Der schwungvolle Schritt lässt sich noch erahnen. Und doch bewegt sich Mustafa Kuleli in seinem legerem Mantel und Nike-Sneakers schwerfällig, ganz so, als würde er eine gewaltige Last auf den Schultern tragen. Erst 31 Jahre alt ist der Generalsekretär der Gewerkschaft TGS, die etwa 1000 türkische JournalistInnen vertritt. Und obwohl er sich um ein Lächeln bemüht, sind seine Gesichtszüge gezeichnet von Sorge, als er am vergangenen Donnerstag am Stuttgarter Flughafen ankommt. In Deutschland will er berichten über die katastrophale Lage seiner KollegInnen in der Türkei.
Ob er überhaupt offen reden kann? Muss er nicht befürchten, ebenfalls unter Druck zu geraten, wenn er sich kritisch gegenüber der Regierung und Präsident Erdoğan äußert? Kuleli schnaubt unwillkürlich auf. Er gehe "natürlich davon aus", dass jede seiner öffentlichen Äußerungen überprüft wird, schließlich "sind die Geheimdienste hier in Deutschland ja stark aufgestellt". Im Grunde sei es aber völlig gleichgültig, wie er sich äußere. "Es ist wie in einer Lotterie", sagt er: "Wenn dich die Regierung aus dem Weg räumen will, findet sie einen Vorwand. Ganz egal, was du gesagt oder getan hast." Gut möglich, sagt er, dass er beim Versuch der Wiedereinreise in die Türkei festgenommen werde. Mutig findet Kuleli das, was er tut, aber nicht. Mutig seien die Journalisten, die Skandale aufdecken, obwohl sie wissen, was sie erwartet. Er sagt sogar: "Wer als türkischer Journalist noch nie im Gefängnis war, ist kein richtiger Journalist." Das sei wie eine Art Diplom, eine Bescheinigung für gute Arbeit. Er selbst wurde noch nie inhaftiert. Fügt aber, mit einer gehörigen Portion Galgenhumor, hinzu: "Immerhin arbeite ich daran."
Neben rund 170 oppositionell orientierten Medien, die seit dem Putschversuch am 16 Juni 2016 verboten oder von der Regierung übernommen wurden, würde eine kritische Berichterstattung vor allem durch Selbstzensur verhindert, erzählt Kuleli und schildert eine Atmosphäre der Angst: "Wer als PKK- oder Gülen-Anhänger gebrandmarkt wird, findet nie wieder einen guten Job." Deshalb würden heikle Themen meist ausgespart. Einen Schutz vor der Willkür bedeutet das allerdings nicht. Ein Bekannter von Kuleli, gerade erst 24 Jahre alt, war Kameramann bei einem kurdischen Sender, der inzwischen verboten ist. Eine Anstellung hat er keine mehr gefunden, seit er grundlos das Etikett "Terrorsympathisant" trägt. Nun bemüht er sich, als Selbstständiger über die Runden zu kommen, indem er Honig verkauft.
"Keine Gnade mit diesen Winselern"
Von rund 20 000 JournalistInnen haben nach dem Putschversuch circa 4000 ihre Arbeit verloren. Wer seine Stelle behalten hat, verdient bei Printmedien durchschnittlich 400 Euro im Monat. Das entspricht etwa der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens in der Türkei – und der Miete für eine ordentliche Wohnung in Istanbul. Beim Fernsehen wird besser gezahlt. "Aber hier hat man nur als Freund der Regierung eine Chance", erzählt Kuleli. Große Teile der Bevölkerung seien auf Schwarzarbeit angewiesen. Nicht nur JournalistInnen. Rund 150 000 Menschen sind seit dem Putschversuch durch Dekrete und sogenannte "Säuberungen" entlassen worden. Dutzende von ihnen begingen daraufhin Selbstmord. Präsident Erdoğan ruft in Reden derweil dazu auf, "<link http: www.sueddeutsche.de kultur tuerkische-chronik-xxxviii-wie-weit-kann-man-die-grausamkeit-noch-treiben-1.3490639>ja nie Gnade mit diesen Winselern" zu zeigen. Um jeden Preis, erklärt Kuleli, solle Loyalität zum Regime erzwungen werden. "Wenn sich Hunde schlecht verhalten, bekommen sie Prügel. So behandelt der Präsident sein Volk."
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