Und hoch den Teppich! 50 Meter lang ist das rote Band, mit 70 Halteschlaufen versehen. Kommt ein Radfahrer, liegt ihm der rote Teppich zu Füßen. Autos müssen dagegen darunter durch fahren. Die Aktion am Feuersee im Stuttgarter Westen will zeigen, in welche Richtung sich die Verkehrspolitik der Stadt bewegen soll. Freiwillige zu finden, war kein Problem. Es gibt ein Kernteam von 15 Personen, die solche Aktionen vorbereiten. Und viele weitere Mitstreiter, die sich bei Bedarf aktivieren lassen. Seit die <link http: radentscheid-stuttgart.de external-link-new-window>Initiative für einen Radentscheid im Juni an den Start gegangen ist, hat sie bereits 10 000 Unterschriften gesammelt.
In Berlin hat eine vergleichbare Initiative einen spektakulären Erfolg erzielt. Für ein Volksbegehren müssen dort in sechs Monaten 20 000 Unterschriften zusammenkommen. Der Volksentscheid Fahrrad kam in dreieinhalb Wochen auf mehr als 100 000 Unterzeichner. Der Senat beschloss daraufhin, auf einen Bürgerentscheid zu verzichten und hat nun im Juni ein neues Mobilitätsgesetz verabschiedet, das unter anderem durch Poller geschützte Radwege, den Umbau gefährlicher Kreuzungen und breite Radschnellwege an allen Hauptstraßen vorsieht. Die Initiative selbst spricht von "Deutschlands erstem Radverkehrsgesetz". Wie außergewöhnlich es in der Bundesrepublik noch heute ist, dass ÖPNV, Fußgänger und Radfahrer gegenüber dem Autoverkehr nicht benachteiligt werden, verdeutlicht sich auch an den Worten des Senats. Dieser bezeichnet das neue Mobilitätsgesetz in einer Pressemitteilung als "eine Grundlage, die alle Interessen in den Blick nimmt" und dies sei "einmalig in Deutschland".
Doch Berlin war nicht unmittelbar vorbildlich für die Stuttgarter Initiative, sagt Thijs Lucas, der den Radentscheid Stuttgart ins Leben gerufen hat. So viele breite Straßen, von denen sich leicht eine Spur für den Radverkehr abzweigen lässt, gibt es in Stuttgart nicht. Die Stuttgarter Aktivisten orientieren sich eher an Bamberg. Denn Initiativen für einen Radentscheid gibt es in vielen Städten. Die Bamberger hatten ebenfalls Erfolg. Statt sechs Prozent der Wählerstimmen, die dort für ein Bürgerbegehren notwendig sind, sammelten sie 15 Prozent. Hauptziel aller Radentscheid-Initiativen ist es, mehr Geld als bisher in den Radverkehr zu investieren. Und damit die Risiken im Radverkehr zu minimieren, sodass sich auch Senioren und Kinder sicherer auf die Straße begeben können.
Die Initiative Radentscheid Stuttgart benennt dafür elf konkrete Ziele. An Straßen, auf denen mehr als 30 km/h gefahren wird, sollen vom Autoverkehr baulich getrennte Radwege entstehen, und zwar mindestens 15 Kilometer pro Jahr. Mindestens 31 Kreuzungen sollen jährlich sicher umgestaltet, Gefahrenstellen aus dem bestehenden Radwegenetz entfernt und 15 Kilometer Nebenstrecken für den Radverkehr attraktiver gemacht werden. Denn Stuttgart hat zwar nicht so breite Straßen wie Berlin, dafür aber viele Straßen in Wohngebieten, die sich zum Radfahren prima eignen würden. Wenn sie nicht immer noch auf den Autoverkehr ausgerichtet wären. Zum Beispiel im Stuttgarter Westen.
