Wer bitteschön ist Glikl bas Judah Leib? Nie gehört? Und Abraham Picard? Nein, weder mit Tiefseeforscher Jacques noch mit Star-Trek-Käpt'n Jean-Luc verwandt. Oder Alfred Lion und Francis Wolff?
Die letzte Frage können zumindest Jazzliebhaber wohl noch relativ leicht beantworten: Lion und Wolff gründeten 1939 in New York das legendäre Label Blue Note Records, das in den 1950er-Jahren wohl zur wichtigsten Adresse für junge Jazzmusiker wurde darunter Miles Davis, John Coltrane oder Thelonious Monk. Bevor die beiden gebürtigen Berliner Ende der 1930er-Jahre wegen der Nationalsozialisten aus Deutschland emigrierten, hießen sie noch Alfred Löwe und Frank Wolff.
Weit weniger bekannt dürfte der Räuberhauptmann Abraham Picard sein. Anders als sein berühmter Räuberkollege Johannes Bückler alias "Schinderhannes", der zeitweise mit ihm zusammenarbeitete und sich ihm sogar unterordnete, über den im Gegensatz zu Picard allerdings zahlreiche bis heute populäre Romane, Theaterstücke und Spielfilme entstanden. Picard, 1772 in Gent geboren, entstammte einer Familie wandernder "Betteljuden". Die Raubzüge seiner Bande führten ihn von den Niederlanden nach Frankreich, Belgien und in das heutige Deutschland. 1805 wurde er in Hessen gefasst und starb 1807 in einem Marburger Gefängnis.
Und Glikl bas Judah Leib müsste eigentlich Pflichtstoff im Deutschunterricht sein, denn ihre Ende des 17. Jahrhunderts verfassten Memoiren sind die erste bekannte von einer Frau in Deutschland verfasste Autobiographie. Zu erzählen hatte sie viel: Die 1646 oder 1647 in Hamburg geborene Glikl war eine überaus erfolgreiche Geschäftsfrau, sie führte nach dem Tod ihres Mannes Chaim von Hameln dessen Gold- und Diamantenhandel weiter. Dies war einer der wenigen Geschäftszweige, in denen Jüdinnen und Juden vor den Liberalisierungen des 19. Jahrhunderts beruflich überhaupt Fuß fassen durften, da der Handel, anders als das Handwerk, nicht durch Zünfte organisiert war – in die Jüdinnen und Juden nicht aufgenommen werden durften.
Breite Spanne, formal und inhaltlich
Die genannten Personen stehen im Mittelpunkt dreier Episoden aus dem jüngst im Ventil-Verlag erschienenen Sammelband "Nächstes Jahr in". Insgesamt sind darin elf Episoden versammelt, die sich in Comic-Form mit ungewöhnlichen, unbekannten und sehr unterschiedlichen Aspekten jüdischen Lebens in Deutschland auseinandersetzen – vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart. Und die zeigen, wie vielfältig dieses Leben war und ist.
14 ZeichnerInnen und AutorInnen, darunter einige der interessantesten deutschen Comickünstlerinnen wie Barbara Yelin oder Büke Schwarz, konnten dafür gewonnen werden. Weil das Projekt unter anderem von der Stadt Darmstadt und dem Kulturfonds Frankfurt Rhein Main gefördert wurde, legen einige Episoden einen Fokus auf Darmstadt und Hessen, aber auch in diesen weisen die Themen übers rein Lokale hinaus.
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