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Ausstellung

Politik und Poesie

Ausstellung: Politik und Poesie
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Seit 25 Jahren unterrichtet Cordula Güdemann an der Stuttgarter Kunstakademie eine Malklasse. Aus diesem Anlass präsentiert die Galerie AbtArt in Stuttgart-Möhringen die Werke von 22 ehemaligen und heutigen Studierenden.

In einer Ausstellung von KunststudentInnen in Bonn stieß der Kunsthistoriker Eike Schmidt vor fünf Jahren auf Tesfaye Urgessa. Wenig später wurde Schmidt Direktor der Uffizien, des Museums in Florenz mit einigen der weltberühmtesten Kunstschätzen. So kam es, dass der äthiopische Künstler im Palazzo Pitti und auf der Biennale von Venedig ausstellte. Spätestens von da an war Urgessa, der in Nürtingen lebt, weit über die Region Stuttgart hinaus bekannt.

"Gerade einige, die nicht von hier sind, haben momentan relativ viel Erfolg", sagt Cordula Güdemann, Professorin an der Stuttgarter Kunstakademie, über ihre früheren Studierenden, die derzeit in der Galerie AbtArt in Stuttgart-Möhringen ausgestellt sind. Zu diesen gehört auch Xianwei Zhu, der zunächst in Shandong und Hangzhou studiert hat, bevor er von 2003 bis 2008 nach Stuttgart in Güdemanns Klasse kam. Dort fand er, von der chinesischen Landschaftsmalerei ausgehend, zu einer abstrakteren Ölmalerei.

"Die haben alle ihr Studium selbst verdient", betont Güdemann mit Blick auf ihre früheren Studierenden aus Ländern außerhalb der EU, wie Urgessa und Zhu. Heute könnten sie in Baden-Württemberg nicht mehr studieren, denn 1.500 Euro Studiengebühr pro Semester seien gerade für KünstlerInnen aus ärmeren Ländern zu viel. Soweit sie noch Studenten aus außereuropäischen Ländern hat, kommen diese aus wohlhabenden Familien. Für Güdemann verstößt das gegen Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung."

Seit 25 Jahren unterrichtet Güdemann eine Malklasse an der Stuttgarter Akademie. Dies ist der Anlass der Ausstellung. Und aus diesem Anlass hat Wolfgang Neumann, der von 1998 bis 2003 bei ihr studiert hat, vorgeschlagen, dass alle 22 beteiligten früheren und heutigen Studierenden jeweils ein Porträt der Professorin anfertigen sollten. Da hängen sie nun, 22 Porträts neben- und übereinander im Eingangsbereich der Galerie, und zeigen das Können, aber auch die Unterschiede in Stil und Herangehensweise der KünstlerInnen.

Argiro Mavromatis hat die Ausstellung kuratiert. Hier diskutiert sie beim Aufbau mit Güdemann und Karin Abt-Straubinger. Letztere hat die Galerie 2003 als dreigeschossigen Neubau an einer Straßenkreuzung in Stuttgart-Möhringen eröffnet. Die Werke in ihren Ausstellungen sind in aller Regel käuflich zu erwerben. Doch die Galerie AbtArt ist keine gewöhnliche kommerzielle Galerie. In erster Linie geht es der Galeristin darum, in ihrem Haus kuratierte Ausstellungen zu zeigen.

Ausgesprochen ausdrucksvoll seien die Arbeiten aller beteiligten Künstlerinnen und Künstler, findet Cordula Güdemann. Was sie auf Kunstmessen oftmals vermisst. Bei Agnes Mrowiec zeigt sich dies in kräftigen Farben und einer freien, gestischen Malweise.

Stefanie Fleischhauer setzt in ihren surrealen Bleistiftzeichnungen dagegen Farbe sparsam ein, wie man im Bild unten sieht. Manche Betrachter fühlten sich an Traumgeschehen erinnert, aber auch von der russischen Herkunft ihrer Familie komme etwas zum Vorschein. Fleischhauer, die derzeit im sechsten Semester auf Lehramt studiert, genießt die Freiheiten des Kunststudiums gegenüber den verschulten Bachelor-Studiengängen der Universität.

