KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Kooperation mit Rechtsradikalen

Falsches Abbiegen

Kooperation mit Rechtsradikalen: Falsches Abbiegen
|

Datum:

Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine Botschaft an die Union: Wie europäische Beispiele zeigen, ist die "Zähmung" rechtsradikaler Parteien durch Kooperation nicht gelungen und hat eher zu einer Schwächung konservativer Parteien geführt. Die Brandmauer stürzt dennoch ein.

Muhterem Aras (Grüne) hat ihre Rolle gefunden. Die baden-württembergische Landtagspräsidentin agiert in der Regel überparteilich, ganz dem zweithöchsten Amt im Lande entsprechend. An diesem Samstag jedoch will sie gar nicht diplomatisch auftreten. Die Grünen haben zu einem Ideen-Workshop geladen. Eine ganze Halle, auch nur einen mittelgroßen Saal hätten sie nicht mit Interessierten gefüllt, aber das Café in der Stuttgarter Uhlandstraße ist rappelvoll.

Die vier in der Landeshauptstadt direkt gewählten Grünen-Abgeordneten im Landtag wollen wissen, was die Leute bewegt und selber bewegen. Aras zum Beispiel mit dem fast flehentlichen Appell, weder die Sprache noch die Positionen der AfD zu übernehmen, weil am Ende immer das Original und nicht die Kopie gewählt werde. Sie könne alle nur "inständig bitten, anständig und respektvoll zu bleiben" und die Brandmauer zu schützen.

Vor allem für Unionsabgeordnete im Europaparlament kommt eine solche Mahnung deutlich zu spät. Weitgehend unbeobachtet von einer breiten Öffentlichkeit akzeptieren CDU und CSU immer wieder, dass von ihrer EVP-Fraktion angestrebte Mehrheiten allein mit den Rechtsaußen-Fraktionen zustande kommen. Linken und Grünen wird sogar mit diesem Szenario gedroht, um ihnen Kompromisse abzuringen. Erst jüngst ist das so passiert, bei derart zentralen Themen wie dem Lieferkettengesetz (CSDDD) und der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD).

Friedrich Merz, Kanzler und CDU-Bundesvorsitzender, kann nicht behaupten, der Vorgang sei ihm nicht bekannt. Denn Peter Kiese, südwestfälischer Parteifreund und EU-Abgeordneter, brüstet sich damit, dass die CSDDD-Sorgfaltspflichten bei den Lieferketten inzwischen nurmehr für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von über 1,5 Milliarden Euro gelten, und dass der Schwellenwert, der beim CSRD zur Berichtspflicht führt, auf 1.000 Mitarbeitende und 450 Millionen Euro Umsatz angehoben wird. Menschenrechte und Erderwärmung spielen in seiner Argumentation keine Rolle mehr, sondern allein "die überbordende Bürokratie".

Nirgends glückt das Entzaubern durch Beteiligung

Ein Begriff, der unter anderem von der rechtsnationalen österreichischen FPÖ in die Debatte eingeführt und längst von Mitte-Rechts-Parteien übernommen wurde. Gerade die FPÖ spielt eine wichtige Rolle in einer kürzlich veröffentlichten Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), weil sie auf eine besonders lange Regierungsgeschichte zurückblicken kann. Schon anno 2000 ging die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ ein, obwohl andere stabile Mehrheiten im Parlament möglich gewesen wären. 2017 ermöglichte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Deutschnationalen noch einmal eine Regierungsbeteiligung. Dieser Versuch, die Konkurrenz durch eine Einbindung zu entzaubern, könne mit Blick auf die letzten Wahlergebnisse als insgesamt gescheitert angesehen werden, schreiben die Autor:innen der KAS-Analyse. Und der Blick in eine keineswegs mehr ferne Zukunft fällt wegen der stabilen Verankerung der FPÖ seit Jahren wenig erfreulich aus. Ein "eigenes mediales Paralleluniversum" sei aufgebaut, "welches ihr trotz potenzieller Skandale einen direkten Kanal zu potenziellen Wählerinnen und Wählern sichern" werde.

Besonders kritisch ist dieses Paralleluniversum für die nach rechts abgebogenen und den Regierungschef stellenden Konservativen in Schweden. Die radikalen Schwedendemokraten haben trotz gegenteiliger Fairnessabkommen sogar heimlich mit Trollfabriken gearbeitet, "um gezielt Desinformation zu verbreiten und Ängste zu schüren, insbesondere in Bezug auf Themen wie Einwanderung, Sicherheit und nationale Identität", wie es in dem KAS-Papier heißt. Wie Österreich oder Schweden ist auch Spanien ein Beispiel dafür, dass sich Mitte-Rechts-Parteien eher Rechtsnationalist:innen an den Hals werfen, als mit dem linken Spektrum für stabile Verhältnisse zu sorgen. Die Stockholmer "Socialdemokraterna" liegt stabil bei 35 Prozent, die Bürgerlichen verharren dagegen unter 20 Prozent – die Zusammenarbeit mit Rechtsaußen hat keine Zuwächse gebracht.

