Wer überhaupt noch Guthaben zum Leerräumen hat, kann sich ohnehin glücklich schätzen. Die Arbeitslosigkeit liegt landesweit bei 28 Prozent – hier im strukturschwachen Norden wohl noch höher. Seit dem Ausbruch der Krise vor fünf Jahren haben die Griechen angeblich fast 90 Prozent ihres Geldvermögens verloren. "Angeblich", weil niemand sagen kann, wohin dieses Geld letztlich geflossen ist. Um den Alltag zu finanzieren oder um das Geld aus Griechenland abzuziehen? Gerüchte "über die Reichen, die ihr Geld in die Schweiz gebracht haben", kursieren auch auf dem Wochenmarkt in Drama. Hier kaufen eher die weniger Betuchten ein. Es gibt auf Wühltischen Unterhosen für einen Euro oder "Markenjeans" für zehn Euro. "Die Reichen" sind eine Spezies, die in Drama offensichtlich eher im Verborgenen blühen muss.
Die größte Gruppe an Bankkunden, die noch regelmäßig und vor allem ungeschmälert ihr Geld aufs Konto überwiesen bekommt, sind die ehemaligen Gastarbeiter. Nirgendwo in Hellas ist die Quote der Auswanderer seit einem halben Jahrhundert höher als in den nordgriechischen Bezirken Serres, Drama, Kavalla. Die heutigen Rentner haben seit den 1960er-Jahren überwiegend in Deutschland malocht und finanzieren heute oft zwei weitere Generationen. Wenn diese Nachfahren heute wieder in Griechenland leben, sind die Aussichten genauso miserabel wie für die Hiergebliebenen. "Viele Kinder und Enkel dieser ehemaligen Auslandsgriechen sind von den deutschen Renten abhängig", so der Banker, "spätestens wenn diese Rentner in zehn bis 15 Jahren sterben, gehen hier die Lichter aus."
Dass die Lichter erst mal nicht ausgehen, liegt an Menschen wie Giorgos. Der ehemalige Gastronom aus Soest ("Man spricht es So-Est aus") hat seine Ersparnisse von rund 100 000 Euro in eine Fotovoltaik-Anlage im Hinterland von Drama gesteckt, die 50 Haushalte mit Strom versorgt. Doch seit ihm der Fiskus 75 Prozent seiner Einnahmen abnimmt, ist die Laune im Keller. "Einen Kredit für die Anlage muss ich auch noch abbezahlen, am Ende des Jahres mache ich Minus", sagt Giorgos. Auf die neue Regierung ist der Stromunternehmer schlecht zu sprechen. "Allein schon dieser Varoufakis, dem das Hemd aus der Hose hängt." Kein einziger Reformvorschlag von "diesem Professor aus Australien" habe Aussicht auf Erfolg. "Der verwechselt Griechenland mit seinen Universitäten. Das Problem ist: In dieser Stimmung, wo keiner weiß, was kommt, investiert auch kein Mensch." Eine Einschätzung, die auch das renommierte Wirtschaftsinstitut KEPE teilt. Der Index zur Messung der wirtschaftlichen Unsicherheit hat im vergangenen Februar den bisher höchsten Wert erreicht.
1700 Euro für den Blick auf die Akropolis
Mit Staunen registrieren die Griechen unterdessen die neuesten Versuche der Regierung, Geldquellen zu erschließen. Bislang unantastbare Besitzstände kommen auf den Prüfstand. Dabei legt sich die Links-rechts-Riege auch mit den Fernsehbetreibern an. Hinter den diversen Kanälen stehen undurchschaubare Firmengeflechte, die wiederum den großen Oligarchen "mit ihren zügellosen Aktivitäten" (Tsipras) zugerechnet werden. Die privaten Sender (das öffentliche Fernsehen ERT wurde von der Vorgängerregierung ersatzlos abgeschaltet) sollen in Zukunft Gebühren für die Nutzung des Funknetzes entrichten. Die TV-Macher keilen zurück: Gebühren werden rein vorsorglich mit den jahrzehntelang umsonst ausgestrahlten Wahlwerbespots für die politischen Parteien aufgerechnet. Ende des Streits offen. Eine Zwangsabgabe für die Sender scheint aktuell so aussichtsreich wie Entschädigung für Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht. Aber Tsipras zeigt, dass er nach der Devise "Viel Feind, viel Ehr" operiert.
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The Brain
am 29.04.2015