Vor allem aber ist das Land gespalten in zwei noch ganz andere Lager: auf der einen Seite jene, die mit Vernunft und Realitätssinn auf die unbestreitbaren Probleme reagieren – darunter höhere Arbeitslosigkeit als gewohnt –, darüber jedoch die Errungenschaften von mehr als 60 Jahren Stabilität nicht aus den Augen verlieren. Und auf der anderen Seite die, die am liebsten das sogenannte System demolieren würden, die eine pauschale Wut auf Staat und Parteien entwickelt haben und sich in irrationale Ängste vor gar nicht vorhandenen Flüchtlingswellen hineinsteigern.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die Bildung der grün-schwarzen Koalition auch mit der Hoffnung verbunden, auf diese Weise verhindern zu können, dass sich die Alternative für Deutschland (AfD) weiter in die Mitte der Gesellschaft vorfrisst. Auf seiner Stippvisite in Wien zur Unterstützung des langjährigen Parteifreunds Van der Bellen erfuhr er, wie genau das der österreichischen Rechten längst gelungen ist. Hofer, der EU-Kritiker, der Xenophobie schürt, der 2013 im Parlament auftrat mit einer Kornblume im Knopfloch, dem Nazi-Geheimzeichen aus der Zwischenkriegszeit, brachte in der Stichwahl so viele Menschen hinter sich wie kein anderer Rechtspopulist in Europa: ein Rekord der besonderen Art, wahrscheinlich neidisch beäugt von Extremisten in Ungarn, Polen, Tschechien, Frankreich, Holland, Finnland. Und natürlich von Frauke Petry, die es sich nicht nehmen ließ, in der Hoffnung auf einen Sieg eigens zur Wahlparty in den "Wiener Wurschtlprater" anzureisen.
Natürlich warten Hofer und seine Freunde selten mit konstruktiven Vorschlägen zur Lösung von Problemen wie Verteilungsgerechtigkeit, Arbeitslosigkeit oder Staatsverschuldung auf. Aber viel zu wenige nehmen das den Rechtspopulisten übel. Die Realitätsverweigerung der Anhängerschaft geht so weit, dass unstrittig der FPÖ zuzurechnende Affären und Skandale für sie offenbar keinerlei Rolle spielen. Allen voran die Milliardenverluste der Hypo Alpe Adria, die bis heute auf den Steuerzahler durchschlagen. Maßgeblich verursacht wurden die von Jörg Haider, dem damaligen Kärntner Regierungschef und Übervater, der vor acht Jahren nachts volltrunken gegen eine Mauer raste. Ausgerechnet Norbert Hofer ist Vorsitzender eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der sich mit der ebenfalls milliardenschweren Abwicklung der 2007 an die BayernLB verkauften Bank befasst. Seit Jahren kommt Haider in kritischen Rückblicken zahlreicher Medien vor, aber die gelten – ganz ähnlich wie in Deutschland – zwischen Bodensee und Burgenland weithin als Lügenpresse.
Die FPÖ-Anhänger stören sich auch nicht daran, dass die Partei im Vorfeld des zweiten Wahlgangs glatt die Legitimation der Bundespräsidentenwahlen unterminiert. So mahnte Generalsekretär Herbert Kickl bereits in der vergangenen Woche zur Wachsamkeit: Der gewaltige Anstieg bei den Briefwählern werfe einmal mehr die Frage auf, ob bei Verfügungsberechtigung und Auszählung tatsächlich dem Wählerwillen entsprochen werde – "oder ob Helfershelfer des gegenwärtigen Politsystems hier vielleicht die Gelegenheit nutzen könnten, dem Wählerwillen zugunsten des Systemrepräsentanten Van der Bellen 'nachzuhelfen'".
Soziale Medien spielen wichtige Rolle beim Erfolg der FPÖ
Am Wahlabend selber konstruiert Parteichef Heinz-Christian Strache wider besseres Wissen einen angeblich verdächtigen Unterschied zwischen dem Ergebnis ohne die zur Briefwahl verwendeten Wahlkarten – bei dem Hofer vorne lag – und den Hochrechnungen im ORF inklusive Wahlkarten, die ein Patt mit leichten Vorteilen für den Grünen auswiesen. Auf seiner Wahlparty sagt der Kandidat selbst wenige Stunden später – mit einem vielsagenden Augenzwinkern: "Die Wahlkarten werden schon ein bissl eigenartig ausgezählt." Und nach der amtlichen Niederlage inszeniert sich die Partei rund um ihre Entscheidung, die Wahl anzufechten oder nicht. Der Zweck der ganzen Aktion aber ist längst erfüllt, im Netz toben sich die Verschwörungstheoretiker darüber aus, dass das Ergebnis der Wahl ohnehin schon seit Monaten feststehe.
Überhaupt das Netz: Die Rechtspopulisten nutzen die sozialen Medien mehr als alle anderen Parteien, Hofer feierte dieser Tage das 200 000. Like. Zum Vergleich: Winfried Kretschmann, bekanntlich beliebtester Politiker Deutschlands, kommt auf 25 000. Im Netz wird gehetzt, verdreht und unterstellt. Aber nicht nur. Ganz nach dem Vorbild der harten Rechtsaußenszene spielen inzwischen auch Videos und Musik eine wichtige Rolle – Verhetzung allein könnte sich ja totlaufen mit der Zeit.
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Blender
am 02.07.2016