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Faisal Aleefi

"Kämpfen, Geduld haben, durchhalten"

Faisal Aleefi: "Kämpfen, Geduld haben, durchhalten"
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In Afghanistan hat Faisal Aleefi Menschen und Organisationen beraten, die dort demokratische Verhältnisse aufbauen wollten. Nun ist er in Stuttgart und hilft jenen, die nach Deutschland gekommen sind.

Herr Aleefi, wir haben uns auf einer Kundgebung kennengelernt, bei der es um den Europäischen Asylkompromiss ging. Da haben Sie gesprochen. Was war Ihr Anliegen?

Dass Menschenrechte zählen, was ja eigentlich klar sein müsste. Jeder Mensch hat die gleichen Rechte, und ich als junger Flüchtling kämpfe für ein Bleiberecht für alle, die hier sind. Das steht im Grunde auch in der Genfer Konvention. Die meisten Menschen flüchten vor Krieg und Verfolgung. Wenn sie keine Möglichkeit haben, in ihren Ländern zu leben, weder sie selber noch ihre Kinder, dann kommen sie nach Europa. Und ich frage mich, warum die Politiker das nicht einsehen. Wie können sie ihre Augen davor verschließen, dass man diesen Menschen helfen muss, wie es ja im Übrigen auch im deutschen Grundgesetz steht. Und das geht nur, wenn man einen Asylantrag in Europa stellen kann. Wer weiß denn, was in den Nachbarländern Europas geschieht? In Tunesien beispielsweise, mit dem Europa einen Vertrag zur Flüchtlingsabwehr abschließen möchte, wurden Flüchtende verfolgt und in die Wüste getrieben. Es ist total respektlos und undemokratisch, wenn man die Augen davor verschließt und vergisst, was im Gesetz steht.

Mohammad Faisal Aleefi hat in Afghanistan Betriebswirtschaftslehre studiert und später die norwegische Flüchtlingshilfe beraten, mit internationalen Firmen und Organisationen zusammengearbeitet und als Wahlbeobachter gearbeitet. 2015 floh er nach Deutschland und arbeitet heute im Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen. Außerdem ist er als ehrenamtlicher Übersetzer für die Arbeiterwohlfahrt in Ludwigsburg tätig und berät afghanische Flüchtlingsfamilien in praktischen Dingen, etwa beim Ausfüllen von Formularen. (krö)

Im vergangenen Sommer haben Sie bereits auf einer Kundgebung in Stuttgart gesprochen. Worum ging es da?

Um die derzeitige Situation in Afghanistan. Im Grunde für alle Menschen, aber besonders für Frauen gibt es dort keine Rechte. Sie können nicht studieren, haben kein Recht, in die Schule zu gehen, kein Recht, zur Arbeit zu gehen, im Grunde kein Recht zu leben. Seit dem 15. August 2021, als die Taliban dort die Herrschaft übernommen haben, ist die Lage ganz schlecht. Wir unterstützen die Afghaninnen und Afghanen in Afghanistan und wir kämpfen dafür, dass die europäischen Regierungen das Regime in Afghanistan nicht anerkennen, denn die Taliban waren Terroristen und sind Terroristen. Wir hatten in den letzten 20 Jahren dort viel aufgebaut: Bildung, Arbeit, Demokratie. Jetzt gibt es keine Arbeit mehr, kein Geld, keine Freiheit, keine Möglichkeit zu studieren.

Viele Afghaninnen und Afghanen haben dem Westen, auch Deutschland, geholfen, bevor die Taliban wieder die Macht übernommen haben. Und viele von ihnen werden jetzt hier nicht aufgenommen.

Das ist ein großes Problem. Zwar gibt es ein Aufnahmeprogramm für Leute, die mit der deutschen Armee, mit deutschen und europäischen Organisationen und mit deutschen Firmen zusammengearbeitet haben. Doch obwohl sich viele von ihnen für das Programm angemeldet haben, warten sie immer noch auf ihr Visum. Viele haben bisher überhaupt keinen Bescheid bekommen. Insgesamt handelt es sich um etwa 40.000 Menschen, die für den Aufbau des Landes gearbeitet haben. Und jetzt sind sie nichts mehr wert, haben nichts mehr, sie und ihre Familien können in Afghanistan nicht mehr leben.

Sie sind jetzt in Afghanistan richtig gefährdet, weil sie von den Taliban verfolgt werden.

