Es war im Februar 2018: Nach der Bundestagswahl knapp fünf Monate zuvor hatte sich noch keine neue Regierung gebildet, die AfD war erstmals ins Parlament eingezogen und ihre Fraktion formulierte eine Kleine Anfrage zum Bundesprogramm "Demokratie leben!". Dieses wurde 2014 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Leben gerufen, war beim sozialdemokratisch geführten Familienministerium angesiedelt und erklärte als Ziel, sich für eine wehrhafte Demokratie und gegen Extremismus einzusetzen. Doch wohin Geld fließt, war von Anfang an umstritten. So bemängelte FAZ-Autor Markus Wehner nach den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel im Juli 2017, dass die Regierung zu wenig nach links schaue. Der Bundesrechnungshof kritisierte in einem Prüfbericht, dass die Förderziele im Programm nicht hinreichend konkret bestimmt seien. Auch die AfD störte sich an "Demokratie leben!" – wenn auch mit anderem Zungenschlag und geradezu obsessiv.
Ein Katalog von 39 Fragen markiert den Auftakt zu einer regelrechten Anfragenflut der AfD. Eine davon lautet: "Inwieweit hält die Bundesregierung es für mit der Verpflichtung zur Neutralität vereinbar, wenn aus dem Bundesprogramm Veranstaltungen finanziert werden, die sich gegen im Bundestag vertretene Parteien oder Gruppierungen innerhalb dieser Parteien richteten?" Unabhängig vom Umfang einer Kleinen Anfrage liegt die Frist für die Beantwortung bei 14 Tagen. Das Kabinett Merkel III kam seiner Pflicht nach, lieferte 68 Seiten voller Informationen zur Verteilung von Fördergeldern: mit detaillierten Auskünften, welche Organisationen in welchen Stadt- und Landkreisen wie viel Geld bekommen haben, um was für ein Themenfeld zu bearbeiten. Über 700 Träger erhielten projektbezogen staatliche Zuwendungen, so förderte das Programm beispielsweise 2015 eine Konzeptwerkstatt zu Antisemitismus des Heilbronner Vereins "Miteinander e.V." mit 9.290 Euro.
Nach einer Geldempfängerin erkundigte sich die AfD von Anfang an gezielt: "Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der umstrittenen 'Amadeu Antonio Stiftung'?" Antwort: "Die Amadeu Antonio Stiftung ist ein etablierter und zuverlässiger Träger – insbesondere in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus." Umstrittenen ist die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) insbesondere in rechten Kreisen: Nachdem sie eine Informationsbroschüre über Hassreden im Internet herausgab, blockierte die Identitäre Bewegung im April 2016 ein Büro der Stiftung in Berlin und beklebte selbiges mit Flyern: "Sie betreten den Überwachungsstaat". Hartnäckig hält sich das Gerücht, das unter anderem das "Compact"-Magazin streute, die Stiftung sei im Auftrag des Bundesjustizministeriums als Zensor in sozialen Netzwerken aktiv – während sie selbst wiederholt betont hat, auf Löschungen im Internet keinen Einfluss zu haben.
Übereinstimmende Feindbilder
Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn urteilt in einem Gutachten, dass sich rechtsextreme und rechtskonservative Akteure wegen "punktueller gemeinsamer Interessen" gegen die AAS engagieren, weil diese "erfolgreich gegen die weitere Verbreitung rechter Propaganda" arbeite. So erfolgt die Feindmarkierung nicht nur seitens der AfD: "Tichys Einblick" bezeichnet sie als "steuerfinanzierte Diskurswächter", die "Bild"-Zeitung nennt einen Ratgeber gegen Rechtspopulismus in Kindergärten "Schnüffel-Fibel für Erzieher", aber auch in der FAZ knöpft sich Rainer Meyer (alias Don Alphonso) wiederholt die AAS vor. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch fordert seit Jahren, der Stiftung staatliche Geldmittel zu streichen – selbiges verlangte im Dezember 2016 auch der Bundesvorstand der Jungen Union. Die Gegnerschaft zur AAS entpuppt sich als Kristallisationspunkt für inhaltliche Schnittmengen zwischen Wertkonservativen und Rechtsradikalen: ein Milieu, das sich in Fragen der Kulturpolitik zunehmend annähert und dabei immer schrillere Töne anschlägt. Gendern, Veganismus, Klimaschutz, selbstbestimmte Frauen und die Grünen sind Triggerpunkte für die Milieus. Auch Organisationen der Zivilgesellschaft dienen vermehrt als gemeinsame Feindbilder.
In der rechten Publizistik kam es wiederholt zu Angriffen auf das Programm "Demokratie leben!". Eine wiederkehrende Darstellung: Das Familienministerium baue gezielt linksgrüne Vorfeldorganisationen auf. Parlamentarischer Arm der Fördergeld-kritischen Bewegung war lange Zeit ausschließlich die AfD – die dafür umso fleißiger. Vier Monate nach ihrer ersten Kleinen Anfrage zum Programm folgten im Juni 2018 Detailfragen: Zum Beispiel wollte die Fraktion jetzt wissen, wie viel Honorar der unter Klarnamen genannte Journalist Jörg Kronauer für einen Beitrag über die christliche Rechte auf dem Informationsportal "Vielfalt-Mediathek" erhalten hat. Die Bundesregierung legt das offen: Es waren 500 Euro.
Die Kleinen Anfragen sind ein Instrument, sensible Informationen offenzulegen. Daneben können sie auch eine einschüchternde Wirkung entfalten: Wir beobachten Dich – denke daran, dass Machtverhältnisse sich ändern können. Am Beispiel der USA zeigt sich gegenwärtig, wie rasch eine rechtspopulistisch-faschistoide Bewegung Säuberungsaktionen im Regierungsapparat umsetzen kann, sobald sie die Macht übernommen hat. Entsprechend verfolgen die Kleinen Anfragen der AfD eine Doppelstrategie: Zum einen erkundigen sie sich mit Signalwirkung nach bestimmten Akteuren wie "Correctiv", den "Omas gegen rechts" oder der AAS. Zum anderen lähmen sie die Verwaltung durch den schieren Aufwand, den eine Beantwortung zur Folge hat.
Kleine Chronik der Anfragenflut
August 2019: Die AfD will erneut eine Übersicht über die von "Demokratie leben!" geförderten Projekte. Dezember 2019: Die AfD hat weitere Fragen zu "Demokratie leben!". März 2020: Die AfD will Genaueres zur "Förderung der Democratic Meme Factory im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘" wissen. April 2020: Die AfD interessiert sich für die Förderung des Projektträgers "Bund für Soziale Verteidigung" im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!". Mai 2020: Diesmal geht es in der Kleinen Anfrage wieder allgemein um die Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteuren durch das Bundesprogramm "Demokratie leben!". Ähnliche Anfragen zum Bundesprogramm erfolgen im Juni, im August, im Oktober, im November und im Dezember 2020. Am 5. Januar 2021 beantragt die AfD eine Evaluierung des Programms. Ebenfalls im Januar 2021 beantwortet die Bundesregierung einen Fragekatalog der AfD, der sich auf öffentliche Aussagen eines Projektmitarbeiters von "Demokratie leben!" bezieht: Wird jetzt etwa noch weiter gefördert?, will die Fraktion wissen.
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Peter Nowak
vor 2 Wochen