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Demos gegen rechts

Zuschauerdemokratie reicht nicht

Demos gegen rechts: Zuschauerdemokratie reicht nicht
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Demo-Schilder malen und Anti-rechts-Slogans posten ist ein Anfang. Doch genug ist das nicht, um die Demokratie lebendig zu halten, meint der Politologe Ulrich Eith und sieht sowohl Politiker:innen als auch Bürger:innen in der Pflicht.

Herr Professor Eith, worin sehen Sie die Hauptursachen für den aktuellen Erfolg der AfD?

Da spielt viel zusammen. Wir leben in Zeiten großer Verunsicherung, und da haben populistische Zuspitzungen Hochkonjunktur. Ein Teil der Bürgerinnen und Bürger steht unter dem Druck großer Veränderungen – oder empfindet das jedenfalls so. Da stellen sich viele Fragen, wie die Zukunft bewältigt werden kann, und die werden von der Regierung derzeit nicht ausreichend beantwortet. Populisten bieten einfache Antworten und Lösungen, die wiederum Sündenböcke identifizieren. Die Welt teilt sich demnach in Gut und Böse, Schuld sind dann "die da oben" oder "die Ausländer". Handwerkliche Fehler unserer Regierung kommen dazu, und das schafft Unmut. Allerdings ist das nicht nur in Deutschland zu beobachten. Um uns herum sehen wir fast überall in Europa starke populistische Parteien, da zieht Deutschland jetzt sozusagen nach.

Welche Umbrüche meinen Sie?

Wir leben in einer Zeit, in der Frieden, Demokratie und als geordnet empfundene Lebensumstände nicht mehr sicher sind. Die Gesellschaft verändert sich, die globalen Kräfteverhältnisse sind in Bewegung, die Klimakrise verunsichert.

Foto: Ralf Killian

Der Politologe Ulrich Eith, 63, aufgewachsen in Villingen-Schwenningen, studierte Mathematik, Soziologie und Politik. Nach seiner Habilitation lehrte er unter anderem an der Uni Freiburg, seit 2008 leitet er das Studienhaus Wiesneck Institut für politische Bildung Baden-Württemberg e.V. in Buchenbach bei Freiburg im Breisgau. Zu Eiths Schwerpunkten gehören das deutsche Regierungssystem und der politische Systemvergleich sowie Parteien- und Wahlforschung.  (red)

Viele Unsicherheiten gab es doch früher auch schon.

Sicher, aber heute ist die Welt nicht zuletzt durch die mediale Erreichbarkeit kleiner geworden. Von überallher bekommen wir ständig Katastrophenmeldungen. Die Medien funktionieren nun mal so, dass eher das Negative als das Positive berichtet wird. Natürlich ist nicht die Berichterstattung die Ursache für große Verunsicherung, aber sie verstärkt bei vielen ein Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust. Ich kenne auch Personen, die die Politik derzeit völlig ausblenden und den Rückzug ins Private pflegen. Auch der Nationalsozialismus profitierte von den großen Veränderungen und Umbrüchen in den 1920er- und 30er-Jahren. Hinzu kam damals nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg jedoch noch der Versailler Vertrag, der ein Gefühl von nationaler Demütigung beförderte. Davon kann heute keine Rede sein.

Nun erleben wir aktuell viele sehr große Demonstrationen gegen die AfD, für Demokratie und gerne heißt es, das sei ein Zeichen. Wofür eigentlich?

Nach diesem Treffen in Potsdam mit den Deportationsplänen haben offenbar viele realisiert, wohin politisch der Zug fahren kann. Wenn dann in kürzester Zeit mehr als eine Million Menschen demonstrieren, ist das eine ermutigende Antwort der Zivilgesellschaft. Natürlich dient das zunächst einmal der eigenen Selbstvergewisserung. Vielleicht ist es aber auch für manche ein Startschuss, sich politisch stärker zu informieren und zu engagieren. Demonstrieren ist nicht verkehrt, wenn man ein weiteres Erstarken des Rechtspopulismus verhindern will. Mindestens genauso wichtig ist es aber, bei den anstehenden Wahlen dann auch wählen zu gehen.

Nun ist die politische Bandbreite bei den Demos weit: gegen die AfD, für Demokratie aber auch gegen Entscheidungen der Bundesregierung – Stichwort "Rückführungsverbesserungsgesetz". Auch das Heizungsgesetz kommt nicht gut an. Da fällt vielleicht auch das Wählen schwer.

Sicher, die Demonstrationen richten sich zunächst gegen den Rechtspopulismus, darüber hinaus ist die Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik in der Bevölkerung derzeit groß. Zentral ist natürlich, dass die Politik besser werden muss. Dazu gehört auch, dass Politikerinnen und Politiker ihre Politik sehr viel besser erklären. Das betrifft gerade auch die Bundesregierung. Was ist die Zielrichtung ihrer Politik, wie kommen welche Entscheidungen zustande – da bleibt zurzeit viel zu viel Raum für Spekulationen und Verschwörungserzählungen.

Auch wenn's erklärt wird: Wenn mir das Ergebnis politisch nicht gefällt, bin ich doch immer noch dagegen.