Ja, und die europäischen Regierungen betonen zwar immer in der Theorie, dass sie helfen. Aber in der Praxis lassen sie diese Menschen hängen, die in Afghanistan oder als Flüchtlinge in Pakistan oder im Iran auf konkrete Hilfe warten, darauf, dass sie nach Europa ausreisen können.

Manche Menschen in Deutschland sagen, gerade afghanische Flüchtlinge werden hier nicht glücklich, weil die Verhältnisse so anders sind als in Afghanistan. Und dass wir so viele afghanische Flüchtlinge gar nicht aufnehmen können.

Ich sehe das ganz anders. Vor allem, wenn junge Leute nach Europa, Deutschland kommen, dann ist das eine tolle Chance für dieses Land, seine Bevölkerung und die Regierung. Denn die jungen Leute machen die Zukunft. Die jungen Einwanderer haben viel Energie, neue Ideen, sie wollen etwas erreichen. Und sie haben in ihrem Leben auch schon viele Erfahrungen gemacht. Abgesehen davon, wie kann man denn sagen, "Menschen A sind besser als Menschen B"? Alle Menschen sind gleich, egal ob schwarz, weiß, aus Ost oder West.

Preisgekröntes Engagement

Faisal Aleefi engagiert sich für Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund, um etwas "für andere und schließlich auch für die Stadt und das Land zu tun, wo ich lebe", sagt er. Neben afghanischen Geflüchteten unterstützt er vor allem Menschen aus Pakistan, dem Iran, Syrien oder afrikanischen Staaten. Nach seiner Ankunft in Deutschland engagierte sich Aleefi zunächst bei der Flüchtlingsinitiative "Jugendliche ohne Grenzen". Außerdem beteiligt er sich am Projekt der Stadt Stuttgart "Respektlotsen": Dabei treffen sich regelmäßig junge Menschen, um über Respekt zu reden. Zudem engagiert er sich in der Stuttgarter Gruppe der Jungen europäischen Föderalisten (JEF), die sich mit Fragen rund um die europäische Politik auseinandersetzen. Im vergangenen Jahr hat er das neue Netzwerk "Afghan Refugees Experts Network in Europe" (ARENE) aufgebaut und die deutsche Sektion als Verein gegründet. Das Netzwerk hilft anderen Geflüchteten und dient als Ansprechpartner für europäische Institutionen.

Aufgrund seines Engagements auch auf europäischer Ebene wurde Faisal Aleefi im vergangenen Jahr ins Europäische Parlament eingeladen, um dort über Geflüchtete zu sprechen, insbesondere über jene aus Afghanistan. Er nahm am Wettbewerb "refugees journey" ("Flüchtlingsreise") teil, in dem er seine Fluchtgeschichte aufschreiben und sein Engagement nach Ankunft in Europa beschreiben musste, und erhielt dafür den dritten Preis.  (krö)

Sie müssen aber auch die Bereitschaft zeigen zu arbeiten, sich weiterzubilden, die Sprache zu lernen, heißt es. Tun sie das nicht?

Ich kenne viele junge Flüchtlinge, die bis jetzt keinen Aufenthaltstitel, keine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis haben. Einen Integrationskurs bekommen sie nicht, solange sie keinen Aufenthaltstitel haben, und dann gibt es auch keinen Deutschkurs. Als ich nach Deutschland gekommen bin, musste ich zwei Jahre warten, bis ich in einen Integrationskurs gekommen bin. Wie soll man da motiviert werden zu arbeiten, die Sprache zu lernen, sich zu engagieren? Das sind Probleme der Regierung, nicht der Menschen.

Warum haben Sie Afghanistan verlassen und wie wurden Sie in Deutschland aufgenommen?

