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Gegen Rechtsextremismus

Die Bündnisse werden immer breiter

Gegen Rechtsextremismus: Die Bündnisse werden immer breiter
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 Fotos: Jens Volle und Joachim E. Röttgers 

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Weiterhin ist das Bedürfnis, sich gegen die AfD zu positionieren, groß. Vorigen Samstag zogen in Stuttgart mehr als 10.000 Menschen auf den Marktplatz, um "die rechte Welle zu brechen" – so das Motto dieser Demo. Bundesweit waren allein am vergangenen Wochenende mehr als 50 Demonstrationen gegen Rechtsextremismus angemeldet.

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Rechtsextreme, die meinen, ihnen nicht genehme Menschen aus dem Land werfen zu können, mobilisieren die Fantasie. Ob ältere, mittelalte, junge, sehr junge Menschen, ob politisch Aktive oder Neumotivierte – bei den Demos gegen rechts fühlen sich viele animiert, selbst gebastelte Schilder mitzubringen und zu zeigen, wie breit der Protest gegen die AfD ist. "Menopausierende", "Künstler", mittlerweile auch "Opas" und nicht ausschließlich "Omas", "Yuppies", "Singles" – sie alle malen "gegen rechts", "für Demokratie", "für Vielfalt". Am liebsten alle sollen dabei sein, und so lautet ein derzeit gängiger Demo-Slogan: "Ganz Stuttgart/Frankfurt/Dresden/Hamburg/München hasst die AfD!". Das stimmt zwar leider nicht, sonst hätte die Partei nicht so gute Umfragewerte, aber es stärkt diejenigen, die sich wehren nach der Correctiv-Recherche zum Potsdamer Treffen, in dem Rechtsextreme mit CDU-Politikern und Unternehmern darüber schwadronierten, Menschen zu deportieren. Nach Auswertungen der taz demonstrierten seit dem 12. Januar bundesweit zwischen 3,7 und 4,9 Millionen Menschen bei 1.264 Versammlungen gegen die AfD und für die Demokratie.

Kampfaufrufe

Bei der Stuttgarter Demo "Die rechte Welle brechen" sprachen auf zwei Kundgebungen vor und nach dem Demonstrationszug mehrere Gruppierungen und Organisationen. Kontext dokumentiert die einzelnen Reden in chronologischer Reihenfolge.

Dilnaz Alhan von der Seebrücke und Amnesty Stuttgart und Meike Olszak vom Flüchtlingsrat BW machten auf die Gefahren rassistischer Politik aufmerksam und kritisierten nicht nur die AfD, sondern auch die Regierung für ihre Migrationspolitik: Link zur Rede. Barbara Resch, Bezirksleiterin der IG Metall, und Vincent Leuze von der Verdi-Jugend Baden-Württemberg betonten, welche Gefahr die AfD für ihre Gewerkschaftsarbeit darstellt: Link. Vertreter:innen der organisierten süddeutschen Antifa-Bewegung riefen in ihrem Beitrag zu Widerstand gegen Faschist:innen auf. Was genau darunter zu verstehen ist, hielt sie offen: Link. Sprecher:innen der organisierten migrantischen Bewegung attackierten Polizei und Sicherheitsapparat deutlich für ihre Verstrickungen in das rechtsextreme Milieu: Link. Aktivist:innen vom Aktionsbündnis 8. März, Feministischen Frauengesundheitszentrum und Frauenkollektiv zeigten auf, welche reaktionären Frauen- und Familienbilder die AfD und andere Rechte propagieren und wie das Frauen und queere Menschen gefährdet: Link (lee)

Die Bündnisse, die die Demos organisieren, sind unterschiedlich, die jüngste Großdemo in Stuttgart wurde von einem breiten Zusammenschluss unterstützt. So standen ohne merkbares Murren Organisationen wie die Mieterinitiativen, IG Metall, Jusos, Naturfreunde, Umsonst und Draußen zusammen mit Antifa-Gruppen. Das ist bemerkenswert, gilt es doch sonst unüberbrückbare politische Differenzen auszublenden. Doch die Befürchtungen, die AfD könnte im Juni bei Europa- und diversen Kommunalwahlen sowie im Herbst bei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg noch mehr zulegen bis hin zur Regierungsverantwortung, ist mittlerweile so groß, dass immer mehr Menschen und Organisationen bereit sind, für Aktionen den kleinsten gemeinsamen Nenner – nämlich pro Demokratie – zu akzeptieren.

Auch in der Wirtschaft wachsen die Sorgen

Selbst in der Wirtschaft ist es so weit. Am vorigen Montag unterzeichneten Südwestmetall und IG Metall Baden-Württemberg eine Erklärung. "Wirtschaft für Demokratie" ist sie überschrieben und betont unter anderem, wie wichtig Weltoffenheit für exportorientierte Unternehmen ist und dass die Vielfalt unter den Beschäftigten auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor für erfolgreiches Wirtschaften ist. "Wir sehen nicht dabei zu, wie die Kultur des Miteinanders untergraben wird, sondern stellen uns entschlossen gegen jede Form von Rassismus, religiöser Diskriminierung und insbesondere Antisemitismus", heißt es.

