Fachleute sind sich einig über den Stellenwert von Ereignissen mit großer Strahlkraft wie den diesjährigen Special Olympics in Berlin. "Die ganze Welt war da", sagt Wochele, und Nopper lobt die Bedeutung dieser größten Sportveranstaltung in Deutschland seit den Olympischen Spielen 1972 in München. Für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen allerdings reicht das Engagement noch so vieler Sportvereine nicht aus. Denn die beginnen in der Bildungspolitik.
Schon vor fast einem halben Jahrhundert hat Italien die Förderschulen abgeschafft, Kinder mit Einschränkungen werden in den Regelschulen von sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrerkräften betreut. In Baden-Württemberg hat man sie umbenannt in Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), und sie sind ein wesentlicher Bestandteil des Schulwesens. Sie bieten noch immer acht verschiedenen Fachrichtungen an: von Hören, Sehen oder Lernen bis zum Unterricht für Kinder und Jugendliche, die lange Zeit im Krankenhaus verbringen müssen. Die Behindertenkonvention verlangt zwar nicht ihre Abschaffung, aber sie insgesamt zurückzudrängen. Denn: "Mit dem Eintritt in die Sonderschule wird der weitere Lebensweg für viele Kinder mit Behinderungen meist schon besiegelt", heißt es in einem Zwischenbericht zur Situation in Deutschland, während in Italien alle Schüler:innen "das Recht auf einen auf ihre Lernvoraussetzungen abgestimmten individuellen Bildungsplan haben", einschließlich individueller Bewertung und spezieller Lernmaterialien. In der Landeshauptstadt werden gegenwärtig Pädagog:innen aus Regelschulen abgezogen, weil die Personalnot in den Förderschulen besonders groß ist.
Schöne Worte, wenig Taten
Aktionspläne, Beiräte, Beauftragte und Versprechungen gibt es genug. Schon 2016 hat sich Stuttgart ein Leitbild gegeben. Ziel sei eine Stadtgesellschaft, "in der das Vorhandensein von Unterschieden Normalität ist, in der Barrieren abgeschafft sind und in die sich jeder mit seinen Besonderheiten einbringen kann", heißt es unter vielem anderen. Und weiter: "Die Stadtgesellschaft wird unter Beteiligung der Menschen mit Behinderung zu einem pluralistischen, inklusiven Gemeinwesen weiterentwickelt, in welchem alle Menschen ihren Platz haben, und in dem die Verschiedenheit und die Unterschiedlichkeit der Individuen, aus denen es sich zusammensetzt, respektiert und als Bereicherung empfunden wird." Konkreter wird es nicht und entsprechend wenig passiert.
Noch größer ist der Nachholbedarf auf Landesebene. 2011 stellte sich die erste grüngeführte Koalition, damals mit der SPD, endlich den Vorgaben der UN-Konvention. "Wir werden im Rahmen die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Breiten- und Spitzensport verbessern", heißt es schlank und rank im damaligen Koalitionsvertrag. An anderer Stelle wird daran erinnert, dass die verbindlichen Vorgaben der Vereinten Nationen in vollem Umfang mit für den Bereich der frühkindlichen Bildung gelten sollen. Eines der besonders vollmundigen Versprechen wurde nie wahrgemacht – es sah vor, dass Schulen die für die Inklusion notwendige personelle, räumliche und sächliche Ausstattung bekommen. Nach den Special Olympics hofft Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) auf einen Impuls durch diese Spiele, weil gerade der Sport zeige, wie Inklusion in der Gesellschaft gelingt, "wenn Menschen mit und ohne Behinderung sich auf Augenhöhe begegnen: unbekümmert, gemeinsam, mit Freude und Ehrgeiz".
Exklusion nimmt sogar zu im Südwesten
Zahlen, Daten und Fakten zusammenzutragen zum tatsächlichen Stand ist keine einfache Angelegenheit. "Für die rund 45.000 schwerbehinderten Menschen, die in unserer Stadt leben, wird (…) die Infrastruktur verbessert und weitere finanzielle Unterstützung erfolgen", heißt es auf stuttgart.de. Der Erfolg ist überschaubar. Dabei handelt sich nicht um gut gemeinte Maßnahmen. Vielmehr geht es darum, das Verständnis zu schärfen, dass Menschen mit und ohne Behinderung alltägliche Angebote bestmöglich nutzen können.
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