Einmal im Leben wollte ich etwas aufschreiben ohne Rücksicht darauf, ob die Sache ein Schwein interessiert außer mir. Die ganze Geschichte hatte ich nur erlebt, weil ich zur Befriedigung meiner Neugier auf Google verzichtete. Und jetzt erscheint mir mein Herumtorkeln zwischen Schallplatten und Romanen, von dem ich berichte, als krächzte ich mitten in der Schmierseifenoper des Stuttgarter OB-Wahlkampfs eine Ballade der Selbstbefriedigung ins Leere.
Es war mir peinlich, im Zigarrengeschäft Wolsdorff eine Plastikschachtel Schnupftabak mit Aprikosennote zu kaufen und dann nach Kautabak zu fragen, nur weil ich wissen wollte, ob es Kautabak überhaupt noch gibt. Klar gibt es noch Kautabak, sagte die Verkäuferin, neuerdings sogar wieder ziemlich viel. Immer mehr junge Leute kauften Kautabak. Anscheinend hat sich der Rauch, der verboten wurde und sich verzogen hat, in einen Priem verwandelt.
Grund für meinen Besuch im Zigarrenladen war nicht etwa eine wiederaufflammende Sucht nach Nikotin. Die habe ich schon lange besiegt. Vielmehr hatte mich meine Begegnung mit einem Schriftsteller, Sänger und Musiker aus Nevada dazu gebracht. Erstmals hörte ich von ihm in der Arte-Dokumentation "Stars gegen Trump", ohne gleich zu begreifen, was mir zuvor entgangen war. Der Mann gefiel mir, seine Musik gefiel mir, rasch notierte ich seinen Namen. Irgendwann aber warf ich den Zettel versehentlich weg und vergaß den Mann.
Wochen später landete ich beim Zappen im selben Dokumentarfilm. Die Wiederholung war nicht langweilig. Trump regierte noch immer und noch schlimmer. Diesmal steckte ich den Zettel mit dem Namen des singenden Trump-Gegners aus Nevada in meine Hosentasche und bat meinen Plattenhändler, mir eine Scheibe von Willy Vlautin zu besorgen. Der Plattenhändler ermittelte unter diesem Namen nur ein einziges Album: "Northline".
Tage später legte ich die LP auf und hörte bewegende Folk- und Countrystücke, seltsamerweise aber alle instrumental. Im Innern der Hülle stieß ich dann auf Willy Vlautins Botschaft: Diese Musik habe er während der Arbeit an seinem Roman "Northline" geschrieben und hoffe, dass sie die Stimmung des Buchs spiegle. Bei meiner Buchhändlerin erfuhr ich, dass "Northline" vergriffen war. Damit konnte die Geschichte aber nicht beendet sein.
Ich bestellte mir Willy Vlautins vorrätigen Romane "Motel Life" sowie "Ein feiner Typ". Und aus sportlichen Gründen verzichtete ich weiterhin, in der Sache Willy Vlautin online zu ermitteln. Scheiß auf Google. Stattdessen ließ ich mir von einem seriösen Internetvertrieb für ein paar Euro "Northline" schicken. Der Klappentext klärte mich auf: Willy Vlautin ist Sänger und Songschreiber der Folkrockband Richmond Fontaine und hat mit seinem Romandebüt "Motel Life" einen internationalen Erfolg gefeiert. Die ganze Welt schien Willy Vlautin zu kennen. Nur ich nicht.
Wieder ging ich zum Plattenhändler, um mir aufs Geratewohl zwei Alben von Richmond Fontaine zu ordern. Als ich Tage später zuerst die LP "Don't Skip Out On Me" auflegte, staunte ich nicht schlecht: Auch diesmal waren nur Instrumentalstücke zu hören. Willy, sagte ich, du scheinst mir ein seltsamer Sänger zu sein. Einer, der nicht singt. Erst bei näherem Hinsehen fiel mir auf, dass er auch diesmal, auf der Rückseite des Covers, auf den Soundtrack zu seinem gleichnamigen Roman hinwies.
Okay, Willy, sagte ich, schone meinetwegen deine Stimme, zum Glück habe ich ja eine weitere Scheibe, nämlich die mit dem unschlagbaren Titel "You Can't Go Back If There's Nothing To Go Back To". Auf diesem Album ist auf jeder Nummer ein Sänger zu hören, und dessen stilvoll angeraute Stimme gehört zweifelsfrei Willy Vlautin.
Noch mal okay, sagte ich, viele Amerikaner brauchen mehrere Jobs zum Überleben. Dann nahm ich mir seinen Roman "Ein feiner Typ" vor. Diese Geschichte von einem alternden Farmer und einem jungen Mann, der in die Stadt geht, um Profiboxer zu werden, begeisterte mich von Seite zu Seite mehr. Eines der Bücher, von denen man nicht genug kriegt. Es geht um Freundschaft, ums Verlieren, um den Abschied vom amerikanischen Traum und um den letzten Rest einer Hoffnung auf Amerika.
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Wolfgang
am 18.11.2020