Geadelt wurde die Unterzeichnung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Der hatte maßgeblich dafür gesorgt, dass der Bundesverband der Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund Ende Januar in Berlin die Bellevue-Erklärung unterzeichneten, in der sie sich zum Grundgesetz und zur Einheit Europas bekennen. Steinmeier hatte dazu aufgerufen, diesem Beispiel zu folgen – Südwestmetall und IG Metall BW folgten ziemlich schnell. Im großen Saal von Südwestmetall erklärte der Bundespräsident, dass die Erklärung für Demokratie und gegen Extremismus auch eine Selbstverpflichtung der Unternehmen sei. Er lobte das "starke Zeichen", das auch der ökonomischen Vernunft geschuldet sei. Denn wer wie die AfD den Austritt aus der EU fordere, vernichte Wohlstand. "Und was passiert, wenn Fachleute aus dem Ausland sich nicht mehr nach Deutschland trauen?" Rund 500 geladene Gäste applaudierten den Reden von VW- und Porsche-Vorstand Oliver Blume, Mercedes-Chef Ola Källenius, Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die in Varianten den Erklärungswortlaut wiederholten. Von Arbeitgeber:innenseite nutzte Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller als Einzige die Chance, vor den versammelten Zuschauer:innen – darunter auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete – anzudeuten, warum aus ihrer Sicht die AfD Zulauf hat. Sie sprach von einer "aus dem Ruder gelaufenen Bürokratie" gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Die Folge: "Auch im Mittelstand wendet man sich zunehmend von 'denen da oben' ab." Das sei nicht nur im Osten so, auch hierzulande fühlten sich Bauern, Gastwirte, Kleinunternehmer zunehmend nicht berücksichtigt von den Regierenden. "Die politischen Effekte werden erheblich sein", warnte die Unternehmerin.

Kleingeschriebene Sacharbeit

Allermeistens sind bei der AfD die Partei- vor allem Chaostage. Zu den Gründen zählt neben chronischer Erregbarkeit der Basis der ziemlich erfolgreiche Versuch der Radikalen, die Partei immer weiter nach rechtsaußen zu schieben. Zudem erfreuen sich Regeln in allen Lagern überschaubarer Wertschätzung: Die Völkischen haben eine anarchische Ader. Und sie sind schier besessen vom Thema Zuwanderung. Sacharbeit wird deshalb ziemlich klein geschrieben. In Baden-Württembergs Landtag hat die AfD seit Beginn der Legislaturperiode vor drei Jahren elf Gesetzentwürfe zu Migration und Asyl eingereicht. Oft sind sie handwerklich schlecht gemacht oder rechtlich gar nicht zulässig. Die Begründungen strotzen vor Unterstellungen, etwa wenn die Landesverfassung geändert werden soll, um die Amtszeit des Ministerpräsidenten zu beschränken, "wegen zu erwartender Missstände und Fehlentwicklungen". Auch wollte die Parlamentsfraktion eine "bis zu dreimonatige Ingewahrsamnahme aus präventiven Gründen von als gefährlich eingeschätzten Personen einführen" und die schon vorhandenen Gesetze zu Bildungszeit, Tariftreue und Mindestlohn gestrichen sehen. So viel zur angeblichen Nähe der AfD zur Arbeitnehmerschaft. Auch von der Freiheit hat die AfD ein eigenes Verständnis, wenn sie nämlich die "Zwangsfinanzierung öffentlich-rechtlicher Medien durch freie Bürger" aufzuheben verlangt.

Unter den 18 Anträgen, die zum Parteitag in Rottweil am vergangenen Wochenende laut Antragsbuch vorab vorgelegt wurden, befasst sich die AfD in 17 weitgehend mit sich selbst. Und der 18. fordert Entlastungen für Bürger:innen und Unternehmen, beispielsweise durch eine drastische Absenkung der Grunderwerbsteuer, was Land und Kommunen treffen würde, sowie die ersatzlose Streichung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und der CO2-Besteuerung. Die noch "betriebstauglichen Kernkraftwerke Baden-Württembergs müssen so schnell wie möglich wieder ans Netz" gebracht werden, meinen die Antragsteller. Und Schluss zu machen sei mit der "planwirtschaftlichen Subventionierung der Wind- und Solarenergie" und überhaupt mit der "Verunstaltung der Wälder wie zum Beispiel des Schwarzwaldes, des Odenwaldes sowie von Natur- und Erholungsgebieten unter anderem durch den Bau von Windindustrieanlagen". Alternativ- oder Gegenfinanzierungsvorschläge wie so oft seit Gründung der Partei vor bald elf Jahren: Fehlanzeige.  (bw)

Barbara Resch, die neue Bezirksleiterin der IG Metall BW, betonte, "betriebliche Mitbestimmung ist ein wesentlicher Baustein für gelebte Demokratie" und befand, der Geist des nunmehr geschlossenen Bündnisses solle durch eine Demokratiezeit in die Betriebe getragen werden. Gemeint ist damit eine bezahlte Stunde pro Woche, in der politisch diskutiert werden kann. Ob die Anregung aufgegriffen wird, bleibt abzuwarten. Möglichst schnell wollen die Sozialpartner konkrete Projekte und Aktionen pro Demokratie auf den Weg bringen. Bei aller gefeierten Einigkeit – der maßgebliche Unterschied zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen wurde nicht vergessen. "Zur Tarifrunde im Herbst streiten wir wieder", kündigte SWM-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta an.

 

 

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5 Kommentare verfügbar

  • Bernd Letta
    am 29.02.2024
    Antworten
    Schade, dass auf dieser Demo kein Vertreter der Kulturszene gesprochen hat. Er hätte dem ganzen eine intellektuellere Note geben können, die bei dieser Demo aus meiner Sicht eher fehlte. Dagegen waren in der Tat Palästina-Flaggen zu sehen. Da muss man dann schon in Anbetracht der Tatsache, dass auch…
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