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Mit dem Rollstuhl auf den Himalaya

Mit dem Rollstuhl auf den Himalaya
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 Fotos: Jens Volle 

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Der Sommer, man möchte heulen, ist endgültig dahin für dieses Jahr. Aber eines bleibt: die Erinnerungen an herrliche Urlaubstage, die im Fotoalbum schlummern. Das von Johann Kreiter aus Stuttgart ist ein ganz besonderes: Mit seinem Rollstuhl hat er fast 50 Länder bereist. Und hat noch viel vor.

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Einmal saß Johann Kreiter mit Wolfgang Schäuble auf einem Podium. Der Moderator fragte Rollstuhlfahrer Kreiter, wohin er gerne einmal reisen würde. Der überlegte und sagte dann: "Auf den Himalaya." Und Schäuble antwortete, solche Spinnereien habe er nicht im Kopf, er wolle mal nach Sylt.

Johann Kreiter ist fast 70 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl, seit er ein Teenager ist. "Meine Kinderlähmung war mein erster Virus", sagt er. "Der zweite war das Reisen." Erfasst hat er ihn auf einem Trip zum Gardasee, auf seiner ersten Rollstuhl-Reise. 

Mittlerweile war er auf Kuba, in den USA, in Alaska, Italien, Sri Lanka, Skandinavien, Spanien, in den Arabischen Emiraten, Griechenland, Marokko, Tunesien, St. Petersburg – das hat ihm besonders imponiert: fast alle Sehenswürdigkeiten seien barrierefrei. Er war in Thailand, Kuwait, Israel und Ägypten.

Früher, erzählt er, nannte man einen Rollstuhl noch ein "Eisenschwein", das waren schwere, unhandliche Gefährte. Und kein Vergleich zu heute, zu Leichtmetall und Carbon. Heute fährt Kreidler mit seinem "Traveller", einem faltbaren Reise-Rollstuhl, der – ohne Räder – sogar in eine kleine Reisetasche passt.

Ja natürlich, in manchen Ländern sei es trotzdem nicht einfach für Rollstuhlfahrer, unterwegs zu sein, erzählt Kreiter. Aber das hat ihn noch nie aufgehalten. "Ich gucke ja nicht erst, ob die Infrastruktur passt, sondern wo ich hin will." Und dann macht er es sich passend: Knüpft Kontakte im fernen Land, zu Menschen, die sich vor Ort auskennen, hält nach Hotels Ausschau, in die er ebenerdig hineinfahren kann, sucht nach Helfern, die ihn notfalls tragen oder – bei besonders schwierigem Untergrund – auch mal "mit Kraft an meinem Rollstuhl ziehen". Mittlerweile hat Kreiter ein so großes Netzwerk, dass er es teilt und andere Reisende mit Behinderung berät. "Man muss sich nur trauen, loszuziehen", sagt er.

Kreiter wollte zum Beispiel mal die Wüste sehen, also bereiste er Jordanien. Dort hievten ihn zwei kräftige Männer auf die Laderampe eines Transporters und fuhren ihn in ein Oasen-Hotel. "Es war traumhaft", sagt Kreiter. "Diese absolute Stille! Das hat man sonst ja nie." Am Abend, erzählt er, saßen alle am Lagerfeuer und haben Sterne gezählt. Hunderte davon.

Kanada ist eines seiner Reise-Highlights. Dort zum Beispiel war er mehrere Wochen lang alleine mit dem Auto unterwegs. Und restlos begeistert: "Die Landschaft ist herrlich. Diese Unendlichkeit dort, das Gefühl, so nah am Himmel zu sein, ist unbeschreiblich. So muss es ausgesehen haben, als die Welt entstanden ist", sagt er. Vor dieser Naturkulisse merke man, wie klein man als Mensch eigentlich sei. "Da lernt man Demut. Und Respekt vor unserer Erde."

Ob Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident, es einmal bis auf die Insel Sylt geschafft hat? Johann Kreiter jedenfalls sitzt schon an Stufe zwei seines Reiseplans nach Nepal. Ein Hotel, in das er ebenerdig einrollen kann, hat er schon gefunden, fehlt noch ein Hubschrauber, der ihn auf einen 4000er fliegt. Aber da ist er gerade dran.


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2 Kommentare verfügbar

  • Andrea Wendelgaß
    am 09.02.2019
    Antworten
    Ich durfte Herrn Kreidler persönlich kennenlernen und ziehe nicht nur einen Hut -
    vor seinem Optimismus und Lebenskonzept! Er kann mehr als jeder Arzt oder Therapeut Menschen im Rollstuhl Mut und Kraft geben - ihre Träume nicht wegen fehlender Gehfähigkeit vollständig aufzugeben und stets an sich…
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