Es ist Donnerstagvormittag im Zimmer F 108 der Gottlieb-Daimler-Schule (GDS), grüne Tafel, graue Tische, Overhead-Projektor, ein paar Plakate mit einem Regelwerk hängen an den Wänden: Wer krank ist, meldet sich ab, wir sind freundlich zueinander. Daneben hängen Fotos der Klasse auf einer Wiese. 19 Schüler, zwischen 15 und 17 Jahre alt, in zwei sauberen Reihen. Es ist eine gut gelaunte Gemeinschaft aus allen Ecken der Welt, das Zimmer möchte fast bersten vor Energie, und kein Mensch würde auf den ersten Blick vermuten, dass die, die hier sitzen, Krieg, Gewalt, Armut und Elend noch gar nicht so lange entronnen sind.
"Wie heißt diese Klasse hier?", fragt Warth. "Vabo 1", sagt Hamdi, springt auf, setzt sich wieder, er ist der Klassenclown.
Vabo - das heißt: "Vorqualifizierung Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen". Ein Orientierungsjahr mit Mathe, Gemeinschaftskunde, Werken, Praktikum und vor allem Deutschunterricht. Angelo kommt aus Italien. Aldijana kommt aus den USA, Judi aus Syrien, Moudar auch, Valmir kommt aus Albanien, Sebastian aus dem Irak, Toni aus Gambia. Manche haben Gymnasialniveau, andere kennen noch nicht einmal das Alphabet. Sie leben in Sammelunterkünften, in Pflegefamilien, in Wohngruppen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Sindelfingen, Magstadt, Maichingen. Es klingt poetisch, wie sie in dieser Klasse "Dettenhausen" oder "Oberjesingen" aussprechen.
Warth ist ihr Lehrer an diesem Tag. Seit 20 Jahren ist er an der Schule, 48 Jahre alt, keiner der Hurra-willkommen-Schreier, eher ein Pragmatiker mit einer gesunden Portion Herzenswärme.
Der Andrang auf die Vorbereitungsklassen ist riesig
Ende der Neunzigerjahre gab es schon mal Vorbereitungsklassen in der GDS, für die Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovokrieg. Mit den Jahren wurden sie immer weniger wichtig, verschwanden schließlich ganz, bis vor zwei Jahren das Kultusministerium anrief und nachfragte, ob Warth zehn Roma-Schülerinnen aufnehmen könne. Mittlerweile gehen 48 junge Flüchtlinge aus allen möglichen Ländern auf seine Schule. Drei Vorbereitungsklassen sind voll, und der Andrang so groß, dass Wolfgang Warth jedes Mal das Herz bricht, wenn er einen Jugendlichen ablehnen muss, für den es keine Kapazität mehr gibt.
Drei Lehrer hat er in den vergangenen zwei Jahren eingestellt und braucht eigentlich weitere Deutschlehrer, Sonderpädagogen und noch eine Fachkraft für die Alphabetisierung. Ungefähr 600 mit der Kompetenz Deutsch als Fremdsprache fehlen im ganzen Land für derzeit insgesamt 2000 Vorbereitungsklassen – 300 an Berufsschulen, 1600 an allgemeinbildenden Schulen. Von den 900 zusätzlich eingestellten Lehrern in diesem Schuljahr, teilt das Kultusministerium auf Anfrage mit, seien 562 alleine für die Vorbereitungsklassen, weiter 600 sollen im Schuljahr 2015/2016 eingestellt werden. Und weil der Lehrermarkt momentan so gut wie leer gefegt ist, hat Kultusminister Andreas Stoch erst vor drei Wochen 30 000 Pensionäre angeschrieben. Die Rückmeldungen laufen gerade ein. Wolfgang Warth hat selbst einen Kollegen im Ruhestand angesprochen. Wenn der mitmacht, gibt es Klasse Vabo 4 an der GDS 1.
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