Das bürgerliche Lager als Zünglein an der Waage

Insgesamt empfiehlt die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrer "Zwischen Abgrenzung, Einbindung und Tolerierung" betitelten Studie, diese europäischen Beispiele genau zu analysieren. Wer den Rat ernst nimmt, erkennt für Deutschland und für Baden-Württemberg mit der nächsten Landtagswahl im März 2026 aber eine paradoxe Lage. Im Europaparlament reicht die Union Abgeordneten von rechtspopulistisch bis -radikal die Hand, die daheim die CDU zur größten Gegnerin erklärt haben.

Die Teilübernahme

Lang wäre eine Liste mit all den Positionen, die früher allein den radikalen Fraktionen überlassen blieben und heute nicht nur von der CDU, sondern auch von FDP, SPD und Grünen ganz oder teilweise übernommen werden oder worden sind. Von einer "Akkommodation" und einer Teilübernahme schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung und nennt mehrere Beispiele: die Verknüpfung von Zuwanderung mit Sicherheitsbedenken und pauschalen kulturellen Bedrohungsszenarien, die Narrative zur angeblichen Überfremdung, die Darstellung von Migration als primäre Ursache für soziale und wirtschaftliche Probleme oder sich häufende Vorschläge zur Bevorzugung der einheimischen Bevölkerung bei Sozialleistungen. Als nächstes fallen dürfte die Stärkung der Menschen- und vor allem der Frauen- und Kinderrechte, die mit dem Lieferkettengesetz und dem Einsatz gegen Sklavenarbeit eigentlich verbunden war. Und Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP) schrecken nicht einmal davor zurück, mit Stimmen von rechtsaußen die Klimapolitik ihrer Parteifreundin Ursula von der Leyen (CDU) auszuhöhlen. Im Rechtsausschuss des Europaparlaments sind mit dieser Methode schon Eckpfeiler wie das CSRD weggeräumt worden. Und nun wollen die Staats- und Regierungschef:innen zum Aus des sogenannten Verbrenner-Aus' Nägel mit Köpfen machen – womit auch hier der Programmatik von Populist:innen und Nationalist:innen gefolgt würde.  (jhw)

Erst in der vergangenen Woche bezeichnete der Backnanger AfD-Abgeordnete Daniel Lindenschmid, unter anderem jugendpolitischer Sprecher seiner Fraktion, die Union als eine von der eigenen Brandmauer eingemauerte Partei, "die sich verzweifelt von ihrem Feind emanzipieren will, indem sie ihn kopiert". Kaum ein Tag vergehe, an dem der konservative Ministerpräsidentenaspirant Manuel Hagel nicht versuche, "die AfD unter fast jedem Aspekt rechts zu überholen".

Aras empfiehlt die Untersuchung der KAS jedenfalls dringend zur Lektüre und meint nicht nur die Tonlage bei Landtagsdebatten, wenn sie davon berichtet, was früher nicht vorstellbar gewesen wäre. Die Grüne hat sich zur Angewohnheit gemacht, unter der Schwelle der offiziellen Rüge an parlamentarische Gepflogenheiten und einen anständigen Umgang zu erinnern. Sie weiß aber am besten, dass in den Landtagen, im Bundestag oder im Europaparlament längst zahllose Reden gehalten sind und werden mit viel zu vielen abwegigen Unterstellungen, als dass sie sich alle monieren und entlarven ließen.

Deshalb stand unter Grünen und Anhänger:innen an diesem Nachmittag in dem Stuttgarter Café noch ein ganz anderer Aspekt auf der Diskussionswunschliste, der am Ende schlagend werden kann: ob und wie ein AfD-Verbotsverfahren erfolgreich zu starten ist. Schleswig-Holstein hat das Vorbild geliefert, weil sich alle demokratischen Parteien im Landtag gemeinsam für eine entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe starkmachen, um die notwendigen Informationen zusammenzutragen. Der CDU-Fraktionschef im Kieler Landtag Tobias Koch legt Wert auf die Feststellung, dass dieser Vorstoß kein Verbotsantrag sei, denn "diese Entscheidung obliegt allein dem Bundesverfassungsgericht und ist keine politische Frage". Es gehe vielmehr darum, handlungsfähig zu sein. Wer am Ende das Zünglein an der Waage ist, geht aus der Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung eindeutig hervor. Denn analog zu den anderen untersuchten europäischen Ländern hat es auch in Deutschland das bürgerliche Lager in der Hand, ob und in welcher Weise die Handlungsfähigkeit im Kampf gegen Rechtsaußen genutzt wird.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!