Sanfte Hügel, weiter Himmel – sehr viel weiter als über Stuttgart –, dazu gepflasterte Sträßchen vor gepflegten zweistöckigen Häusern mit hölzernen, blau gestrichenen Fensterläden: Tengen im Hegau. 4.600 Menschen leben in Tengen und den acht eingemeindeten Teilorten, aus historischen Gründen ist der offizielle Luftkurort "Stadt". Touristen kommen wegen der Wanderwege, Wasserfälle und der Nähe zum Bodensee, zur Schweiz sowie zum Schwarzwald. Hier wurde der Stuttgarter Marian Schreier 2015 mit 70 Prozent zum Bürgermeister gewählt. Gegen drei Gegenkandidaten, zwei davon unbedeutend, einer ein 50-jähriger Politikberater aus der Nähe von Bonn. Die Tengener wollten jemand Neuen für ihre mehr als 700 Jahre alte Kleinststadt. Schreiers Vorgänger war 40 Jahre im Amt gewesen, da ist am Ende nicht mehr viel passiert.
"Wie der hier aufgetaucht ist, hat mich wirklich beeindruckt", erzählt Holger Rohmeyer. Der 70-Jährige führt im Tengener Zentrum das Gasthaus "Zum Schützen", beliebt bei Motorradfahrern und Montagearbeitern und in einer normalen Sommersaison auch bei Italienern, Franzosen, Holländern und Italienern. Denn: "Wir liegen am Rande einer der Haupttouristenrouten Richtung Schweiz", sagt Rohmeyer. Bei ihm im Restaurant habe Schreier vor fünf Jahren Wahlkampfveranstaltungen gemacht. "Mit 25 Leuten hat er gerechnet und dann waren das 120. Vor allem junge. Am Ende haben wir hier zweieinhalb Stunden politisch diskutiert." Der gebürtige Hamburger lebt und arbeitet seit acht Jahren in Tengen, vorher hatte er lange ein Hotel in Niedersachsen, kennt sich aus mit dörflichen Strukturen. Er grinst hinter seiner Corona-Trennscheibe. "Nach der Veranstaltung haben die Honoratioren an ihrem Stammtisch gesagt: 'Ich glaub', ich werde das erste Mal in meinem Leben einen SPDler wählen.'" Der junge Mann könne sehr gut reden, findet der Hotelier. "Und dann sieht er noch so aus, dass jede Mutter sagen würde: Dem gebe ich meine Tochter zur Frau. Das hilft ja auch."
Harmonie im Gemeinderat
Dass der Schwiegermutter-Liebling unter Umständen vor Ablauf der Bürgermeister-Amtszeit in die Landeshauptstadt wechseln würde, stört Rohmeyer nicht. "Ich will ja nicht sagen, dass er hier unterfordert wäre, aber Tengen ist für den auf Dauer zu wenig." Sehr viel mehr als die Zukunftspläne des Bürgermeisters bewegt ihn Corona. Denn trotz Lockdown hatte er bis vor drei Wochen ein noch fast volles Haus. Vor allem wegen der Großbaustelle in Singen, wo ein neues Einkaufszentrum errichtet wird. 2.000 Bauarbeiter seien da beschäftigt gewesen. Bis Corona kam. "Mehr als hundert Infizierte hatten die da. Da war natürlich Schluss mit Bauen." Und mit den Übernachtungen von Arbeitern.
Dieser typische Corona-Ausbruch unter Menschen, die eng beieinander wohnen, traf Tengen auch ganz direkt. Im Teilort Blumenfeld stellte der Bürgermeister ein Wohnheim mit osteuropäischen Bauarbeitern unter Quarantäne. Die sei mittlerweile ausgelaufen, berichtet Marian Schreier auf der Gemeinderatssitzung am vergangenen Donnerstagabend. Wegen Corona finden die Sitzungen in der Randenhalle statt, der örtlichen Sporthalle. Auf dem blassblauen Turnhallenboden steht für jede und jeden der 22 GemeinderätInnen ein eigener Tisch, für zusätzliche Sicherheit sorgen FFP2-Masken. Im Rat sind die Fraktionen CDU/Unabhängige Wähler (6 Sitze), Freie Wählervereinigung (FWV) Randen e.V. (10 Sitze) und SPD/Freie Bürger (6 Sitze) vertreten.
2 Kommentare verfügbar
Schwob vo dr Alb
am 19.11.2020