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Bangladesch und Indigene

Verfolgung, Mord, Enteignung

Bangladesch und Indigene: Verfolgung, Mord, Enteignung
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Dörfer werden niedergebrannt, Frauen vergewaltigt, wer Widerstand leistet, wird gefoltert und ermordet. Trotz eines Friedensabkommens unterdrücken Sicherheitskräfte und Siedlergruppen in den Chittagong Hill Tracts (Bangladesch) die dort ansässigen indigenen Völker.

Chittagong Hill Tracts und das Friedensabkommen

Die Chittagong Hill Tracts (CHT), eine über 5.000 Quadratmeilen (knapp 13.000 Quadratkilometer) große Bergregion, liegt im Südosten von Bangladesch und grenzt im Norden an die indischen Bundesstaaten Tripura und Mizoram und im Osten an Myanmar. Die halbautonom verwaltete Provinz ist in die drei Distrikte Khagrachari, Rangamati und Bandarban unterteilt. In den CHT leben elf indigene Gemeinschaften, die sogenannten Jumma: Chakma, Marma, Tangchangya, Pankhua, Tripura, Lusai, Bawm, Mro, Khumi, Khiyang und Chak.

Nach jahrzehntelangen bewaffneten Konflikten zwischen der bangladeschischen Regierung und den indigenen Völkern in den CHT wurde 1997 ein Friedensabkommen unterzeichnet. Die indigene Völker wurden vom politischen Arm der damals paramilitärischen separatistischen Organisation Parbatya Chattagram Jana Samhati Samiti (PCJSS) vertreten. Die zweite größere politische Gruppierung in den CHT, die United People's Democratic Front (UPDF), gründeten 1998 Indigene, die die Bedingungen des Friedensabkommens ablehnten. Bis heute gibt es Konflikte zwischen den beiden Gruppierungen in den CHT.

Mit dem Friedensabkommen verpflichtete sich die Regierung von Bangladesch zum Abzug des Militärs und zur Übertragung von Befugnissen an repräsentative Räte, die Hill District Councils, einschließlich der Zuständigkeit für Recht und Ordnung, die Landverwaltung und den Katastrophenschutz. Das Abkommen wurde unter anderem von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union begrüßt. Doch trotz Aufforderungen der UN-Sonderorganisation ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung des UN-Menschenrechtsrats hat die bangladeschische Regierung das Abkommen nie vollständig umgesetzt.  (fra)

"Mein Sohn Kya Thing Aung wurde erschossen unter dem Vorwand, Terroristen in unserem Dorfgebiet zu ergreifen. Sie haben uns unser geliebtes Kind entrissen. Wir wollen keine Gerechtigkeit. Meinen anderen Familienmitgliedern wird das Gleiche widerfahren, wenn wir fordern, dass die Täter vor Gericht gestellt werden", sagte Hla Nu Mong Marma im November 2018 nach dem brutalen Mord an seinem 14-jährigen Sohn. Kya Thing ist nicht das einzige Opfer der Strafverfolgungsbehörden in den CHT (Chittagong Hill Tracts).

Romel Chakma, ein 19-jähriger College-Student und Generalsekretär der Studentenbewegung Pahari Chatra Parishad (PCP) in Rangamati (CHT), starb vermutlich aufgrund von Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte. Romels Mutter Alo Debi Chakma klagte an: "Die Armee hat meinen Sohn brutal getötet. Ich habe ihn weder lebend noch tot gesehen. Ich wollte seinen Körper für die Nacht zu Hause behalten, aber die Sicherheitskräfte haben mir das nicht erlaubt."

Der sehbehinderte Romel wurde am 5. April 2017 von Mitgliedern der bangladeschischen Armee auf dem Markt in Naniarchar (Distrikt Rangamati) verhaftet. Am nächsten Tag wurde der schwer verletzte und bewusstlose Romel in das Chittagong Medical College Krankenhaus eingeliefert, wo er am 19. April starb. Laut seiner Familie wurde er unter militärischer Aufsicht ohne Einhaltung religiöser Rituale und ohne die engsten Familienangehörigen eingeäschert.

Es gibt weitere Beispiele von ähnlichen Todesfällen.

Am 10. August 2014 wurde Duran Babu Chakma (auch bekannt als Timir Boron Chakma), Mitglied der PCJSS, aus Khagrachhari (CHT) von der Armee unter dem Vorwand, er habe jemanden erpresst, in Gewahrsam genommen, gefoltert und für tot erklärt, nachdem er in ein Krankenhaus in Matiranga gebracht worden war. Auch er wurde Berichten zufolge vom Militär ohne seine Familie eiligst eingeäschert unter dem falschen Vorwand, niemand sei gekommen, um seine Leiche einzufordern.

