseveranstalters Tui und Aufseher bei VW. Aktuell ist Frenzel Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW). Es besteht bereits objektiv ein Interessenswiderspruch zwischen der Tourismusbranche und der Bahn. Ein Tourismus-Veranstalter muss auf niedrige Bahntarife drängen, die Bahn eher auf kostendeckende. Das ist nicht alles. Frenzels Tourismusverband fordert ausdrücklich, dass "die Eisenbahnmärkte europaweit liberalisiert" werden, was auf Privatisierung hinausläuft. Verlangt wird ein "Aus- und Neubau der Fernstraßen". Der Verband bezieht unverhüllt Partei für die Luftfahrtbranche. Wenn er fordert, "die Luftverkehrssteuer ad acta zu legen", bezieht er explizit eine Gegenposition zur Bundesregierung. BTW verlangt des Weiteren, "Nachtflugverbote und Flugverbote in Tagesrandzeiten [...] zu verhindern bzw. zu revidieren" und "die großen Flughafendrehkreuze bedarfsgerecht" auszubauen.
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Andrea
am 16.10.2016