KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Omas gegen rechts

"Nicht still sein, nicht wegschauen"

Omas gegen rechts: "Nicht still sein, nicht wegschauen"
|

Datum:

Die Union hat mit einer Kleinen Anfrage zahlreiche Vertretungen der Zivilgesellschaft in ihrem Kampf um die Demokratie diskreditiert. Die Wienerin Susanne Scholl, eine der ersten Omas gegen rechts, war viele Jahre Korrespondentin in Russland und weiß, wie Meinungsfreiheit stirbt.

Frau Scholl, wie haben Sie von der Aktion der Union und den 551 Fragen, darunter 24 zu den Omas gegen rechts, erfahren?

Auf ziemlichen Umwegen, über die deutschen Kolleginnen. Und dann gab es sogar einen Bericht auch bei uns im ORF-Radio. Es ist ja wirklich kein gewöhnlicher Vorgang.

Was ist Ihnen als erstes durch den Kopf gegangen? In Freiburg sagten Omas gegen rechts, ihnen sei ganz kalt ums Herz geworden.

Große Sorge und das Gefühl, dass da eine Kampagne losgetreten wird. Nicht nur gegen uns, sondern gegen alle, die sich gegen den Rechtsextremismus stellen, der ja ganz offensichtlich in Europa eine immer größere Rolle einnimmt.

Die Omas gegen rechts verstehen sich als "zivilgesellschaftliche Plattform". Sie wurden 2017 in Wien gegründet und 2019 in Baden-Württemberg (Kontext berichtete) für ganz Deutschland konstituiert mit den Zielen, sich für den Abbau von Angst vor allem Fremden einzusetzen, die Demokratie zu schützen und auf die Zunahme von Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit zu reagieren. Auf ihrem ersten Europa-Forum im August 2024 verabschiedeten sie einen Brief an die Jugend:

"Liebe Jugend! Euch gehört die Zukunft. Wir haben als erwachsene Frauen gekämpft und kämpfen weiterhin für eine demokratische, solidarische, gerechte Gesellschaft. Dabei stand uns als erste Generation nach dem 2. Weltkrieg ein breites Bildungsangebot zur Verfügung. Wir können unser Wissen, unsere Erfahrung, unsere Erinnerung an Euch weitergeben. Jetzt, im Jahr 2024, stehen die Demokratien Europas an einem Scheideweg. Der Friede ist bedroht. Wir wissen, dass wir zu dieser Entwicklung Europas auch beigetragen haben. Das schmerzt uns. Nun haben wir gemeinsam die Chance, in Europa zu den Wahlen zu gehen. Wir bitten Euch, Euer Wahlrecht zu nützen und nicht jenen nachzulaufen, die allzu einfache Antworten auf komplizierte Fragen haben. Wir schätzen Eure Fähigkeit, mit Komplexität ganz anders umgehen zu können als wir das konnten. Wir sind dankbar für Eure Fähigkeit, dem Klimawandel endlich die Stirn zu bieten und an Lösungen mitzuarbeiten. Mit Euch zusammen wollen wir den Gefahren von Diktaturen widerstehen, denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir schenken Euch unsere Liebe, unsere Hoffnung und unser Vertrauen!"

Zur Kleinen Anfrage der Union schreiben die deutschen Omas gegen rechts unter anderem: "Unser Verein ist nicht gemeinnützig, also kann uns die Gemeinnützigkeit gar nicht entzogen werden. Zudem haben wir keine staatlichen Gelder erhalten. Ihre Anfrage basiert auf unhaltbaren Behauptungen."  (jhw)

Wo ist für Sie die Trennlinie zwischen konservativ und rechtsextrem?

Die Parteien, die ich früher für solide Konservative gehalten habe – dazu gehörten auch die CDU und bei uns in Österreich die ÖVP –, sind so weit nach rechts gerückt, dass man sie heute mit Fug und Recht fast auch zu den Rechtsextremen rechnen muss. Das ist sehr bitter. Und diese Anfrage an den Bundestag zeigt doch, dass man offensichtlich seine Sorgen um die Demokratie nicht laut aussprechen kann. Und dass man besser dafür nicht auf die Straße geht. Wir wenden uns gegen die, die die Demokratie zu unterwandern versuchen. Im Gegenzug sollen wir nicht nur an den Rand gedrängt, sondern auch noch als Gefahr dargestellt werden. Das darf nicht gelingen.

