An Medizinmännern ist kein Mangel. Europa stehe am Scheideweg, schreien die einen und verlangen unentwegt nach weniger Staat. Andere, noch gefährlicher, schüren Ängste und predigen Abschottung. Dritte, in Frankreich immerhin rund vier Millionen Wähler und Wählerinnen, begehren auf mit ungültigen Stimmzetteln. "Wir können die Globalisierung nicht abschaffen, wir müssen sie zähmen", sagt ein Anhänger der Bewegung "Vote Blanc" bei einer der zahllosen Straßenumfrage in Paris, wo 90 Prozent der Wähler und Wählerinnen für den Ex-Banker Macron gestimmt haben.
Wer zähmt hier wen? Im Praxistest zu betrachten sind in Europa derzeit zwei Extremvarianten. Die eine, in Griechenland, sorgt regelmäßig für Schlagzeilen: Immer neue Sparrunden führen zu immer neuen Problemen, sinnlose Privatisierungen machen den Staat noch ärmer als er ohnehin schon ist. In diesen Tagen muss Premier Alexis Tsipras unter vielem anderen die 23. Rentenkürzung durchsetzen, und in den Schulen soll das kostenlose Mittagessen gestrichen werden. Das Land befinde sich in einer "demütigenden Vormundschaft", sagt der Sozialist. Und die Geldgeber spielen mit dem Feuer, wenn sie auf baldige Neuwahlen und einen Machtwechsel hoffen – in einem Land, in dem Rechtsnationalisten großen Zuspruch haben und 60 Prozent der Menschen unter 30 finden, die EU nehme zu großen Einfluss auf die griechische Politik.
Den Gegenentwurf liefert Portugal, und der ist so erfolgreich, dass die bürgerlichen Kassandrarufer erst einmal Abbitte leisten und zurückrudern müssten. "Das klingt phantastisch", schrieb die FAZ im Spätherbst 2016, als die neue Regierung in Lissabon ihre ersten Pläne präsentiert hatte, und der Sarkasmus quoll zwischen den Zeilen hervor. Die Rede war gar von einem "Bündnis wider die Natur", gestützt durch "zwei kommunistische Krücken", denn Altstalinisten und Marxisten sind mit von der Partie und erstmals seit der Nelkenrevolution 1974 koalieren Kommunisten und Sozialisten. Da durfte natürlich auch die Prognose nicht fehlen, dass der neue Ministerpräsident António Costa das Land alsbald in Neuwahlen stürzen könnte.
Der Brandstifter spielt Feuerwehrmann
Es kam aber, jedenfalls bisher, ganz anders, als die Kritiker sich und ihrer Leserschaft ausgemalt hatten. Kein "neues Griechenland", wie die "Wirtschaftswoche" orakelt hatte, keine "zusätzlichen Belastungen für die Stabilität des Aufschwungs", die die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in ihrem Länderreport Ende 2015 vorhersagte. Kein geplatztes Bündnis, keine Neuwahlen, und nicht einmal der geweissagte Ärger bei der EU. Stattdessen demonstriert Costa, der frühere Lissabonner Bürgermeister, Alternativen zur Austeritätspolitik. Und selbst die KAS registriert mittlerweile die "politische Stabilität und Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung": Da Portugal momentan gute Aussichten habe, "drei Jahre in Folge ein Defizit von weniger als drei Prozent des Sozialprodukts zu erreichen, wird es demnächst von der EU von dem Defizitverfahren ausgenommen".
Keine 18 Monate nach ihrem Amtsantritt fährt die historische Koalition bereits wichtige Teile ihrer Ernte ein. Fast 80 Milliarden Euro mussten Internationale Währungsfond und europäische Partner zwischen 2011 und 2014 zuschießen, um eine Staatspleite abzuwenden. Inzwischen sind die ersten Milliarden zurückgezahlt, Sparziele übererfüllt und einzelne ökonomische Daten, etwa das Wirtschaftswachstum, besser als in Deutschland. Natürlich hält das Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht davon ab, die Regierung gebetsmühlenhaft zu kritisieren. "Wie jeder weiß, ist der deutsche Finanzminister ein Brandstifter, der sich als Feuerwehrmann zu präsentieren versucht", musste er sich kürzlich von Sozialistenchef Carlos César sagen lassen. Das Haushaltsdefizit ist so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr, und die Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück.
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