Sie müssen aber auch die Bereitschaft zeigen zu arbeiten, sich weiterzubilden, die Sprache zu lernen, heißt es. Tun sie das nicht?
Ich kenne viele junge Flüchtlinge, die bis jetzt keinen Aufenthaltstitel, keine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis haben. Einen Integrationskurs bekommen sie nicht, solange sie keinen Aufenthaltstitel haben, und dann gibt es auch keinen Deutschkurs. Als ich nach Deutschland gekommen bin, musste ich zwei Jahre warten, bis ich in einen Integrationskurs gekommen bin. Wie soll man da motiviert werden zu arbeiten, die Sprache zu lernen, sich zu engagieren? Das sind Probleme der Regierung, nicht der Menschen.
Warum haben Sie Afghanistan verlassen und wie wurden Sie in Deutschland aufgenommen?
Zuletzt habe ich in Afghanistan an einem Projekt der Europäischen Kommission gearbeitet, das sich mit den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 befasste. Da war ich Medienvertreter, das war meine letzte Arbeit in Kabul. Wegen der Sicherheit konnte ich dann nicht mehr dort leben und bin nach Deutschland gekommen. Zuerst war das sehr schwer. Ich konnte nicht lesen, nichts verstehen, ich konnte nicht reden. Ein paar Monate habe ich gewartet, dass vielleicht jemand zu mir kommt und fragt: "Was willst Du, mit was willst Du anfangen, was brauchst Du?" Aber leider kam niemand, und es ging mir nicht gut. Ich erinnere mich noch an meine erste Woche in Stuttgart. Ich war im Ausländeramt und man wollte, dass ich Deutsch rede. Daraufhin sagte ich: "Schauen Sie mal in meine Unterlagen. Ich bin ganz neu in Deutschland, wie soll ich da Deutsch sprechen?" Doch der Beamte sagte: "Nein, wenn du kein Deutsch kannst, komme wieder und bringe einen Dolmetscher mit!" Ich bin zu verschiedenen Sozialverbänden gegangen und habe um Hilfe gebeten. Aber leider hat mir niemand geholfen, weil ich keinen Aufenthaltstitel hatte. Deshalb habe ich mir gesagt: "Okay, wenn mir niemand hilft, muss ich mir selber helfen." Ich konnte ja ein bisschen Deutsch verstehen und schließlich habe ich einen Kurs bekommen und Deutsch gelernt. Schon vorher habe ich mich in verschiedenen Flüchtlingsgruppen engagiert, meine Erfahrungen mit jungen Leuten geteilt und ihnen gesagt, wie sie Hilfe bekommen können.
Dazu muss man sehr stark sein und Hoffnung haben. Woher haben Sie die Stärke und Hoffnung genommen?
Von meinen Eltern, die auch hier leben. Und ich habe einfach gesehen, dass viele Menschen Hilfe brauchen, andere aber keine Zeit haben zu helfen und es auch nicht verstehen. Doch wenn Du jemandem hilfst, und er ist dann froh und lacht und bedankt sich, dann ist das eine große Motivation.
Stellen Sie sich vor, eine junge Frau, ein junger Mann, 18 Jahre alt, aus Afghanistan ist ohne Eltern, ohne Verwandte nach Deutschland gekommen. Die fragen Sie nun um Rat. Was sagen Sie denen?
Ich sage ihnen: Du musst kämpfen, aber Stück für Stück. Du musst ein Praktikum machen und es nicht abbrechen. Du musst die Schule weitermachen, sie zu Ende bringen, eine Ausbildung machen, bis zum Schluss durchhalten. Du kannst nicht sofort zur Arbeit gehen und Geld verdienen. Das musst Du akzeptieren, so läuft das System. Du musst überlegen und herausfinden, was Dein Ziel ist. Wenn Dein Ziel eine Ausbildung zum Automechaniker oder als Verkäuferin ist, dann musst Du dranbleiben, aber Du kannst es nicht sofort haben. Ich sage ihnen: Wenn Du zu keiner Veranstaltung gehst, wenn Du in Deiner Stadt zu keiner Gruppe gehst, dann wirst Du auch sonst keinen Erfolg haben, zum Beispiel, was Deine Deutschkenntnisse betrifft oder einen Ausbildungsplatz.
Haben diese Worte eine Wirkung?
Ich bekomme immer wieder Nachrichten: "Danke, ich habe es jetzt geschafft", oder: "Es funktioniert", "Ich habe einen Ausbildungsplatz gefunden". Das ist ein Zeichen, dass es auf jeden Fall manchmal funktioniert.
Was mir in unserem Gespräch aufgefallen ist: Sie haben eine enorme Energie und große Freude daran, sich zu beteiligen, sich einzumischen. Was können Sie tun, um diese Energie auf andere Menschen zu übertragen?
Wenn ich junge Leute aus Deutschland, Europa oder auch aus Afghanistan treffe, fällt mir auf: Viele denken, dass Geld alles ist. Das ist nicht meine Meinung. Nein, Menschlichkeit ist alles. Man muss den anderen respektieren und unterstützen. Das ist Glück und wenn man auf die Menschlichkeit achtet, dann bekommt man viele Kontakte und viele Chancen, die bringen dann ja auch Geld. Ich habe viel freiwillig gearbeitet und dafür Respekt bekommen und heute habe ich eine gute Arbeit und einen Arbeitsvertrag.
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