Radverkehrs-Aktivisten wird häufig vorgeworfen, sie hätten etwas gegen Autos. Auf Thijs Lucas trifft dies gewiss nicht zu. Der 32-Jährige ist aus Bremen nach Stuttgart gekommen, um Fahrzeugtechnik zu studieren, hat seine Masterarbeit über die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Lkw-Verkehr der Zukunft geschrieben und arbeitet nun bei Daimler. Als Bremer hat er sich allerdings schon gewundert, warum es mit dem Radverkehr in Stuttgart so langsam vorangeht, trotz aller Probleme mit Feinstaub, Stickoxid, Fahrverboten und Stau. "Als Ingenieur", sagt Lucas, "ist es eigentlich ganz einfach: Es gibt ein Problem, man sucht dafür eine Lösung, braucht etwas Geld für die Umsetzung und fertig." An Karlsruhe oder Freiburg könne man sehen, wie sich die Probleme, die Stuttgart hat, durch gezielte Förderung des Radverkehrs ganz einfach lösen lassen.
Andere Städte beweisen: Schnelle Veränderungen sind möglich
Nach seinem Studium hat sich Lucas ein ganzes Jahr frei genommen, um herauszufinden, was es braucht, um einen Wandel politisch in die Wege zu leiten. Ursprünglich wollte er sich dafür nur vier Monate Zeit nehmen, doch das war nicht genug. Er hat mit Vertretern aller Parteien gesprochen und versucht, sie für sein Anliegen zu gewinnen. Dadurch sei ihm "erstmals richtig bewusst" geworden, "dass es in der Politik nicht so sachlich funktioniert." So habe sich für die Initiative "Stuttgart laufd nei" von SÖS-Linke-Plus nur die Grüne Jugend bewegen lassen, obwohl doch auch die Mutterpartei das Anliegen, den Fußgängerverkehr zu fördern, hätte unterstützen müssen.
Weil ihm <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne schoener-radeln-in-ferner-zukunft-5016.html external-link-new-window>das Radforum der Stadt zu träge war, gründete er ein alternatives Radforum, das sich jetzt Zweirat nennt. Mitstreiter fanden sich schnell. Mit der Situation der Radfahrer in Stuttgart sind Viele unzufrieden. Und andere Städte machen vor, dass eine Verbesserung nicht Jahrzehnte braucht. Lucas hat sich viele Beispiele angesehen. London etwa habe "sehr konsequent in extrem kurzer Zeit ein Netz von Cycle Highways aufgebaut." Anfangs waren die Radschnellwege viel zu schmal, doch das ließ sich auch nachträglich noch ändern.
Das Beispiel London führt er auch an, um zu zeigen, dass es nicht auf Maximalforderungen ankommt. Von seinem Professor an der Uni hat er gelernt, Vorstöße positiv zu bewerten, die auch politisch durchsetzbar sind. In diesem Sinne gibt er sich auch mit kleineren Schritten zufrieden und nennt als vorbildlich die Tübinger Straße, die als erste Stuttgarter Hauptradroute sehr gut angenommen werde. Auch wenn er zugeben muss, dass an mancher Kreuzung noch ein deutlicher Verbesserungsbedarf besteht. Er nimmt auch in Kauf, dass an beiden Straßenrändern Autos parken, auch wenn er selbst schon beobachtet hat, wie eine Frau in eine aufklappende Autotür gefahren ist.
20 000 gültige Unterschriften muss die Initiative Radentscheid Stuttgart mindestens sammeln, um einen Bürgerentscheid zu beantragen. Lucas und Mitstreiter haben sich vorgenommen, dies bis November zu schaffen, da die Stadt sechs Monate Zeit hat, das Anliegen juristisch zu prüfen und sich dann bis zur Gemeinderatswahl im Mai Druck aufbauen lässt. Gültig sind nur persönliche Unterschriften von EU-Bürgern über 16, die ihren Wohnsitz in Stuttgart haben. <link http: radentscheid-stuttgart.de wp-content uploads radentscheid_stuttgart_unterschriftenliste.pdf external-link-new-window>Unterschriftenlisten können auf der Seite der Initiative heruntergeladen, ausgedruckt und an 50 Sammelstellen im gesamten Stadtgebiet abgegeben werden.
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