Demz ist nun Erntehelfer, wie so viele Migranten aus Afrika, die sich in die Illegalität flüchten, weil sie in Deutschland kaum Asyl bekommen. Wir sind lose in Kontakt, senden uns Grüße, anfangs auf Deutsch, später auf Englisch. Er schickt Fotos von Plantagen, von einem Lagerfeuer am Morgen kurz vor Arbeitsbeginn. Manchmal klingt er verzweifelt, schreibt, dass er zurück will nach Deutschland. Einmal streiten wir, weil ich mit urdeutschem Background nicht verstehen kann, warum er freiwillig papierlos in Spanien lebt, entrechtet und abhängig von Obstfarm-Besitzern, anstatt in Gambia zwar nicht reich, dafür aber befreit.
6.11.2019, 1 Uhr 12: "Es tut mir sehr leid, dass ich nicht auf deine Nachricht antworte, aber ich bin sauer auf dich. Ich kann nicht ohne einen Beruf nach Gambia zurückkehren. Ich brauche eine Fähigkeit für meine Zukunft und meine Zukunft ist in Europa. Es tut mir leid, aber das ist mein Traum. Ich werde jetzt versuchen, hier legal zu sein." Sein Traum kommt immer wieder vor in unseren Gesprächen. Der Traum, eine Lehre bei Daimler zu machen. Auf der Berufsschule in Sindelfingen war er zum Greifen nahe.
Corona trifft Spanien hart, strikte Ausgangssperre. Es gibt keine Jobs für Erntehelfer, Demz und seine Kollegen leben sieben Wochen in einer kleinen Wohnung. Er habe seine ganze Freude verloren, schreibt er, weil er dauernd Nachrichten schaue. Als die Ausgangssperre vorbei ist, geht er lange spazieren. "Die Welt sieht plötzlich ganz anders aus. In den Parks ist das Gras ganz hoch gewachsen. Ich bin froh, dass es vorbei ist."
Dann erzählt er mir seine Geschichte, über Wochen, in dutzenden Nachrichten.
Die Reise
"Anna, this is a sad story. I sometimes see it as how we watch other movies. This will forever remain in my memory. It was a crazy journey."
Demz kommt aus dem kleinsten Land in Afrika. Aufgewachsen unter Diktator Jammeh, losgezogen 2015 mit einem Buch, einer Hose und einem Hemd in der Tasche und seinem Traum im Herzen. "Ich hatte nicht viel dabei, weil ich wusste, ich werde auf dem Weg alles verlieren", schreibt er.
"Es war eine verrückte Reise. Manchmal wundere ich mich, wie ich da lebend rausgekommen bin. Ich bin mit einem Freund losgegangen. Von Gambia nach Kaolack im Senegal, von dort sind wir mit dem Bus nach Mali gefahren. Es war ein schlimmer Tag. Ich habe mich gefreut und war gleichzeitig sehr traurig, weil ich nicht wusste, ob ich jemals zurückkomme. In meinem Kopf war alles durcheinander. Und es war wahnsinnig heiß in diesem Bus.
Gewalt
Ich habe sehr viel Brutalität erlebt auf dem Weg. Vor allem an den Checkpoints. Die Migranten waren ein lukratives Geschäft. Im Senegal haben sie das erst spät erkannt, aber in Burkina Faso und Niger gab es viele Checkpoints. Leute, die den Übergang nicht zahlen konnten, haben sie verprügelt oder in eine Zelle gesteckt.
Im Bus war es schrecklich. So viele Menschen mit unterschiedlichem Background. Es war überfüllt und jeder wollte irgendwie bequemer sitzen. Da wurde versucht zu klauen, man wurde beleidigt, es kam zu Angriffen. Es war unglaublich weit und unser Bus in schlechtem Zustand. Zweimal hatten wir eine Panne, einmal in der brennenden Sonne in der Wüste. Ich dachte, ich sterbe.