Nabin Jyoti Chakma (32), Bujendra Chakma (50) und Ruchil Chakma Rasel (26) – drei Aktivisten der UPDF – wurden vermutlich vom Militär in der Gegend von Kripapur im Kreis Dighinala (Distrikt Khagrachhari) aufgegriffen. Später behauptete das Militär, sie seien bei einem Gefecht am 26. August 2019 getötet worden.

Am 3. April 2019 wurde der 45-jährige Gyano Shankar Chakma, ein Aktivist der PCJSS, bei einem Kreuzfeuer mit der Polizeieinheit Rapid Action Battalion (RAB) im Bezirk Bandarban getötet. Die PCJSS behauptete jedoch, dass er bereits am 14. März 2019 von Sicherheitskräften in Chittagong aufgegriffen worden sei.

Der 40-jährige Michael Chakma, ein UPDF-Aktivist, wurde vermutlich am 16. April 2019 von den Sicherheitskräften in Narayanganj (Millionenstadt im Distrikt Dhaka) verhaftet. Seitdem wird er vermisst.

Im Juli 2020 wurde die Indigene Shantilata Tanchangya (30) getötet und ihr fünfjähriger Sohn Arjun Tanchangya Suken verletzt, als die Armee im Namen der Terroristenbekämpfung in der Gegend von Aungyapara im Kreis Rowangchari willkürlich um sich schoss.

Am 15. März 2022 verhaftete die Armee Nabayan Chakma Milon (47), einen Organisator der UPDF aus Khagrachhari. Zeugen sahen, wie die Soldaten Milon über eine Stunde lang schlugen und traten, bis er halbtot war, kaum noch bei Bewusstsein und anscheinend gebrochene Gliedmaßen hatte. Daraufhin brachten ihn die Soldaten in einem Militärfahrzeug weg und fast vier Stunden später in das Dighinala Upazila Krankenhaus, wo er für tot erklärt wurde.

Regierung hält sich nicht an das Friedensabkommen

Folter und Tod von Gefangenen werden in Bangladesch immer gängiger. Das Land ist nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights) und dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter sowie nach seiner eigenen Verfassung verpflichtet, Foltervorwürfen nachzugehen und für Gerechtigkeit zu sorgen.

In den CHT können die Serienmorde als brutale Unterdrückung der Stimmen von Minderheiten gewertet werden. Die indigene Bevölkerung wird ermordet, verkrüppelt, vergewaltigt, gefoltert, inhaftiert und ihrer Häuser und Lebensgrundlagen beraubt. Ihre Stammdörfer werden angegriffen, Gebetsstätten niedergebrannt und Häuser in Brand gesetzt.

Seit 1976 verübte das Militär von Bangladesch und die bewaffneten bengalischen Siedlerbanden mindestens 13 Massaker in den CHT. In den 1980er- und 1990er-Jahren flohen Zehntausende Indigene aus Angst um ihr Leben nach Indien und in andere Teile des Landes und über 500.000 bengalische Muslime wurden in den CHT angesiedelt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, die Europäische Kommission, der Kongress der Vereinigten Staaten und Amnesty International, haben diese Gräueltaten in mehreren Berichten scharf verurteilt.

Mit dem CHT-Friedensabkommen von 1997 sollte der Konflikt zwischen der indigenen Bevölkerung und der Regierung beendet werden. Es wurde jedoch nie vollständig umgesetzt.

Entführung von Kalpana Chakma

Kalpana Chakma war eine bangladeschische Menschenrechtsaktivistin und Feministin und die Koordinatorin der Hill Women's Federation, einer Flügelorganisation der PCJSS. Die Hill Women's Federation wurde am 8. März 1988 von jungen Frauen der indigenen Bevölkerung in den CHT gegründet und setzt sich für die Selbstbestimmung der indigenen Völker ein. Am 12. Juni 1996 wurde die damals 23-jährige Kalpana Chakma – wenige Stunden vor den Parlamentswahlen, bei denen sie einen Vertreter der indigenen Gruppen unterstützte – vermutlich von Mitgliedern des bangladeschischen Militärs entführt. Damals weigerte sich die Polizei, die Anzeige ihrer Familie gegen einen Armeeangehörigen und zwei Mitglieder einer paramilitärischen Gruppe aufzunehmen. Im Jahr 2017 beantragte die Polizei, die Ermittlungen aus einem Mangel an Beweisen einzustellen. Bis heute werden in den indigenen Gebieten Kundgebungen organisiert mit der Forderung, die Entführung aufzuklären.  (fra)

Zwar kehrten mittlerweile rund 43.000 indigene Geflüchtete aus Indien zurück. Doch mehr als 50 Prozent der Rückkehrer erhielten ihr Land und ihre Familiensitze nicht zurück, und eine große Mehrheit der Geflüchteten lebt weiterhin in Behelfslagern oder in den Häusern von Verwandten. Darüber hinaus wurden etwa 65.000 Indigene intern vertrieben und von der Armee in strategische Weiler umgesiedelt, nachdem ihre Dörfer niedergebrannt worden waren. Dahinter stehen in der Regel wirtschaftliche Interessen.