Heißt das, dass sich die Wahrnehmung der Omas gegen rechts seit ihrer Gründung 2017 verändert hat?

Gegründet hat uns Monika Salzer in Wien, als die erste türkis-blaue Bundesregierung angelobt wurde, als also der ÖVP-Vorsitzende Sebastian Kurz die FPÖ an seine Seite geholt hat. Und als diese neue türkise ÖVP sich extrem aus der Mitte verabschiedet hat. So sind die Omas entstanden. Wir wollten zeigen, dass wir eine gewisse Lebenserfahrung haben. Unsere Eltern wurden noch durch den Zweiten Weltkrieg traumatisiert. Und wir wollten dafür aufstehen, dass unsere Kinder und Enkelkinder in einem demokratischen, gerechten, sozialen und toleranten Land leben. Und nicht in einem Land, in dem die demokratischen Werte zunehmend ausgehöhlt werden. Es tut mir leid, dass dieser Gründung in den vergangenen sieben Jahren ein noch ganz anderes Gewicht verliehen worden ist, dass wir so wichtig geworden sind. Ich hätte mir das übrigens auch nicht gedacht, dass es so weit kommt.

Inwiefern?

Als ich jung war, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass wir im Alter nochmals in einer Situation sind, für die Demokratie auf die Straße gehen zu müssen. Wir haben alle unterschätzt, wie zerbrechlich und fragil das demokratische Gleichgewicht ist. Das war unser aller Schuld, die Schuld meiner Generation. Jetzt zeigen uns die USA, die wir immer alle als den Inbegriff der Demokratie betrachtet haben, wie schnell es gehen kann.

Nur der Vollständigkeit halber: Bekommen die Omas gegen rechts Geld vom Staat?

Nein. Wir kriegen Spenden und haben insgesamt in Österreich über tausend Mitglieder, und die zahlen Mitgliedsbeiträge.

Bevor wir über die USA und Russland reden, bleiben wir noch in Wien. Sie veranstalten tägliche Mahnwachen. Wie sind die Erfahrungen?

Das ist wirklich sehr interessant. Seit fünf Jahren machen wir Mahnwachen von Montag bis Freitag, von 10 bis 14 Uhr, für Menschen auf der Flucht. Die Erfahrungen sind gemischt, aber es gibt sehr viel positiven Zuspruch. Natürlich kommen auch Leute, die sagen, na, habt ihr schon Ausländer aufgenommen, oder die uns für blöd halten oder behaupten, das Boot ist voll. Das alles bekommen wir zu hören. Es gibt aber sehr positive Reaktionen, interessanterweise vor allem von sehr jungen Menschen.

In der Bundesrepublik wurde die Formulierung "österreichische Verhältnisse" seit ein paar Wochen als Synonym für einen Rechtsruck benutzt, vor dem man sich fürchten muss. Jetzt, seit ein paar Tagen, sind österreichische Verhältnisse mit einem Mal positiver besetzt, als Beleg dafür, dass Kompromisse doch noch möglich sind. Wie schauen Sie auf die neue Drei-Parteien-Bundesregierung in Wien?

Natürlich sind wir auf der einen Seite alle froh, dass wir keinen rechtsextremen Bundeskanzler Herbert Kickl bekommen haben. Das hätte uns international nur geschadet. Ich bin froh, dass diese Drei-Parteien-Koalition zustande gekommen ist. Meine Sorge ist auf der anderen Seite aber, dass sie sich plötzlich doch wieder zerstreiten. Und das wäre sehr schlimm, denn dann droht erst recht der Rechtsruck.

Angeführt wird die Regierung aber durch die ÖVP, die Sie "fast auch zu den Rechtsextremen" zählen. Mit ihr muss jetzt der Kompromiss gesucht werden ...

