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Steuergerechtigkeit

Geschenk ohne eigene Leistung

Steuergerechtigkeit: Geschenk ohne eigene Leistung
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Auch in Baden-Württemberg werden Reiche immer reicher. Das Interesse an einer gerechteren Besteuerung ist unterentwickelt. Dabei hätten gerade die Grünen einiges gutzumachen.

Viele gesellschaftspolitischen Debatten der vergangenen Monate handeln von Streichkonzerten: bei Rente und Pflege, in der gesetzlichen Krankenversicherung, beim Bürgergeld. Menschen, die wenig haben, werden gegen jene ausgespielt, die noch weniger haben. Der "Herbst der Reformen", den Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgerufen hat, setzt den Rotstift bei der staatlichen Daseinsfürsorge an. Und was das Regierungsoberhaupt sagt, klingt wie eine Drohung: "Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar."

Dabei müssten, wenn soziale Fragen ernsthaft und ehrlich diskutiert würden, endlich ganz andere Stellschrauben in den Blick kommen. "In Deutschland werden jedes Jahr rund 400 Milliarden Euro an die nächste Generation verschenkt oder vererbt", schrieb der Weinheimer SPD-Abgeordnete Sebastian Cuny kürzlich in einem parlamentarischen Antrag, "und die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft halten etwa die Hälfte dieses Vermögens."

Cuny wollte Details zu sogenannten Verschonungsprüfungen bei der Erbschaftssteuer und zu Anträgen auf Befreiung in Erfahrung bringen. Um welche Kreise es dabei geht, hat sogar der Gesetzgeber in den seit 2016 geltenden Regeln mit schönem Freimut offenbart: "Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Münzen, Edelmetalle und Edelsteine, Briefmarkensammlungen, Oldtimer, Yachten, Segelflugzeuge" werden als "typischerweise für die private Lebensführung bestimmt" aufgeführt. Immerhin müssen die genannten Objekte bei Vererbung versteuert werden – jedenfalls auf dem Papier, denn tatsächlich sind etliche Schlupflöcher bekannt.

Solide Daten zum Reichtum fehlen

Nicht vorhanden ist hingegen eine belastbare Datengrundlage zum Reichtum im Land. Oder, wie das Stuttgarter Finanzministerium vorsichtig erklärt, die vorhandenen Daten seien nur begrenzt aussagekräftig. Das Einkommen betrachtet gelten rund 7,5 Prozent der Bevölkerung im Südwesten als reich und knapp zwei Prozent sehr reich. Vermögende sind überhaupt nicht ausgewiesen, sondern nur, welche Besitztümer zur Bewertung herangezogen werden, nämlich "vor allem Verkaufswert von Land- und Forstgütern, Erst- und Zweitwohnungen, Netto Betriebsvermögen aus Unternehmensbeteiligungen, Finanzvermögen", aber auch Schulden. Das Statistische Landesamt führt eine Erbschafts- und Schenkungsstatistik, die aber lückenhaft ist, weil Befreiungstatbestände nicht aufgeführt sind.

Dabei hätte gerade Danyal Bayaz, Baden-Württembergs grüner Finanzminister seit 2021, ein gesteigertes Interesse an mehr Transparenz entwickeln können. In einem seiner ersten Interviews nach Amtsantritt hatte er aufhorchen lassen mit der Einschätzung einer Erbschaft als "Geschenk ohne eigene Leistung". Wenn dieses Geschenk sehr groß sei, "dann darf es entsprechend besteuert werden". Für Unternehmenserben könnten Stundungsregeln erarbeitet werden. Vor einem Jahr legte der Grüne noch einmal nach, konkret sogar gegen "große Firmenerben". Die machten sich Schlupflöcher zunutze, "und ich glaube, das ist nicht ganz gerecht".

Im Dezember 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht verschiedene Aspekte des Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuergesetzes (ErbStG) für verfassungswidrig erklärt. Eine Änderung musste bis 2016 her. Harte Verhandlungen begannen. Ohne die Stimme des damals schon grün-schwarz regierten Baden-Württembergs im Bundesrat wären die Regelungen in ihrer jetzigen Form nicht verabschiedet worden. "Familienunternehmen gewinnen Lobbyschlacht um die Erbschaftssteuer", titelte die "Süddeutsche Zeitung" und verwies auf "konservative Schätzungen", die von 200 bis 300 Milliarden Euro ausgingen, die pro Jahr in Deutschland vererbt würden. "Es kommt auf Winfried Kretschmann an", schrieb die "Welt".

