Vor allem für Unionsabgeordnete im Europaparlament kommt eine solche Mahnung deutlich zu spät. Weitgehend unbeobachtet von einer breiten Öffentlichkeit akzeptieren CDU und CSU immer wieder, dass von ihrer EVP-Fraktion angestrebte Mehrheiten allein mit den Rechtsaußen-Fraktionen zustande kommen. Linken und Grünen wird sogar mit diesem Szenario gedroht, um ihnen Kompromisse abzuringen. Erst jüngst ist das so passiert, bei derart zentralen Themen wie dem Lieferkettengesetz (CSDDD) und der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD).
Friedrich Merz, Kanzler und CDU-Bundesvorsitzender, kann nicht behaupten, der Vorgang sei ihm nicht bekannt. Denn Peter Kiese, südwestfälischer Parteifreund und EU-Abgeordneter, brüstet sich damit, dass die CSDDD-Sorgfaltspflichten bei den Lieferketten inzwischen nurmehr für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von über 1,5 Milliarden Euro gelten, und dass der Schwellenwert, der beim CSRD zur Berichtspflicht führt, auf 1.000 Mitarbeitende und 450 Millionen Euro Umsatz angehoben wird. Menschenrechte und Erderwärmung spielen in seiner Argumentation keine Rolle mehr, sondern allein "die überbordende Bürokratie".
Nirgends glückt das Entzaubern durch Beteiligung
Ein Begriff, der unter anderem von der rechtsnationalen österreichischen FPÖ in die Debatte eingeführt und längst von Mitte-Rechts-Parteien übernommen wurde. Gerade die FPÖ spielt eine wichtige Rolle in einer kürzlich veröffentlichten Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), weil sie auf eine besonders lange Regierungsgeschichte zurückblicken kann. Schon anno 2000 ging die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ ein, obwohl andere stabile Mehrheiten im Parlament möglich gewesen wären. 2017 ermöglichte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Deutschnationalen noch einmal eine Regierungsbeteiligung. Dieser Versuch, die Konkurrenz durch eine Einbindung zu entzaubern, könne mit Blick auf die letzten Wahlergebnisse als insgesamt gescheitert angesehen werden, schreiben die Autor:innen der KAS-Analyse. Und der Blick in eine keineswegs mehr ferne Zukunft fällt wegen der stabilen Verankerung der FPÖ seit Jahren wenig erfreulich aus. Ein "eigenes mediales Paralleluniversum" sei aufgebaut, "welches ihr trotz potenzieller Skandale einen direkten Kanal zu potenziellen Wählerinnen und Wählern sichern" werde.
Besonders kritisch ist dieses Paralleluniversum für die nach rechts abgebogenen und den Regierungschef stellenden Konservativen in Schweden. Die radikalen Schwedendemokraten haben trotz gegenteiliger Fairnessabkommen sogar heimlich mit Trollfabriken gearbeitet, "um gezielt Desinformation zu verbreiten und Ängste zu schüren, insbesondere in Bezug auf Themen wie Einwanderung, Sicherheit und nationale Identität", wie es in dem KAS-Papier heißt. Wie Österreich oder Schweden ist auch Spanien ein Beispiel dafür, dass sich Mitte-Rechts-Parteien eher Rechtsnationalist:innen an den Hals werfen, als mit dem linken Spektrum für stabile Verhältnisse zu sorgen. Die Stockholmer "Socialdemokraterna" liegt stabil bei 35 Prozent, die Bürgerlichen verharren dagegen unter 20 Prozent – die Zusammenarbeit mit Rechtsaußen hat keine Zuwächse gebracht.
Das bürgerliche Lager als Zünglein an der Waage
Insgesamt empfiehlt die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrer "Zwischen Abgrenzung, Einbindung und Tolerierung" betitelten Studie, diese europäischen Beispiele genau zu analysieren. Wer den Rat ernst nimmt, erkennt für Deutschland und für Baden-Württemberg mit der nächsten Landtagswahl im März 2026 aber eine paradoxe Lage. Im Europaparlament reicht die Union Abgeordneten von rechtspopulistisch bis -radikal die Hand, die daheim die CDU zur größten Gegnerin erklärt haben.
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