Gegen Grundrechte und politischen Aktivismus

Obwohl das Abkommen den Abzug der Armee aus den CHT vorschreibt, ist bis heute ein großer Teil der Region militärisch besetzt. Gruppen, die sich für Indigene einsetzen, berichten, dass die Militärpräsenz in den letzten Jahren sogar zugenommen hat.

Die Armee genießt in den CHT weitgehend Straffreiheit. Ein Beispiel ist der Fall Kalpana Chakma. Die Koordinatorin der Hill Women's Federation wurde im Juni 1996, ein Jahr vor der Unterzeichnung des CHT-Friedensabkommens, vermutlich von Armeeangehörigen entführt. Kalpanas Familie legte Beschwerde gegen mehrere Sicherheitsbeamte ein, doch trotz Berichten von Augenzeugen kamen die Ermittlungen nie voran.

Brandanschläge in Sajek

Am 20. April 2008 setzten bengalische Siedler in sieben Dörfern im Gebiet von Sajek (Kreis Baghaichari, Distrikt Rangamati, CHT) Häuser der indigenen Bevölkerung in Brand, wodurch sie etwa 77 Häuser, eine Kirche und zwei von der UNICEF betriebene Schulen zerstörten. Die Streitkräfte vor Ort sollen am nächtlichen Brandanschlag mitbeteiligt gewesen sein oder ihn zumindest geduldet haben. Am 18. Juni 2008 kam es zu erneuten Angriffen. Im Februar 2010 setzten Siedler rund 450 Häuser der Jumma in zwölf Dörfern in Brand. Wiederum sollen Armeeangehörige mitgewirkt haben. Mehr dazu hier und hier. Eine offizielle Untersuchung der Vorfälle seitens der Regierung gibt es bis heute nicht. Die indigene Bevölkerung im Gebiet Sajek lebte bereits vorher unter prekären Bedingungen.

Angriff auf Rani Yan Yan

Rani Yan Yan, die Anführerin des Chakma-Volkes in Rangamati, ist eine Menschenrechtsverteidigerin und setzt sich besonders für die Stärkung indigener Frauen ein. Nachdem bei einer Patrouille im Januar 2018 ein 18-jähriges und ein 14-jähriges Mädchen des Marma-Stammes von zwei Armeeangehörigen sexuell missbraucht worden waren, begleitete Rani Yan Yan die beiden Opfer 20 Tage lang im Krankenhaus. Als die Sicherheitskräfte eine Razzia im Krankenhaus durchführten, um die Mädchen gegen deren Willen in ihr Dorf zurückzubringen, griffen sie Rani Yan Yan an, traten und schlugen sie. Yan Yan arbeitet mit nationalen und internationalen Organisationen unter anderem in Fragen zur Klimaresilienz und Geschlechtergleichstellung zusammen. Im vergangenen Jahr wurde sie für ihr Engagement vom US-amerikanischen Außenministerium mit dem Global Anti-Racism Champions Award ausgezeichnet. Hier eine Petition von change.org.  (fra)

Am 11. Dezember 2023 stürmten maskierte Angehörige einer Bürgerwehr und Armeemitglieder abends ein Haus im Dorf Anil Para und töteten auf brutale Weise Bipul Chakma, Koordinator des Demokratischen Jugendforums (Democratic Youth Forum), Sunil Tripura (28), zentraler Vizepräsident der Studentenbewegung PCP, Liton Chakma (29), Vizepräsident des Demokratischen Jugendforums im Distrikt Khagrachari, sowie Rahin Bikas Tripura (49), Niti Dutta Chakma und Harikamal Tripura, Organisatoren der UPDF.

Nach den beiden großen Brandanschlägen in Sajek (heute das Gebiet eines vom Militär betriebenen Touristenresorts) im Distrikt Rangamati 2008 und 2010 begann der Staat, seinen langfristigen Plan für die kapitalistische Expansion in diesem Gebiet zu entwerfen. In Thanchi wurde die Ausweitung eines vom Militär betriebenen Fünf-Sterne-Resorts auf 100 Hektar Land trotz internationaler Verurteilung fortgesetzt.

Wer sich in den CHT für die Grundrechte der Indigenen einsetzt, lebt gefährlich. Das zeigt unter anderem der Angriff auf Yan Yan, Anführerin des Chakma-Kreises in Rangamati, im Jahr 2018. Sie forderte Gerechtigkeit für zwei indigene Marma-Schwestern, die von Sicherheitskräften vergewaltigt worden waren.
 

Übersetzung des Originaltextes aus dem Englischen:
Franziska Mayr
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Um den Journalisten und Blogger Sanjoy Kumar Barua geht es im Kontext-Artikel "Im Exil weiterkämpfen".

 

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