Ob beim Arbeitskreis Asyl in Stuttgart, bei Veranstaltungen oder unter Nachbarn, Salam Kadir, der "kurdische Schwab", wie er sich selbst bezeichnet, hat immer wieder über die Geschichte der Flucht, des Terrors und der Kriege im Zweistromland berichtet. Nicht aufdringlich, aber er hat Position bezogen. Und diese Geschichte begann vor genau hundert Jahren im ersten Jahre des Ersten Weltkriegs.
1914: Briten marschieren in Basra ein
Damals, Anfang November 1914, landen britische Truppen bei Faw. Die Stadt liegt im heutigen Irak direkt am Wasserweg Schatt al-Arab, der die Grenze zum Iran bildet. Faw (auch Fau oder Fao geschrieben) war die wichtigste osmanische Festung am Persischen Golf. Ende November nehmen die britischen Truppen die Provinzhauptstadt Basra ein. Ziel ist die Besetzung Bagdads und des gesamten osmanischen Teils des Persischen Golfes – vor allem um die Sicherheit der Ölanlagen und den Weg nach Indien zu garantieren.
Doch zunächst halten türkische Truppen die Engländer vom Vormarsch nach Bagdad ab – unterstützt von deutschen Einheiten. Weil die Briten den Arabern die Befreiung von der osmanischen Vorherrschaft und ein arabisches Königreich versprechen, kämpfen sie gemeinsam gegen das von Istanbul aus regierte Großreich. Mit dabei ist ein britischer Agent, T. E. Lawrence, der später "Lawrence von Arabien" genannt wird.
1917 gelingt es britischen Truppen mithilfe von Soldaten aus der indischen Kolonie, Bagdad einzunehmen. Und mit der Eroberung von Damaskus, an der sich auch arabische Einheiten beteiligen, sind die osmanischen Truppen ein Jahr später endgültig aus Arabien vertrieben. Doch dann erfahren Araber und Kurden, dass London und Paris Arabien in einem Geheimabkommen längst aufgeteilt hatten.
42 000 britische Soldaten sind 1918 im Zweistromland, in Bagdad residiert ein britischer Hochkommissar, "politische Offiziere" kontrollieren die Provinzen. Ende 1918 kommt es zu ersten Unruhen. 1919 werden englische Einheiten aus ihren Garnisonen im kurdischen Norden vertrieben. Schiitische Geistliche versorgen ihre Anhänger mit Fatwas, religiösen Rechtsgutachten, wonach der Dienst unter Briten einen Verstoß gegen die Religion darstelle. Als Folge der Aufstände entgleiten London – mit Ausnahme der Großstädte Basra, Mosul und Bagdads – weite Teile des Landes.
Schließlich fliegt die Royal Air Force immer mehr Einsätze, um die Rebellion niederzuschlagen. Unter den Bomberpiloten ist Arthur Harris, der während des Zweiten Weltkriegs als "Bomber-Harris" bekannt werden sollte. Er befehligte Luftangriffe auf Städte wie Hamburg und Dresden. Im November 1920 bricht der Widerstand gegen die Besatzer zusammen. 10 000 Rebellen waren getötet worden. Doch die Geschichte von Aufständen, Terror und Kriegen geht weiter. Und immer wieder fliehen die Menschen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Wie Salam Kadir. Ende der 80er-Jahre hat der junge Kurde vier Jahre lang gebangt, bis er in Stuttgart als Asylant anerkannt wurde. "Erst als ich einen guten Anwalt hatte, kam ich mit dem Folgeantrag durch." Unterstützt haben ihn der Stuttgarter Pfarrer Werner Baumgarten vom Arbeitskreis Asyl und Ehrenamtliche. Sie haben ihm geholfen, Deutsch zu lernen, und bei der Suche nach einer eigenen Wohnung. Und dann hat sich Kadir selbst im AK Asyl engagiert – besonders für Flüchtlinge aus dem Nordirak. Er hat eine kurdische Musikgruppe gegründet, arbeitete für den kurdischen Kulturverein, hat eine Technikerausbildung abgeschlossen und wurde später Lagerleiter einer Versandfirma.
So wurde Salam Kadir zum "Vorzeigeflüchtling", der sogar zu einem Empfang von Bundespräsiden Richard von Weizsäcker mit nach Bonn reisen durfte. Da konnte er dem Staatsoberhaupt zwar nicht die Hand schütteln, doch am Stand der Stuttgarter Gruppe kam immerhin ein Politiker der Grünen vorbei, der damalige hessische Oppositionsführer und spätere Bundesaußenminister Joschka Fischer.
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CharlotteRath
am 03.11.2014Europa und der Nahe Osten ... Diese Geschichte endete nicht in den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ich hoffe auf eine Fortsetzung, um das aktuelle Geschehen - und die…