In Burkina Faso saß ich selbst in einer Zelle. Manchmal haben sie jemanden rausgeholt, der nicht zahlen konnte, haben ihn aus Spaß verprügelt und laufen lassen. In Zoula, auch in Burkina Faso, sind wir 23 Tage in einem Haus festgehalten worden, ich habe 23 Tage die Sonne nicht gesehen. Ein Schmuggler hatte uns in ein Versteck gelockt und ist nur gekommen, um Leute zu holen, die auf seiner Rinderfarm arbeiten mussten.
Wüste
Vor der Wüste hatte ich Angst, weil ich wusste, dass sich manche verirren und sterben. Du weißt nicht, wo du bist. Keine Bäume, keine Häuser, du hast keine Ahnung, wo es lang geht oder was als nächstes passiert. Das weiß nur der Fahrer.
Man kann lange aushalten ohne Essen, aber wir hatten zu wenig Wasser dabei. Manche hatten nur Milchpulver und Garri. Garri ist ein Gericht aus Nigeria, man isst es mit Milch und Zucker, nicht als Pulver. Je müder und durstiger wir waren, desto schlimmer wurde es. Nachts haben wir ohne Decken auf kalten Felsen geschlafen. Und die ganze Zeit ist dein Gesicht voller Sand. Sowas will ich nie wieder erleben.
Auf so einer Reise passieren viele schlimme Dinge. Aber überall, in Verstecken oder an Haltestationen, habe ich nette Menschen getroffen. Welche, die jeden zum Lachen gebracht haben. Das hat mir immer gezeigt: es werden leichtere Zeiten kommen. Geduld ist das wichtigste auf so einer Reise. Geduld hat mir meine Mutter beigebracht. Sie sagt, mit harter Arbeit und Geduld wirst du deine Träume erreichen. Geduldig zu sein hat großen Einfluss auf ein Leben.
Libyen
Libyen war die Hölle. Ein völlig wahnsinniges Land! Ich hatte das Gefühl, dort besitzt jeder eine Waffe. Es gab jede Art von Misshandlung, die man sich vorstellen kann. In Sabha sind wir gekidnappt worden. Wir saßen in einem Haus fest mit einem Zaun drumherum. Am zweiten Tag ist einer von uns über das Dach nach draußen geklettert, hat die Tür aufgebrochen und wir sind abgehauen. Manche wurden geschnappt, ich habe es mit sechs anderen geschafft.
Von dort waren es noch ein paar Tage bis Tripolis. Ein Boot zu bekommen war stressig, es war großes Gedränge, weil keiner zurückgelassen werden wollte. Uns wollten sie auch nicht mitnehmen, dabei waren wir nur ein paar Leute. Wir sind dann ins Meer gelaufen und kamen doch noch mit. Es waren unglaublich viele Boote auf dem Wasser.
Am 30. Mai 2015 bin ich gerettet worden. Ich war die 24. Person, die das deutsche Rettungsschiff betreten hat. Ich bin den Deutschen unendlich dankbar. Sie haben so viele Leben gerettet an diesem Tag.
Europa
Als ich in Europa ankam, war ich glücklich. Aber nach einer Woche wusste ich, dass es schwer werden würde. In Sardinien wurden wir verschiedenen Lagern zugeteilt. Meines war schlimm runtergekommen, in einer Halle lagen Matratzen auf dem Boden. Es gab weder Toiletten noch Duschen. Sie haben uns dann draußen ein ungeschütztes Bad gebaut. Ich war eine Woche dort, ohne Schuhe, bis ich welche in Größe 45 bekommen habe, die waren viel zu groß. Das war lustig.
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Susanne Jallow
am 17.07.2021Es göbe auch weniger dieser traurigen Geschichten, wenn die jungen Reisenden denen glauben würden, die ihnen erzählen, dass sie nicht einfach zu Arbeit und Ausbildung kommen,…