NGOs, Unterstützer:innen aus vielen Bereichen von der katholischen Kirche bis zur Diakonie, Ärzte ohne Grenzen, Entwicklungspolitiker:innen oder die Flüchtlingsräte sind entsetzt über die Beschlüsse. Mehrere Petitionen dagegen sind bereits angelaufen. Gerald Knaus, der österreichische Soziologe und anerkannter EU-Migrationsexperte, sieht mit dem Kompromiss kaum Möglichkeiten, die irreguläre Migration zu reduzieren, sondern erwartet weiter illegale Pushbacks, Gewalt und Sterben im Mittelmehr. Mit ins Zentrum der Kritik rückt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Wegen ihrer Zustimmung insgesamt und weil sie die Einigung versteht als Möglichkeit, um zu verhindern, "dass es wieder zu Zuständen an den EU-Außengrenzen wie in Moria kommt". Die katastrophalen Verhältnisse in dem griechischen Elendslager seien seinerzeit doch "zur Abschreckung politisch so gewollt gewesen", kontert "Pro Asyl", prangert den "Ausverkauf der Menschenrechte" an und dass "effektive Solidarität im Sinne von Umverteilung von Geflüchteten in Europa in der Reform gar nicht vorgesehen ist".
Tatsächlich müssen Polen oder Ungarn dabei auch künftig nicht mitmachen. Dennoch kommt viel Kritik aus beiden Ländern, wiewohl sie an einem ebenfalls beschlossenen Umverteilungsmechanismus unbeteiligt sind. Jedoch hat ein EU-Mitglied, das sich raushält, zu zahlen. Diese Idee sei bereits früher "wie ein Kartenhaus zusammengefallen", so der polnische Europaminister Szymon Szynkowski vel Sek (PiS, Partei Recht und Gerechtigkeit), weil nicht umsetzbar. Außerdem habe sein Land, twitterte er, die größte Flüchtlingskrise nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich bewältigt und 1,6 Millionen Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Österreich will ebenfalls keine jener Geflüchteten aufnehmen, die die Verfahren in den Grenzlagern künftig erfolgreich durchlaufen haben. Es gehe nämlich "jetzt darum, wie wir entlastet werden", sagt ÖVP-Innenminister Gerhard Karner. Zwei Stellungnahmen, die andererseits nicht einfach von der Hand zu weisen sind: Polen ist tatsächlich vorbildlich aufnahmebereit, wenn es um Ukrainer:innen geht. Andere Flüchtende allerdings lehnt das Land ab. Und in Österreich wurden seit 2021 im Verhältnis zur Einwohnerzahl fast dreimal so viele Asylanträge gestellt wie in der Bundesrepublik.
Grüne bedauern, Rechte frohlocken
Koalierende Grüne treibt die Zustimmung der Regierungen zum Asylkompromiss in ein Dilemma: Sie können sich einerseits gegenüber ihren Partner:innen nicht durchsetzen und handeln sich andererseits erst recht Kritik von allen Seiten ein, wenn sie jetzt versuchen, über das EU-Parlament doch noch Korrekturen durchzusetzen. Erik Marquardt, der als Fotojournalist die Leidenswege Flüchtender dokumentiert, ist EU-Abgeordneter aus Berlin-Treptow-Köpenick und nennt den Kompromiss ein "großes Trauerspiel". Die "Strategie der Rechtspopulisten" sei aufgegangen, sagt er in einem Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau" und, dass die Ja-Stimme Deutschlands nicht vom Koalitionsvertrag – an dem er mitgearbeitet hat – gedeckt sei. Auch Michael Bloss, Stuttgarts Abgeordneter in Brüssel und Straßburg, gehört zum linken Flügel der Grünen. Der allerdings hat keine Mehrheiten, auch nicht im berühmten Sechser-Rat aus Partei- und Fraktionsspitze sowie Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck. Verlangt werden jetzt strukturelle Änderungen, um die Mehrheitsverhältnisse dort auszugleichen.
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chr/christiane
am 16.09.2023United4rescue
"Skandalös: Auswärtiges Amt kürzt Gelder für die Seenotrettung--17.7.2023
Zitat:
"Der Bundestag hatte Ende 2022 entschieden, dass United4Rescue von 2023 bis 2026 jährlich mit zwei Millionen Euro aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes gefördert werden solle.
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