Zuletzt habe ich in Afghanistan an einem Projekt der Europäischen Kommission gearbeitet, das sich mit den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 befasste. Da war ich Medienvertreter, das war meine letzte Arbeit in Kabul. Wegen der Sicherheit konnte ich dann nicht mehr dort leben und bin nach Deutschland gekommen. Zuerst war das sehr schwer. Ich konnte nicht lesen, nichts verstehen, ich konnte nicht reden. Ein paar Monate habe ich gewartet, dass vielleicht jemand zu mir kommt und fragt: "Was willst Du, mit was willst Du anfangen, was brauchst Du?" Aber leider kam niemand, und es ging mir nicht gut. Ich erinnere mich noch an meine erste Woche in Stuttgart. Ich war im Ausländeramt und man wollte, dass ich Deutsch rede. Daraufhin sagte ich: "Schauen Sie mal in meine Unterlagen. Ich bin ganz neu in Deutschland, wie soll ich da Deutsch sprechen?" Doch der Beamte sagte: "Nein, wenn du kein Deutsch kannst, komme wieder und bringe einen Dolmetscher mit!" Ich bin zu verschiedenen Sozialverbänden gegangen und habe um Hilfe gebeten. Aber leider hat mir niemand geholfen, weil ich keinen Aufenthaltstitel hatte. Deshalb habe ich mir gesagt: "Okay, wenn mir niemand hilft, muss ich mir selber helfen." Ich konnte ja ein bisschen Deutsch verstehen und schließlich habe ich einen Kurs bekommen und Deutsch gelernt. Schon vorher habe ich mich in verschiedenen Flüchtlingsgruppen engagiert, meine Erfahrungen mit jungen Leuten geteilt und ihnen gesagt, wie sie Hilfe bekommen können.

Dazu muss man sehr stark sein und Hoffnung haben. Woher haben Sie die Stärke und Hoffnung genommen?

Von meinen Eltern, die auch hier leben. Und ich habe einfach gesehen, dass viele Menschen Hilfe brauchen, andere aber keine Zeit haben zu helfen und es auch nicht verstehen. Doch wenn Du jemandem hilfst, und er ist dann froh und lacht und bedankt sich, dann ist das eine große Motivation.

Stellen Sie sich vor, eine junge Frau, ein junger Mann, 18 Jahre alt, aus Afghanistan ist ohne Eltern, ohne Verwandte nach Deutschland gekommen. Die fragen Sie nun um Rat. Was sagen Sie denen?

Ich sage ihnen: Du musst kämpfen, aber Stück für Stück. Du musst ein Praktikum machen und es nicht abbrechen. Du musst die Schule weitermachen, sie zu Ende bringen, eine Ausbildung machen, bis zum Schluss durchhalten. Du kannst nicht sofort zur Arbeit gehen und Geld verdienen. Das musst Du akzeptieren, so läuft das System. Du musst überlegen und herausfinden, was Dein Ziel ist. Wenn Dein Ziel eine Ausbildung zum Automechaniker oder als Verkäuferin ist, dann musst Du dranbleiben, aber Du kannst es nicht sofort haben. Ich sage ihnen: Wenn Du zu keiner Veranstaltung gehst, wenn Du in Deiner Stadt zu keiner Gruppe gehst, dann wirst Du auch sonst keinen Erfolg haben, zum Beispiel, was Deine Deutschkenntnisse betrifft oder einen Ausbildungsplatz.

Haben diese Worte eine Wirkung?

Ich bekomme immer wieder Nachrichten: "Danke, ich habe es jetzt geschafft", oder: "Es funktioniert", "Ich habe einen Ausbildungsplatz gefunden". Das ist ein Zeichen, dass es auf jeden Fall manchmal funktioniert.

Was mir in unserem Gespräch aufgefallen ist: Sie haben eine enorme Energie und große Freude daran, sich zu beteiligen, sich einzumischen. Was können Sie tun, um diese Energie auf andere Menschen zu übertragen?

Wenn ich junge Leute aus Deutschland, Europa oder auch aus Afghanistan treffe, fällt mir auf: Viele denken, dass Geld alles ist. Das ist nicht meine Meinung. Nein, Menschlichkeit ist alles. Man muss den anderen respektieren und unterstützen. Das ist Glück und wenn man auf die Menschlichkeit achtet, dann bekommt man viele Kontakte und viele Chancen, die bringen dann ja auch Geld. Ich habe viel freiwillig gearbeitet und dafür Respekt bekommen und heute habe ich eine gute Arbeit und einen Arbeitsvertrag.

Viele Menschen wollen ganz schnell etwas erreichen und das funktioniert dann oft nicht so gut.

Genau. Dazu kommt, dass junge Menschen oft nicht gefragt werden. Ich hatte ein Interview wegen der Krawallnacht. Journalisten haben mich gefragt: "Warum machen junge Leute in Stuttgart sowas?" Meine Antwort war: "Sie haben viele Probleme und oft hört sie niemand an. Und sie werden auch nur selten eingeladen, sich zu beteiligen." Auch da fehlt es an Geduld.

Was ist der wichtigste Rat für diese jungen Menschen?

Kämpfen, Geduld haben, sich nicht entmutigen lassen, durchhalten!

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