Das neu geregelte ErbStG wurde jedenfalls durch sein Plazet beschlossen. Prognosen der Kritiker:innen sind inzwischen eingetreten. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2022 überhaupt nur rund 60 Milliarden Euro an Erbschaften und Vermächtnissen steuerlich veranlagt. Wieder gibt es hier nur Schätzungen, und sie besagen, dass es sich dabei um weniger als ein Fünftel der tatsächlichen Weitergaben handelt, ganz abgesehen von zulässigen Transfers ins Ausland. Ein grelles Schlaglicht darauf wirft beispielsweise der Kauf einer Luxusjacht. Frei Haus mitgeliefert werden im Netz Tipps von Anbietern, wie und wo ein solches Schiff zu verwenden ist, um es auf eine "kluge und smarte Art" zu versteuern: mit einer Rate von einem Prozent des Kaufpreises.

Milliardärssteuer würde Milliarden bringen

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit Umgehungstatbeständen schon seine Erfahrungen gemacht. 2017 ersparte er wohlhabenden Landsleuten unter anderem wesentliche Teile der Vermögenssteuer, führte aber eine Steuer auf Luxusjachten über 30 Meter Länge ein. Als Placebo, wie sich alsbald herausstellte. Am Ende zahlte ein einziger Besitzer. Die in Nizza, Cannes, St. Tropez, Biarritz oder Deauville liegenden Edelkähne fuhren, oh Wunder, flugs unter ausländischen Flaggen.

Ohnehin lohnt der Blick über den Rhein. Der Präsident, der mangels Mehrheit in der Nationalversammlung gegenwärtig vor allem per Dekret regiert, hat den einen oder anderen "Herbst der Reformen" hinter sich. Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung blieb trotz Flat-Tax bisher aus, die Haushaltslöcher beim Nachbarn werden immer größer, die Schuldenquote beträgt mittlerweile 115 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Haushaltsdefizit ist mit fast sechs Prozent das höchste in der EU. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Schuldenquote gegenwärtig 62,5 Prozent und das Haushaltsdefizit nicht einmal drei Prozent.

Weil die Staatshaushalte nicht nur in Mitteleuropa Probleme machen, kommen schon lange gewälzte Ideen eines ausgewiesenen Experten aus den Kulissen. Gabriele Zucman, der 38-jährige Universitätsprofessor an der École normale supérieure und im kalifornischen Berkeley, ist nicht nur Leiter der Steuerbeobachtungsstelle der EU. Der Pariser, der über die ungleiche Verteilung von Reichtum in der Welt promoviert hat, lieferte auch die Basis für einen Vorstoß von Brasiliens Präsident. Lula da Silva wollte die G20-Staaten vor einem Jahr davon überzeugen, besonders Reiche zu besteuern, um die Armut in der Welt zu bekämpfen. Durchsetzen konnte er sich bisher nicht, aber immerhin liegen konkrete Pläne dafür vor: Zucman will die Reichsten der Reichen heranziehen.

Der Vorschlag des "Albtraums der Milliardäre", so "Le Monde", hat in diesen Tagen eine zusätzliche Aktualität bekommen, weil er sogar Gegenstand der Verhandlungen zwischen dem neuen französischen Premier Sébastien Lecornu und den Sozialisten ist. Deren Argument: Es muss Schluss damit sein, dass alle Steuern zahlen – bis auf die ganz Reichen. Deren Vertreter fühlten sich umgehend zum Widerstand aufgerufen. Bernard Arnault, Vorstandsvorsitzender von LVMH, dem weltweit größten Luxuskonzern mit nach eigenen Angaben 85 Milliarden Euro Jahresumsatz, schwadroniert von einer "tödlichen Offensive gegen unsere Wirtschaft". Für ihn ist Zucman "in erster Linie ein linksradikaler Aktivist" mit "angeblicher wissenschaftlicher Kompetenz". Die "Zeit" hat indessen ausrechnen lassen, dass Arnaults eigenes Vermögen jede Stunde um 2,5 Millionen Euro wächst.

Wer soll die Staatsschulden bezahlen?