Das mag sein. Es gehört aber auch zur Realität der pluralistischen Demokratie, dass ich meine persönlichen Vorstellungen nicht immer umgesetzt sehe, insbesondere dann nicht, wenn die Mehrheitsmeinung andere Positionen vertritt. Die Akzeptanz fällt mir aber etwas leichter, wenn es einen lebendigen politischen Diskurs gibt, in dem unterschiedliche Positionen durchaus kontrovers diskutiert und politische Entscheidungen dann auch nachvollziehbar begründet werden. Letztlich braucht demokratische Politik immer Mehrheiten. Aber wichtig ist auch, dass im Entscheidungsprozess unterschiedliche Positionen öffentlich gehört und debattiert, also ernst genommen werden. Da sehe ich ein großes Defizit: Zurzeit sind politisch kontroverse Debatten kaum möglich, das gilt schon für Freundeskreise. Die Bereitschaft dazu hat drastisch abgenommen, jeder bleibt in seinem politischen Umfeld oder blendet kontroverse Themen aus. Diese Bereitschaft, sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen und diese auch aushalten zu können, muss wieder belebt werden. Das ist eine große, auch gesellschaftliche Aufgabe. Demokratie lebt vom Diskurs. Ein Schritt in die richtige Richtung sind aus meiner Sicht die in Baden-Württemberg zunehmend etablierten Bürgerräte, in denen zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger Themen diskutieren und Lösungen erarbeiten. Alle Evaluationen dazu zeigen: Der Punkt, ich konnte meine Argumente einbringen und die wurden besprochen, ist zentral dafür, dass am Ende ein hohes Maß an Zufriedenheit mit dem gesamten Beteiligungsprozess herrscht, selbst wenn ich mich mit meiner Meinung nicht durchgesetzt habe.

Also mehr Bürger:innenräte auf allen Ebenen – kommunal, Land, Bund? Verlieren damit nicht gewählte Parteienvertreter:innen Einfluss?

Keinesfalls, die gewählten Abgeordneten treffen nach wie vor die Entscheidungen. Die Ergebnisse der Bürgerräte sind zunächst lediglich eine Stimme neben den üblichen Positionierungen der vielen Verbände und Lobbygruppen. Allerdings müssen sich die Abgeordneten, am intensivsten wohl im kommunalen Bereich, mit den erarbeiteten Ergebnissen gründlich auseinandersetzen und ihre eigenen Entscheidungen in deren Lichte begründen.

Wenn Diskutieren neu gelernt werden muss, heißt das, die etablierten Parteien haben es versäumt, mit den Bürgerinnen und Bürgern zu reden?

Das ist ganz sicherlich der Fall, das war auch unter der Kanzlerschaft Merkel zu beobachten. Mir zeigt dieses Versäumnis, unter welchem auch zeitlich enormen Handlungsdruck die Regierungsparteien häufig stehen. Nehmen Sie nur die letzten Jahre: Pandemie, Ukrainekrieg, Energiefragen, es gab im Herbst 2022 die Befürchtung, dass im Winter nicht genügend Gas da ist, und natürlich immer dringlicher der Klimawandel. Am Ende sind wir ja ganz ordentlich durch die letzten beiden Jahre gekommen, aber die ebenso notwendigen Diskussionen sind ins Hintertreffen geraten. Und handwerkliche Fehler gab es auch, zum Beispiel mit dem Heizungsgesetz, das Anlass bot, eine Kampagne loszutreten unter dem Motto "Morgen ist Ihre Heizung weg". Ein Weiteres kommt hinzu. Wir können gerade beobachten, wie schwierig es ist, wenn drei recht unterschiedliche Parteien zusammen regieren. Das wird nicht die letzte Regierung aus mehreren Koalitionspartnern sein, die sehr um alles ringen muss. Je mehr kleinere Parteien den Einzug in Parlamente schaffen, umso häufiger wird es Mehrparteienregierungen geben. Jetzt haben sich ja gerade zwei neue Parteien gegründet, das Bündnis Sarah Wagenknecht und die Werteunion von Hans-Georg Maaßen. Es bleibt abzuwarten, wie sie bei den Wählerinnen und Wählern ankommen. Oder stellen Sie sich vor, in einem ostdeutschen Bundesland wird die AfD so stark, dass sie entweder mitregiert oder alle anderen Parteien koalieren, um sie aus der Regierung fernzuhalten. Das sind alles keine einfachen Perspektiven. Als Bürgerinnen und Bürger werden wir uns daran gewöhnen müssen und die Politik muss lernen, wie das funktionieren kann.

Wie lange werden ihrer Ansicht nach die Demonstrationen noch anhalten?

Demonstrationen sind immer eher kurzfristige Veranstaltungen, das ist ja klar. Der entscheidende Punkt ist, dass die, die da nun politisch aktiv geworden sind, einen Schritt weitergehen und ihr Wahlrecht nutzen.

Haben Sie außer Wählen noch einen anderen ganz praktischen Tipp, wie Menschen politisch aktiver werden können?

Ich denke, da ist jede und jeder schon im eigenen Umfeld gefragt. Zum Beispiel sollte man bei antidemokratischen, diskriminierenden, ausländerfeindlichen oder auch sexistischen Äußerungen auch mal dagegenhalten und nicht alles stillschweigend übergehen. Eines ist ganz sicher: Die Stabilität einer Demokratie hängt von aktiven Demokratinnen und Demokraten ab. Eine Zuschauerdemokratie funktioniert auf Dauer nicht.

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