Er ist ein Provokateur, aber keiner, der die Welt verändern oder gar verbessern will. Anecken und Auffallen ist ihm wichtig, auch weil es das Ego streichelt. "Finden Sie mich unangenehm?", fragt er irgendwann während der mit Spitzen überreich garnierten Ausführungen bei der Schlichtung im November 2011 die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender. Die Antwort erspart sie ihm, sich selbst und dem Millionenpublikum, das die Live-Übertragung im Fernsehen sieht.
Heiner Geißler konnte ebenfalls wenig anfangen mit dem langen Düsseldorfer, der seine Jugendlichkeit mit Krawatten-Total-Verzicht oder über die Sakkoärmel umgeschlagenen offene Hemdmanschetten zu unterstreichen versucht. Gern rempelt er höhere Semester an, zumal wenn sie den Tiefbahnhof nicht mögen: "In Stuttgart hat eine lautstarke Minderheit von alten Menschen Stimmung gegen das Projekt gemacht. Wir reden von Menschen, die den Bauzaun dekorierten wie bei Prinzessin Dianas Beerdigung." Es könne doch nicht sein, dass 20 Prozent der Bevölkerung über die Zukunft aller bestimmen.
Es kann aber auch nicht sein, dass ein national und international hochanerkannter Fachmann einfach immer neue Behauptungen, Euphemismen und Verklärungen in die Welt setzen darf. Jüngst bei der vielbejubelten Grundsteinlegung für den Tiefbahnhof, dem mindestens dritten Baubeginn, den die S-21-Fangemeinde feierte, beklagte er sogar, wie sich "Europa an uns vorbeientwickelt hat". Wobei "uns" für Stuttgart steht und Abhilfe dank Ingenhoven in Sicht ist. Denn der neue Tiefbahnhof bringe die Stadt zurück "auf die europäische Landkarte", prophezeit er.
Ein Architekt mit immensem Selbstbewusstsein
Womit sich mal wieder die alte Faustregel bewährt: Wer notorisch übertreiben muss, traut den eigenen Argumenten zu wenig. Beispielsweise fabulierte Ingenhoven während der Schlichtung, "das halbe Tal" sei von Gleisanlagen belegt und müsse davon befreit werden. Eigenwillig die Prosa, die die Stadtgeschichte umschreibt: "Stuttgart, das einst vom Württembergischen König ins Tal nahe an das Schloss heran befohlen wurde, wird jetzt befreit von den Fesseln durch die Tieferlegung der Durchgangsgeleise." Großväterlich gestimmt nennt er das "wichtigste Projekt" sein "Baby". Lyrisch lobt er den unterirdischen Bahnhof eine "lichtdurchflutete poetische Raumkonstruktion" eine, "die versucht, ihre Poetik durch einen naturähnlichen Entwurfsprozess zu erlangen". Und weiter: Die Schnittstelle werde zwischen "dem alten und dem neuen Herzen der Stadt als Katalysator einer kommenden Entwicklung" wirken.
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Horst Ruch
am 14.10.2016