Ähnlich geht es Ivan Zozulya, der aus der Ukraine stammt. Dort ist auch das Kunststudium sehr stark verschult, wie er von Freunden weiß. 2012 ist er wegen des Studiums nach Stuttgart gekommen, 2017 hat er ein Deutschlandstipendium erhalten. Er arbeitet mit einer Mischung aus Siebdruck und Malerei, in der Gegenständliches wie Gesichter, Hände oder Füße erst hervortreten, wenn man die Formen und Farben in aller Ruhe einige Zeit auf sich wirken lässt.

Dass der Schwerpunkt der Ausstellung auf Malerei liegt, kann bei einer Malklasse kaum verwundern. Alessia Schuth, die in diesem Jahr ihren Abschluss gemacht hat, zeichnet dagegen gewissermaßen im Raum. Sie benutzt einen 3D-Stift, aus dem flüssiger Thermoplast (um genau zu sein: Polylactid) austritt, der dann sofort erkaltet und hart wird.

Stefan Knaus hat in einem früheren Studium an einer Fachhochschule technisches Zeichnen gelernt. Dies ist seinen Zeichnungen noch anzumerken, die in freier Form Mensch, Tier und Maschine zu einer anspielungsreichen Cyborg-Welt kombinieren. 2002 hat er sein Kunststudium abgeschlossen und lebt seitdem als freier Künstler.

Der ungewöhnlichste Künstler der Ausstellung, Friedrich Zirm, ist im Februar im Alter von 56 Jahren gestorben. Von Geburt an spastisch gelähmt, war er auf den Rollstuhl angewiesen, malte mit dem Mund oder wies im Beiwagen eines Motorrads sitzend den Fahrer an, über Bodenplatten mit Farbe zu fahren, wie in einem von drei Videos zu sehen ist. "Ich bin in einer besonderen Situation, und daraus ergeben sich gesellschaftliche Probleme, Schnittpunkte, Schwierigkeiten", sagte der Künstler. "Geld hab' ich keines, und es ist sehr mühsam, dann Kunst zu machen." Sein Credo war jedoch: Wenn man sich etwas in den Kopf setzt, findet man trotz aller Schwierigkeiten einen Weg. Im Bild unten wird sein Werk in Szene gesetzt.

Weiran Wang, in Beijing geboren, hat von 2011 bis zu ihrem Abschluss im Februar bei Güdemann studiert und lebt nun in Dachau. Ihre Installation "Verbrannte Bücher" aus Raku-Keramik auf Erdreich bezieht sich auch, aber nicht ausschließlich auf das Konzentrationslager und den Nationalsozialismus. Schließlich ist die Freiheit der Gedanken auch heute noch und erneut in vielen Ländern bedroht.

Karin Brosa hat Pharmazie studiert und als Apothekerin gearbeitet, bevor sie an die Stuttgarter Akademie kam. "Sale" lautet der Titel ihres Gemäldes, was sich über Billigfleisch-Skandale hinaus auch in einem weiteren Sinne ausdeuten lässt. Güdemann, die in den letzten Jahren unter anderem Seminare zu rechten Tendenzen und Menschenrechtsverletzungen in Deutschland angeboten hat, ermutigt ihre Studenten, zu politischen Themen Stellung zu beziehen.

Billigfleisch aus Massentierhaltung in China beschäftigt auch Jinjoo Lee, die bis zu ihrem Bachelor in ihrer Geburtsstadt Seoul in Südkorea studiert hat und dann nach Stuttgart kam. "Take Away Welcome" steht auf einem ihrer Aquarelle auf einem Schinken, "schnell" und "einfach" auf einer Kugelschreiberzeichnung mit Tierköpfen, "24 hours open / Peking express" über einem Gemälde mit einer Berghütte und lila Schweinen.

Für Tiin Kurz, die vor ihrem Kunststudium bereits Germanistik und Kunstgeschichte studiert hat, ist Lyrik ein gleichberechtigter Teil ihrer Arbeit. Zu diesem Gemälde siamesischer Zwillingsbabys gehört eigentlich eine über Kopfhörer abhörbare Text- und Klangcollage, die aber wegen der Corona-Bestimmungen durch ausgedruckte Gedichte ersetzt wurde.


Die Ausstellung in der Galerie AbtArt, Rembrandtstraße 18, Stuttgart-Möhringen, läuft bis 28. August und ist dienstags bis freitags von 12 bis 19 Uhr geöffnet. Am 16. und 30. Juli und am 13. August gibt es Gespräche mit einigen der beteiligten Künstler, die Galerie schließt dann erst um 21 Uhr.


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