… aber auch mit den anderen beiden Parteien. Auch die ÖVP hat doch ganz offensichtlich erkannt, dass mit den Rechtsextremen kein Staat zu machen ist, und sich auf Einigungen eingelassen. Und in Deutschland beteuert die CDU doch, sich nach den beiden Abstimmungen im Bundestag jetzt nicht mehr von der AfD unterstützen zu lassen. Das heißt aber auch: Herr Merz wird es noch billiger machen und Kompromisse finden müssen, wenn er eine Bundesregierung zusammenbringen will. Und die Demonstrationen nach diesen beiden Abstimmungen haben doch auch dies gezeigt: Sollte er doch umfallen, was ich nicht unterstellen will, dann hat er ganz Deutschland auf der Straße. Ich hoffe sehr, dass ihm das zu steil ist.

Wir leben in einer Zeit, in der bei der Beschreibung von aktuellen Entwicklungen immer die Gefahr besteht, falsche Parallelen zu ziehen. Ich will Sie aber trotzdem, als langjährige Kennerin Russlands und mit Blick auf die Anfrage der CDU/CSU, fragen, ob Sie da Anfänge wiedererkennen. Merz ist ja scharf kritisiert worden, auch mit dem Schlagwort vom Putinismus.

Die Diffamierung der Zivilgesellschaft hat mit Putins Aufstieg begonnen. Es hat davor schon solche Versuche gegeben, aber das gezielte Vorgehen begann mit ihm. Bei seinem Amtsantritt hat er ja auch gesagt, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen. Danach hat er die ganze Zeit gehandelt. Seine Politik war nie eine andere. Meine Kollegen und ich, die wir seinen unaufhaltsamen Aufstieg als Korrespondenten beobachteten, haben das auch immer gesagt. Wir haben immer davor gewarnt, dass Herr Putin kein Demokrat ist, dass Herr Putin das Wort Demokratie nicht einmal buchstabieren kann. Es hat uns nur niemand wirklich zugehören wollen. Die Reaktion war immer, Putin sei doch ein Modernisierer. Mir ist immer gesagt worden, die Geschäfte mit Russland laufen gut, und über die Demokratie reden wir nachher bei einem Glaserl Wein.

Sehen wir auf Trumps USA: Stirbt da die Demokratie im Vergleich zu dem, was Sie in Russland erlebt haben, jetzt im Zeitraffer?

Absolut. Und ich sehe das mit größter Sorge, insbesondere in Bezug auf die Ukraine, die offensichtlich von den USA im Stich gelassen wird. Putin lässt die Korken knallen. Uns allen wird das auf den Kopf fallen. Was die Fluchtbewegungen betrifft und die Aufrüstung, weil Putin nicht mit der Ukraine aufhören will.

Viele Leute schalten ab, wollen nur noch selten Nachrichten hören oder lesen, weil sie sich so ohnmächtig fühlen. Können sich Einzelne solchen Entwicklungen entgegenstellen?

Ja, auf jeden Fall. Wir müssen für Humanismus, für Respekt, für Toleranz kämpfen. Ich sage allen meinen Freunden immer wieder und auch allen Leuten, die sagen: Was tun wir nur, wir sind gescheitert, dass jeder was tun kann in seinem kleinen Bereich. Reden mit der engsten Umgebung, den Mund aufmachen, sich wehren gegen Unrecht, zum Beispiel gegen einen rassistischen Spruch in der Straßenbahn. Jeder, der dagegen aufsteht, tut etwas. Nicht oder nicht mehr still sein und wegschauen.

Sind Sie Optimistin?

Nein, im Moment nicht.

Glauben Sie, jemals wieder eine zu werden?

Ich hoffe es.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


13 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Klein die Anfrage, groß der Wirkbereich – so durchaus _nicht_ von den FRAGENDEN erwartet?!?

    Es titelt "Der Stuttgarter Ältestenrat" am 18. Mai 2019
    Maul halten und bloß nichts fragen? – oder: der alltägliche Rassismus
    _Auszug Kommentar 20. Mai._
    https://c.gmx.net/@334629611663006158/1pg4wy_…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!