Jedoch spricht die Erfahrung dafür, dass der dringende Wunsch, sogenannte Neiddebatten zu meiden, allen Änderungselan erstickt. Lula da Silva rang den G-20-Staaten immerhin die Zusage ab, sich weiter mit dem Thema zu befassen. Für die Bundesrepublik hat die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung Pro und Kontra zusammentragen lassen. Nach dem deutschen System wären die Bundesländer Nutznießer, da sie mit 15 bis 30 Milliarden Euro jährlich von der Einführung einer Milliardärssteuer profitieren würden.

Nach dem Königsteiner Schlüssel zur Finanzaufteilung kämen auf Baden-Württemberg, defensiv gerechnet, zusätzliche zwei Milliarden Euro Einnahmen zu. Und die beiden Fachleute, die die Stiftung mit der Analyse beauftragt hat, nehmen bereits zu erwartende Gegenargumente auseinander, vor allem die "der Lobby der sogenannten 'Familienunternehmer'", wonach die Steuer diejenigen treffe, die für Investitionen und Arbeitsplätze sorgten: Bei weniger als der Hälfte der deutschen Milliardenvermögen in Familienbesitz sei ein Familienmitglied operativ im Unternehmen tätig. Und insgesamt sind laut der Schweizer UBS nur 28 Prozent der großen Vermögen selbst erarbeitet. "Die Steuer trifft also vor allem Erb*innen", schreibt die Heinrich-Böll-Stiftung weiter.

Unionsfraktionschef Jens Spahn hat mit seinen Lockerungsübungen zur ungerechten Vermögensbeteiligung in der CDU immerhin einen heftigen Meinungsaustausch ausgelöst. Die üblichen Verdächtigen, die Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann, ihres Zeichens Mittelstandschefin, und Christian von Stetten aus Künzelsau, geben sich überzeugt davon, dass Steuererhöhungen Gift sind. Und Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche warnt per "Bild am Sonntag" vor langfristigem Schaden: "Wie bei der sogenannten Reichensteuer oder einer Vermögensabgabe bin ich bei einer Erbschaftssteuer skeptisch, wenn diese dazu führt, dass Unternehmen entscheiden, sich aus Deutschland zurückzuziehen."

Danyal Bayaz hält "mit weniger Ausnahmetatbeständen einerseits und großzügigen Freibeträgen und Stundungsregeln andererseits" dagegen, denn "so würden Unternehmen nicht in ihrer Substanz belastet". Und Baden-Württembergs Finanzminister stellt noch "eine grundlegende Frage": Wer zahle eigentlich den Preis für die gigantischen Schulden, die Bundesregierung in den nächsten Jahren machen wolle? Auf der Waagschale der Ausgabenseite liegen die Strukturreformen in den Sozialsystemen. Und die Einnahmenseite? "Wer so tut, als ob man das alles schon irgendwie mit höherem Wachstum finanzieren könne, macht den Leuten etwas vor", sagt Bayaz.

"Rund 700 Millionen Euro an Erbschaftssteuer von nur neun Erben sind dem Land in jüngster Vergangenheit entgangen", rechnet Sozialdemokrat Sebastian Cuny nach der Auswertung der Antworten auf seine parlamentarischen Antrag vor. Das sei "eine absolute Ungerechtigkeit und macht die wachsende Ungleichheit bei der Vermögensverteilung in unserem Land deutlich". Mit sehr umfangreichen Erbschaften sei anständig umzugehen. Denn: "In einer Gesellschaft, in der Arbeitsleistung höher besteuert wird als Einkommen aus Erbschaften oder Kapitalerträgen, läuft gewaltig etwas schief, und das muss jetzt korrigiert werden."

Den SPD-Landes- und Fraktionschef weiß Cuny an seiner Seite. "Die Reichsten in diesem Land müssen endlich mehr Verantwortung übernehmen", verlangt Andreas Stoch, "nur so können wir die Mitte besser entlasten." Jetzt muss er nur noch seinen Bundesvorsitzenden überzeugen, der praktischerweise bekanntlich Finanzminister ist, und Lars Klingbeil wiederum beim Kanzler, bei Frau Reiche und all den anderen Zauder:innen vorstellig werden. Das ist doch – angesichts der Qualität der Argumente – so schwer wirklich nicht.

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